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Der Pokal der drei Hasenköpfe ruht auf einem anständigen Holzbock.

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Dreifaltigkeit in der Hasenkopfliga

Unser Kolumnist Frank Willmann berichtet diesmal von einem seltsamen Kräftemessen zweier brandenburgischer Städte. Seit 222 Jahren messen sich Lebus und Seelow in einem archaischen Ritual, das inzwischen entfernt an Fußball erinnert.

Der zwölfjährige Dolf streichelte seine kleine Schwester Charlene liebevoll über den Kopf. Heute hatte sie zum ersten Mal vom traditionellen Geheimkampf Lebus gegen Seelow erfahren. Von den Helden am Lagerfeuer, die mit leuchtenden Augen von ihren Taten berichteten. In den wunden Tatzen Bier und dampfenden Ochsenbraten.

Seit zweihundertundzweiundzwanzig Jahren messen die beiden brandenburgischen Städte ihre Kräfte. Wo bis ins Jahr 1899 noch Knüppel, Fäuste und Dreschflegel zum Einsatz kamen, regelt man heute über König Fußball die innerstädtischen Angelegenheiten. Ein Fußballspiel in leicht abgewandelter Form.

Lebus war wie immer für das Ausbaldowern und Präparieren des streng geheim gehaltenen Spielorts zuständig. Üblicherweise wird kurzerhand im Wald eine Lichtung geschlagen. Dort zwei Tore aus frischer Kiefer installiert und gut. Es sollen aber auch schon von findigen Flurarchitekten Spielfelder auf zwei miteinander verketteten, auf der Oder schwankenden Oderkähnen verlegt worden sein. Zuschauer sind wie immer nicht zugelassen. Man muss sich auf die geraunten Wiedergaben jener konzentrieren, die dabei gewesen sind. Schriftliche Bekenntnisse und Fotos sind zweifelsohne verpönt. Trotzdem weiß jeder im Land seit Generationen von den konspirativen Vorgängen. Diesmal soll der Fight auf dem Hang nahe der Schinderküte realisiert worden sein. Dort, wo der Sage nach der Goldene Ball von Bern einst ruhte und der ungekrönte Waschbärkönig des Oderlands sein schattenvolles Reich hat.

Die kleinwüchsigen Seelower, versehen mit sehr großer Zickigkeit, waren wie immer ganz brüllender Siegeswille. Die Lebuser hingegen dämmerten in verschwiegener Stille in den Tagen vor dem Treffen in ihren Hütten. Einige übten sich in einer Art Schaukampf. Der Urlebuser gegen den Rucksacklebuser. Ein willkommenes Schauspiel um die Standhaftigkeit der frischen Kräfte zu erschnüffeln. Das Lebuser Konterfei zeichnet sich durch ein enormes Riechorgan aus, das sie binnen Sekunden Freund oder Feind erkennen lässt. Diese Schnüffelnase ist ein Relikt aus jener Epoche, als Lebus noch Bischofsstadt gewesen und man den Seelowern gerade gestattete, ein beklagenswertes Zicklein in ihr Stadtwappen zu pflanzen. Seither trägt der Seelower eine sichtbare Zicke im Wappen und eine unsichtbare Zicke auf dem Buckel.

Der Seelower ist sehr stolz auf seinen Funkturm (Höhe 1,80 Meter). Der Lebuser benutzt oft umgedrehte Psychologie, wenn er Fremden den Seelower erklärt. Das klingt etwa so: „Die Seelöwer Höhen sind viele tausend Jahre alt. Die Entstehungsgeschichte ist verbürgt. In Altlebuser Mundart. Immer wenn der Seelower sich an den Lebuser erinnert, wird es ihm flau im Darm und er geht auf die Höhen. Die wachsen und wachsen. Wie das wohl in 100.000 Jahren aussieht. Oder in 200.000?“. 

"Die Oder kommt, die Oder geht. Wohl dem, der diese Wort versteht!"

