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Sport: Wie der Bob-Bundestrainer Raimund Bethge die Wende erlebte und was er über seine heutige Situation denkt

"Mensch Hoppfried, bald fährst du mit Bob Deutschland I." Wolfgang Hoppe zuckte zusammen.

"Mensch Hoppfried, bald fährst du mit Bob Deutschland I." Wolfgang Hoppe zuckte zusammen. Um Gottes willen, so ein Satz, ausgerechnet an der Altenberger Kunsteispiste. Und doch schien plötzlich alles doch ganz anders zu sein. Die Angst, irgendjemand könnte mitgehört haben, war wie weggeblasen. Eigenartig, niemand in der Runde duckte sich oder verabschiedete sich schnell, um nicht in irgendeinen Verdacht zu geraten. Aus dem Nichts heraus war es da, das Selbstbewusstsein, offen über Banalitäten zu scherzen, die zuvor noch schwerwiegende Kosequenzen gezeitigt hätten. Dabei konnte sich beim Weltcup der Bobsportler am 10. November 1989 im tiefen Sachsen niemand vorstellen konnte, was sich zur selben Zeit in Berlin abspielte. Die Mauer sollte an einigen Stellen passierbar sein - das Gerücht genügte für den aufrechten Gang. Wer noch am Abend zuvor zufällig über sein Transistorradio den Fauxpas des Ost-Berliner SED-Bezirkschefs Schabowski mitbekommen hatte, konnte damit im Erzgebirge zunächst kaum etwas anfangen.

Raimund Bethge erinnert sich: "Ich bin gerade vom Parkplatz zur Bobbahn gelaufen, da hat mir jemand seinen Ausweis unter die Nase gehalten. Mit einem Stempel drin, der halb auf das Passbild gedruckt war. Der war die ganze Nacht über in West-Berlin." Bethge war damals Trainer beim Oberhofer Armeesportklub. Die ersten richtigen Eindrücke vom Mauerfall bekam er wenig später beim Weltcup im sauerländischen Winterberg. "Wir sind ganz früh losgefahren, um nicht mit all den Trabbis und Wartburgs im Stau zu stehen. Aber aber ab Eisenach ging es nur noch schrittweise voran. Und in Winterberg tauchten dann lauter Verwandte und Bekannte auf, die vom Bahnsprecher begrüßt wurden. Diese unglaubliche Atmosphäre werde ich niemals vergessen."

Für Bethge bescherte die offene Grenze auch die Wende in seinem Leben. Er wurde Bundestrainer - und ist es heute noch. "Für mich war es schon mal ganz gut, dass wir uns in den Jahren zuvor gegenüber den Westdeutschen nicht total verbohrt verhalten haben. Natürlich hatten wir dabei immer ein ungutes Gefühl, denn jedes Gespräch hätte ja ein tödlicher Fehler gewesen sein können. Aber der sportlich faire Kontakt war uns einfach wichtig." So wurde Bethge bei den damaligen Westpiloten und ihren Teams schneller akzeptiert, als das in anderen Sportarten der Fall war. DBSV-Präsident Klaus Kotter bezeichnet den neuen Bundestrainer noch heute als "Glücksfall für den deutschen Bobsport".

Nie hat Bethge das DDR-Denken zur Schablone gemacht. Dabei hat er in seiner Anfangszeit allerlei Neues kennengelernt. Etwa dass er es auch mit Sportlern zu tun hatte, "die richtig arbeiten gehen mussten". Den Durchbruch schaffte er 1991 bei der WM ausgerechnet in Altenberg. Wolfgang Hoppe steuerte im Vierer tatsächlich den Bob Deutschlahnd I auf Platz eins, Rudi Lochner gewann im Zweier. Lochner kam wie Hoppes Mittelmann Christoph Langen aus den alten Bundesländern. Seitdem stehen 49 Medaillen auf der Haben-Seite des Bundestrainers, dessen Vertrag mittlerweile zum fünften Mal bis Olympia 2002 verlängert wurde. Alles eitel Sonnenschein? Nein. "Die Medaillen sind die eine Seite, das weiterhin ständige Bohren von irgendwelchen Leuten in meiner DDR-Vergangenheit die andere. Das zermürbt mich. Ich werde das Gefühl nicht los, wieder jemandem machtlos ausgeliefert zu sein", sagt Bethge, der seit neun Jahren in Berchtesgaden lebt. Das eine nehmen, aber das andere nicht geben wollen - zehn Jahre nach dem Mauerfall hat Raimund Bethge damit die größten Probleme. Im Jahr der WM, die im Februar 2000 erneut in Altenberg stattfinden wird. Übersichtsseite zum 10. Jahrestag des Mauerfalls

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