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Sieger und Besiegter: Jens Keller (l., Sieger, Siegmund in vorübergehendem Ruhestand) und Jürgen Klopp (r., Besiegter, Messias im Amt).

© rtr

Willmanns Kolumne: Die Tragik, die dem Wettkampf innewohnt

Es gibt sie in jeder Liga, die Vereine, bei denen es bereits früh in der Saison nach Trainerwechsel muffelt. Unser Kolumnist Frank Willmann berichtet in gewohnter Manier über Trainer, die ihre Existenz als Trainer für das Ende der Krise hergeben müssen.

Noch ist die neue Saison keine drei Monate alt, doch schon donnern schwere Geschütze durch die Fußballrepublik Deutschland. Egal in welcher Liga. Es regieren je nach Tabellenlage tiefer Schmerz oder höchstes Glück in den Herzen der Fans. Nichts schlägt den teilnehmenden Zuschauer mehr in Bann, als die dem Wettkampf innewohnende Tragik. Erster oder Letzter, Hammer oder Amboss. Die elementare Differenz zwischen Sieger und Besiegtem. Appelle werden in Mikrofone gebellt, Fäuste hämmern auf Türen, das Fleisch liegt offen. Präsidenten klagen in den Nachthimmel. Dort soll der Fußballgott hausen. Ein unsachlicher Haudegen, der seinen teuflischen Launen jederzeit freie Bahn gibt. Das letzte Schlachtfest noch im Gedächtnis. Ein kleiner Stalin, ein böser Diktator, der uns Erdenwürmern auf die Gipfel der Verzweiflung treibt. Ihn interessiert ganz bestimmt keine kultur- und gesellschaftserzeugende Kraft.

Wir existieren unablässig zwischen den Paradiesen. Wir sind geschwätzig vor Trauer. Jeder Tag bringt neues Grausen, wir driften in Trancezuständen des Stumpfsinns, hohle Pfeiftöne dringen uns Übersensiblen in den Kopf. Auf Schalke, in Jena, bei Union müssen Köpfe rollen, Bomben platzen und Schlachten geschlagen werden. Natürlich ist das Fußballsprech und streng metaphorisch zu verstehen. Auch wenn es nachdrücklich wie Trainerwechsel oder Rausschmiss muffelt, stinkt es nicht wirklich im deutschen Fußball.

Es sind nur ausgewürgte Gedanken, die uns endlich Klarheit verschaffen sollen. Oberflächlich gesehen, kennen wir die Gründe. Es sind die Kollisionen zwischen den gerechten Pflichten und den selbstgerechten Zielen unserer Mannschaften. Die Spürhunde der Realität im Nacken, greinen wir nach Auswegen, Alternativen, dem Schlüssel zum Glück. Schalke leistet sich einen polyglotten Italiener. Er hat sich einst beim stylischen FC Chelsea den ersten Nagellack geholt. Nun ist er der Auserwählte. Jung Siegfried naht, um gewandet in edle Herrengarderobe die im Volksmund als Malochertruppe bezeichneten Spieler vom FC Schalke 04 aus dem Styx zu holen. Das Gegenmittel muss mindestens die alten Zustände auf den Kopf stellen.

Wir Voyeure lümmeln derweil entspannt auf der Couch des Vergessens

Beim 1. FC Union folgte auf den mürrischen Experten des 1+1-1+1-1=0 ein höflicher Weltreisender, der die Stelle nach dem Komma zur Chefsache machte. Doch der Plan ging nicht auf. Das große Nevermore rückt näher, der Bart wird struppig, die Schläfen färben sich weiß. Entscheidungszwang pur, die lärmende Schar der apokalyptischen Reiter naht. Ich spüre schon den Atem ihrer schweißnassen Pferde. Unheimliche, schwarze die Boten der Nacht. Eine finstre Gestalt stellt seinen kleinen Lederkoffer ab. Es ist der Langerwartete. Er klopft dreimal gegen die Pforte des Stadions An der Alten Försterei. Aus dem Schatten lösen sich derweil drei eifrige Skribenten. Ihre Fotoapparate verneigen sich vor dem Opfer. Sie hören auf die Namen Geifer und Schmalz. Ich weiß, welcher der Liebste mir ist.

Wir Voyeure lümmeln derweil entspannt auf der Couch des Vergessens. Himmel und Hölle, die Clubs aus den einstigen Kohleabbaurevieren haben eine besondere Verbindung zur Unterwelt. In Dortmund ist das Vertrauen in Messias Klopp noch nicht gewichen. Er hat bestimmt irgendeinen Plan. Er führt die Getreuen durch das Meer des Herzwehs. Auch wenn niemand so recht seinen Großen Plan erkennen kann. Jeder ist Jedermanns Gegner, die Unstimmigkeiten werden zu einem Höchstmaß gedehnt. Sieg oder Niederlage, ein nahezu klassisches Fußballdrama nimmt in Dortmund und bei Union Berlin seinen Lauf.

Welche Höchstleistungen planen Klopp oder Düwel aus den Körpern ihrer Spieler zu kitzeln? Die Körper der Fußballer sind seine Machtfaktoren, sie sind Ausdrucksmittel, sie stellen dar, was ein Trainer kann und will. Die Kollision der Figuren des Dramas oder die Überwindung der Krise. Der Trainer als letzte Instanz. Die meisten Fälle (siehe Schalke) enden mit der unbarmherzigen Opferung des unschuldig Schuldig-Gewordenen. Sein Herz war wüst, seine Hände waren schmutzig. Wenn alle Dramenpersonen sich gegen die Hauptperson vereinigt haben, und dieser die Schuld für die Situation des Vereins aufladen. Und ihn zwingen, seine Existenz als Trainer für das Ende der Krise hinzugeben. 

All dies findet statt unter den weit aufgerissenen Augen jener, die sich unserem Sport in all seiner Hitzigkeit verschrieben haben. Obgleich es möglicherweise kleinen Mädchen auf den Magen schlagen wird, wenn sie beim Besuch eines Fußballspiels die rasende Urgewalt im Inneren ihrer Väter, vereinzelt auch Mütter, rumoren hören. Im wahren Leben steht der Pantoffel immer am rechten Fleck, doch auf dem Fußballplatz fordert das Gespenst der Freiheit seinen Tribut. Im Fußball gibt es nur heiß und kalt. Wasser und Eis. Manchmal ganze Geschwader von Eisbergen. Ziemlich unwirtlich, da hält sich kein Leben drauf. Bleibt nichts oben. Es geht abwärts, hinunter zu den Fischen. Doch die Feier geht weiter, während wir sinken. Wir halten einfach nur unsere Gläser fest. Und die Pappeln verlieren geruhsam ihr Laub.

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