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Sport: Wenn die Wut nachlässt

Tim Lobinger ist ein schwieriger Charakter

Auf den ersten Blick wirkt er wie immer: Sonnenbrille auf der Nase, Adler mit Totenkopfgesicht auf dem schwarzen Trikot, wild gestikulierend beim Einspringen, locker im Gespräch mit Disziplinkollege Fabian Schulze, konzentriert am Anlauf zur Stabhochsprunganlage. Eine Woche nachdem Tim Lobinger in Elstal eine der peinlichsten Niederlagen seiner Karriere hinnehmen musste, merkt man dem exzentrischen Kölner nichts mehr an von der Wut, die er ein paar Tage zuvor noch verspürte. Lobinger hatte seinen Konkurrenten Björn Otto zusammengestaucht, weil der ihn nicht hatte gewinnen lassen. „Das war unkollegial“, tönte Lobinger, als er mit fünf Zentimetern Unterschied unterlag. Zwar war ihm dadurch sein Anteil von 25 000 Euro an der nationalen Serie des DKB-Cups flöten gegangen, aber Otto, der sich nach langer Verletzungspause mit 5,85 Meter in guter Form präsentierte, wollte sich nicht manipulieren lassen. „Tim hätte das auch nicht gemacht.“

In Stuttgart beim World Athletics Final war alles vergessen. Neues Spiel, neues Glück. Hier gibt es noch mal richtig Geld zu verdienen. 30 000 US-Dollar bekommt der Sieger in jeder Disziplin – und der 34 Jahre alte Athlet hatte durchaus Chancen vorne mitzuspringen. Am Ende, bei seinem letzten Versuch über 5,92 Meter, war alles so wie für ihn inszeniert. Die Augen der rund 25 000 Zuschauer waren allein auf ihn gerichtet, sie jubelten ihm zu, als er sich über die Höhe schwang. Auch dass die Latte fiel, war offensichtlich diesmal nicht so tragisch. Immerhin war er zusammen mit dem US-Amerikaner Toby Stevenson Zweiter geworden und kassierte 15 000 Dollar. Nicht ganz so viel wie er letzten Samstag vergeigt hatte, aber immerhin eine kleine Entschädigung. Und auszusetzen hatte er auch nichts. „Ich bin recht zufrieden. 1993 bei der WM habe ich mir geschworen, dass ich hier noch mal springen will. Heute habe ich dies wahrgemacht“, sagte Lobinger.

Der Mann ist ohne Frage ein Weltklasse-Athlet, der im globalen Stabhochsprung-Zirkus längst Fuß gefasst hat. Auch wenn die ganz großen Erfolge bei den internationalen Meisterschaften immer noch fehlen, gilt er als Star des deutschen Stabhochsprungs. Eins kann er nicht: verlieren. Wenn es darum geht, sich Niederlagen einzugestehen, ist Lobinger nicht mal Kreisklasse. Dann sucht er gern die Schuld bei allem, nur nicht bei sich selbst. Dann haben ihn die Bedingungen, die Konkurrenten, die Anlage, die Matte und gelegentlich sogar das Publikum gestört.An das World Athletics Final vor drei Jahren in Monaco hat Lobinger ganz spezielle Erinnerungen. Damals passte ihm die Zuschauerresonanz nicht und er demonstrierte seinen Unmut, indem er die Hose herunterließ und seinen nackten Hintern präsentierte. Das hat ihm eine harte Geldstrafe eingebracht. Aber er hatte erreicht, was er wollte: Man sprach über ihn. Wenn auch nicht schmeichelhaft. In Stuttgart beherrschte er sich, beschränkte sich auf die sportliche Show. Die Wut ist verraucht, die Hose blieb oben, die Latte auch – bis 5,82 Meter.

Ursula Kaiser[Stuttgart]

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