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Sport: Wenn die Rakete explodiert

Snooker gilt als anständig und nobel – doch WM-Favorit Ronnie O’Sullivan benimmt sich am grünen Tisch gern einmal daneben

Ronnie O’Sullivan macht es beim Snooker gerne kurz. Statt einer Stunde dauert ein Durchgang bei ihm manchmal nur Minuten. Seine Fans nennen ihn deshalb „The Rocket“, die Rakete. Er explodiert einfach. Mit feinen Umgangsformen hält er sich nicht lange auf. Wenn seine Gegner spielen, gähnt der Billardspieler mit dem langen, schwarzen Haar dafür gelangweilt, um sie zu provozieren. Er ist ein ziemlicher Flegel. Zu beobachten ist er derzeit in Sheffield, wo die mit zwei Millionen Pfund dotierte Snooker-Weltmeisterschaft stattfindet.

In der ersten Runde hat der 28-jährige Engländer dem Spieltisch den Mittelfinger gezeigt. Weil er es als Ketzerei empfunden hatte, dass eine der Taschen am Tischrand, in der die Bälle verschwinden sollen, einen Ball nicht verschluckt hatte. Dafür droht ihm eine saftige Geldstrafe. Aber natürlich entschuldigte O’Sullivan sich nicht. Er verachtet alle, die seiner fabelhaften Spielkunst nicht huldigen. Im Viertelfinale fertigte er Anthony Hamilton mit 13:3 Sätzen ab.

Snooker ist die edelste und komplizierteste Variante des Billards und die einzige, die als Sportart gilt. Snooker-Profis sind anständig und nobel. Sie gelten als die letzten Vertreter des aristokratischen Sports des 19. Jahrhunderts. Nur O’Sullivan passt nicht in dieses Bild. Er ist arrogant. Er ist ein Außenseiter. Ein Rocker mit Fliege.

Beim Snooker geht es darum, abwechselnd die 15 roten und einen beliebigen der sechs farbigen Bälle zu versenken. Der riesige Tisch (3,60 mal 1,80 Meter) und die kleineren Kugeln machen Snooker ungleich schwieriger als Billardspielen in der Kneipe. Jeder rote Ball gibt einen Punkt, die verschiedenfarbigen Kugeln bringen zwei bis sieben Punkte. Sie werden nach dem Versenken so lange wieder auf ihren Platz gelegt, bis alle roten versenkt sind und erst dann vom Tisch gespielt. Den Gegner zu „snookern“, bedeutet, die weiße Kugel so zu platzieren, dass er keine rote Kugel anspielen kann. Schafft der Gegner das nicht, kassiert er Strafpunkte.

Ein perfekter Satz („frame“) bringt 147 Punkte: Der Spieler versenkt, ohne den Gegner durch einen Fehlstoß an den Tisch zu lassen, 15-mal abwechselnd einen roten und den schwarzen Ball (sieben Punkte). Ronny O’Sullivan gelang ein solches „maximum break“ bei der WM 2003. Die anderen Profis unterbrachen ihre Spiele, um zuzusehen und zu staunen. Er benötigte für die Aktion, von der Snooker-Profis ihr Leben lang träumen, nur 390 Sekunden. „Ronnie in diesen gut sechs Minuten zu beobachten“, sagte sein Konkurrent Alan McManus, „ist wie Gott bei der Arbeit zuschauen zu dürfen.“

O’Sullivan wuchs in einem tristen Vorort Londons auf. Sein Vater erstach den Fahrer der legendären Kray-Gangster und sitzt seit Ronnies zwölftem Lebensjahr lebenslang im Gefängnis. Auch seine Mutter landete wegen Steuerhinterziehung schon hinter Gittern.

Mehr als 500 000 deutsche Zuschauer verfolgen die WM im Schnitt auf Eurosport. „Der Zuspruch ist ein Phänomen“, sagt Werner Starz, Leiter Kommunikation des Spartensenders. Fast 90 Stunden werden übertragen. „Die Snooker-Fans sind unglaublich aktiv, sie diskutieren im Internet-Chat über alles Mögliche.“ Auch dann noch, wenn die „Rakete“ längst am Ziel ist.

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