Im Lebuser Stadtwappen prangt der böse Wolf, der ein Zicklein in seinem Maule trägt. Das sagt einiges über Sitte und Seele des Spiels. Die Seelower reiben sich traditionell vorm Aufeinandertreffen gegenseitig mit gebrauchtem Frittenfett ein. Diese Sitte geht auf Loderich von Selow zurück, der bei der dritten Belagerung Jerusalems durch die Osmanen, derart getarnt, unauffällig mit seinen Getreuen aus der Stadt durch die Reihen der Feinde zu schlüpfen gedachte. Natürlich wurden sie geschnappt und in riesigen Töpfen auf kleinem Feuer gegart. Das traurige Ende Loderichs und seiner Schar wird in Seelow hartnäckig geleugnet. Loderich ist seit jeher der inoffizielle Stadtheilige und Beschützer der Witwen und Waisen. Wir wollen nicht das Wort Pöbel in den Mund nehmen, indes gelegentlich die Clique der Seelower ungeeignet scheint, eins plus eins miteinander addieren zu können. Gut, werdet ihr sagen, schon Icke Häßler und Lukas Podolski haben hinlänglich bewiesen, beim Fußball geht’s ohne ohne das Hohelied des ABC zu. Jedoch ist die große Masse der Seelower bereits mit der Zahl Eins nicht klar gekommen. Sie sollen die Eins und deren Bedeutung nicht kennen. Sie verjubeln ihre Tage im feuchten Schatten der Reitweiner Nase und träumen vom Tag der Rache. Wenn endlich in ihrem Stadtwappen wieder der Wolf steht, der das Zicklein frisst. Denn um nichts anderes geht es bei der eleusinischen Belustigung.

Das Spiel: Auf einem anständigen Holzbock ruht der Pokal der drei Hasenköpfe. Die Seelower mussten, als Verlierer der letzten zweihundertundzweiundzwanzig Treffen, vorm Spiel einen Liter Zickenmilch trinken. Nun trat ein weiser Bärtigmann nach vorn. In der linken hielt er eine Nachbildung des Goldenen Balls von Bern. Er schleuderte ihn aufs Spielfeld und brummte: "Die Oder kommt, die Oder geht. Wohl dem, der diese Wort versteht!" Dann rannten alle sechsundsechzig Akteure los. Welche Mannschaft als erste den Ball mit dem Fuß im Tor des Gegners untergebracht hat, ist Sieger. Das dauert hier und da zehn Minuten, dann wieder drei Stunden. Die Recken sind eng miteinander verzahnt, mal schiebt sich das Gemenge nach rechts, mal nach links. Irgendwann gewinnt dann Lebus. Manche meine, es würde an dem Liter Zickenmilch liegen, der vom Bärtigmann mit unbekannten Essenzen versehen sei, nicht mehr ganz taufrisch sei usw. Andere sagen, die Seelower verlieren einfach nur gern.

Der Verlierer aus Seelow musste nun in Ziegenfell gekleidet, und auf allen vieren gehend, einmal durch Lebus. Natürlich pausenlos meckernd, wie es sich für ordentliche Zickenstädter gehört.

Wie in all den Jahren, ach Jahrzehnten davor, traf sich hernach alt und jung im Lebuser Sportlerheim. Der Mondhase glühte käsig und hob huldvoll die Ohren. Die drei Hasentrophäen thronten wie immer an der Lebuser Theke, während der Seelower Mob in Sackkarren von der eigenen, wie immer händeringenden Frauenschar, abgeholt wurde. Es war wunderschön, weil es alles wie immer war. Der Lebuser stülpte die Lippen über den Mund seiner Lebuserin. Beide lachten ihr schreckliches Lachen. Im nahen Odergebüsch nutzten Papa Waschbär und Mama Biber die feierbedingte Abwesenheit der Odergärtner und machten sich in aller Ruhe über die Koniferen, Affenbrot- und Nutellabäume von Laura, Wilm, Paula und Antje her.

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