zum Hauptinhalt

Sport: Wildwasser: Mit Wirtschaftsbüchern zum Gold

Thomas Schmidt stieß die Fäuste in den Himmel, sein Coach Klaus Pohlen flog in hohem Bogen ins Wasser und schwenkte danach klitschnass die deutsche Fahne: Mit zwei unglaublichen Läufen hat der 24-jährige Außenseiter aus Bad Kreuznach die seit 1972 währende Gold-Serie der deutschen Slalom-Kanuten bei Olympischen Spielen verlängert. "Es war ein Wahnsinnsrennen.

Thomas Schmidt stieß die Fäuste in den Himmel, sein Coach Klaus Pohlen flog in hohem Bogen ins Wasser und schwenkte danach klitschnass die deutsche Fahne: Mit zwei unglaublichen Läufen hat der 24-jährige Außenseiter aus Bad Kreuznach die seit 1972 währende Gold-Serie der deutschen Slalom-Kanuten bei Olympischen Spielen verlängert. "Es war ein Wahnsinnsrennen. Ich habe zu keiner Sekunde daran gedacht, dass etwas schief gehen könnte", jubelte Schmidt und fiel seiner Freundin Friederike in die Arme.

Mit seiner Leistung hatte Schmidt, der noch nie zuvor eine Weltmeisterschaft erlebte, vor 12 500 begeisterten Zuschauern im ausverkauften Whitewater Stadium von Penrith bereits im ersten Lauf die Konkurrenz der Kajak-Einer geschockt. 3,15 Sekunden legte der Deutsche zwischen sich und die Top-Favoriten und schuf sich ein Polster, das er mit einem weiteren Glanzlauf noch auf 6,46 Sekunden ausbaute - einen Vorsprung, wie es ihn in der olympischen Geschichte des Slalom-Sports noch nie gab. Schmidt holte zugleich die 15. Medaille für deutsche Slalom-Kanuten und den insgesamt siebten Olympiasieg seit 1972.

Der Erfolg war um so erstaunlicher, als Schmidts Karriere vor einem Jahr schon beendet schien. Beim Training in Spanien kugelte er sich die rechte Schulter aus, kurz danach wurde er operiert. "Da war ich das erste Mal am Tiefpunkt. Es hat lange gedauert, bis ich da drüber weg war", schilderte Schmidt die schwierige Phase: "Normalerweise bedeutet eine Schulterverletzung für den Kajak-Fahrer das Aus." Doch im April besiegte er in der Qualifikation für Olympia in Augsburg überraschend den hohen Favoriten Thomas Becker, amtierender Weltmeister und Olympia-Dritter 1996. Becker hatte Deutschland mit seinem WM-Titel den Startplatz in Sydney gesichert - Schmidt fuhr nach Australien. Bis gestern war er einer von 428 deutschen Athleten, nur Experten konnten mit seinem Allerweltsnamen etwas anfangen. Doch bei der Siegesfeier im Deutschen Haus wurde er bis in die Nacht hinein gefeiert. "Mir haben heute Leute die Hand platt gedrückt, die mich vorher nicht einmal kannten", meinte der Deutsche auch ein wenig kritisch.

Trotz des Jubels wollte Kajak-Coach Pohlen keine "Augenauswischerei" dulden. "Das Gold darf nicht verdecken, was in den zurückliegenden Jahren alles schief gelaufen ist. Es ist ein Unding, dass es in unserer Sportart nur zwei hauptamtliche Trainer gibt, der Nachwuchs unzureichend betreut wird und die Gelder immer mehr gekürzt werden", meinte er gewohnt kritisch. "Wir müssen uns bald zusammen setzen und klären, wie es weiter gehen soll", erklärte Pohlen, der sich aber nicht dazu äußern wollte, ob er sich um das neu ausgeschriebene Amt des Cheftrainers bewerben wolle.

Abgezockt wie ein Routinier hatte Schmidt die Pause zwischen den beiden wichtigsten Läufen seiner Karriere überbrückt: Er schmökerte in der Fachliteratur für sein Wirtschaftsstudium. "Das mache ich immer so, aber abergläubisch bin ich nicht", sagte er trocken. "Er ist eben ein cooler Typ", sagte Pohlen. Noch vor vier Jahren hatte er im Training vor Wut über seine Leistung zwei Paddel zerdroschen. "Ich glaube, ich habe ein bisschen an mir gearbeitet", schmunzelte Schmidt. Im Schilf am Rande der Strecke tankte er vor dem entscheidenden Lauf Konzentration. "Da hörte man den Sprecher und die kreischenden Zuschauer nicht so doll", begründete er sein mentales Training.

In der Stunde seines Triumphes gingen seine Gedanken auch zu seinem Verein in Bad Kreuznach, wo mehr als 30 seiner Freunde die Live-Übertragung ausgelassen am Fernseher verfolgten. In einer überraschenden Direktschaltung der ARD nach Bad Kreuznach konnte Schmidt mit seinem Vater telefonieren. Schmidts Freundin, die auf eigene Kosten nach Sydney gereist war, war siegessicher gewesen. "Ich habe schon am Start losgeheult, weil ich wusste, dass er es schafft."

Martin Haegele

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false