zum Hauptinhalt

Sport: Williams vs. Zander

Bei meinem letzten Heimspiel-Besuch machte ich eine akustische Feststellung, die verblüfft: Zander singt nicht mehr. Da laufen die Spieler reihenweise ins Olympiastadion ein, und kein Frank begleitet sie dabei.

Bei meinem letzten Heimspiel-Besuch machte ich eine akustische Feststellung, die verblüfft: Zander singt nicht mehr. Da laufen die Spieler reihenweise ins Olympiastadion ein, und kein Frank begleitet sie dabei. Kein „Nur nach Hause, nur nach Hause, nur nach Hause geh’n wir nicht“ zu Rod Stewarts „Sailing“-Melodie. Kein Moment aufkeimender Scham beim Blick auf den gegnerischen Fanblock, wo man immer höhnisch Beifall klatschte, wenn Zander niedlich „Freunde, nun wollen wir unserer Hertha-Mannschaft mal die Däumchen drücken“ fauchte oder zwischen den Strophen brave Knaller-Gags abfeuerte wie „Was soll’n wir denn zuhause, bei den hohen Mieten, bei dieser Schwiegermutter? Da bleiben wir doch lieber hier im Stadion“. Während man sich immer wünschte, dass er mal so was wie „Ballack ist ein Hurensohn“ einschiebt oder „Wir wollen keine Hamburger Schweine“ oder von mir aus auch „Was ist grün und stinkt nach Fisch? Werder Bremen“ grölt – echte Fangesänge eben und nicht die „7 Tage 7 Köpfe“-Version fußballhumoristischer Korrektheit.

Beim letzten Heimspiel jedenfalls plötzlich keine Spur mehr vom Zander, Frank. Stattdessen läuft Robbie Williams’ „Let Me Entertain You“ zum Einmarsch der Mannschaften. Ähnlich alt wie Zander, textlich genauso fußballfern, aber klanglich äußerst wirkungsvoll: Die Ostkurve tobt. Und zum ersten Mal ist da ein Funke stilvoller Fankultur, der über das Stadion zischt, ein regelrecht cooler Auftakt eines Hertha-Spiels. Es geht also doch. Und wenn Friedrich, Simunic und Kovac umflort von Williams’ hymnischem Piano-Intro kraftvoll den Rasen betreten, spürt man erst, wie man ihren kernigen Star-Appeal vernachlässigt hat, als sie noch zu „Nur nach Hause“ einlaufen mussten und als „die Jungens von der Hertha“ besungen wurden.

Umso erstaunlicher, dass die Ostkurve ungefähr in der 32. Minute ihre Fanschals über den Köpfen ausbreitet und aus freien Stücken „Nur nach Hause“ anstimmt. Das ganze Lied in all seiner Traurigkeit einmal durchgesungen. Ich frage meinen Sitznachbarn, wie er sich das erklärt. „Det jibt eben keene andere Hertha-Hymne“, sagt der knapp. Schade. Und es wäre wirklich Quatsch, wenn die jetzt alle nochmal „Let Me Entertain You“ singen würden.

Später rufe ich bei der Hertha-Fan-Hotline an. Ich frage eine freundliche Dame, wieso statt Zander Williams lief und ob das so bleiben wird. Sie verspricht, mich mit jemandem zu verbinden, der sich da auskennt. Die Warteschleife ist von RS2 zusammengestellt und klingt wie ein Autoscooter auf einem Provinz-Jahrmarkt. Dem höre ich eine Minute lang zu, dann knackt es und die freundliche Dame ist wieder dran. „Also“, sagt sie, und dass sie sich erkundigt habe und die Sache mit der Stadionhymne ein Geheimnis sei. Ich möchte wissen, was das zu bedeuten hat. Aber das sei eine Überraschung, sagt die freundliche Dame. Ich solle mich bis zum Duisburg-Spiel gedulden. Und plötzlich ist sie wieder spürbar, die Liebe zur Hertha, die aus einem Heimspiel ein Weihnachtsfest macht mit geheimnsivollen Überraschungen.

Gibt’s also heute eine neu komponierte Hertha-Hymne? Vielleicht von Seeed? Oder von Sido? Das wäre natürlich ein Traum. Oder doch eher „Bleib’n wir hier“ von Ben zur Melodie von „Let It Be“?

Christian Ulmen, 29, ist Schauspieler und Hertha-Fan. Wenn Hertha ein Heimspiel hat, erscheint seine Kolumne an dieser Stelle.

Ein Selbsterfahrungskurs in 17 Lektionen

Von Christian Ulmen

Ein Selbsterfahrungskurs in 17 LektionenVon Christ

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false