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Schnee-Treiben. So macht Fußball Spaß.

© dpa

Willmanns Kolumne: Ein Fußballdichter im Schnee

Ein paar Flocken reichen heutzutage schon, um Sportplätze für unbespielbar zu erklären. Unser Kolumnist Frank Willmann erinnert sich an seine Jugend im Bratwurstland, als niemand auf die Idee gekommen wäre, ein Fußballspiel wegen Schneefalls abzusagen.

Heute stehe ich als verzweifelter Fußballdichter am Fenster und blicke auf den frischverschneiten ehemaligen Todesstreifen darunter. Schnee, du Geißel der Menschheit! Aus der Traum vom Fußballwochenende im schönen Poststadion. Seit Wochen vermiesen uns Stehranghelden Frau Wetterfrosch samt ihren Bösen Onkels von der Firma Klimawandel das Wochenendvergnügen. Dazu kommt die Arglist der städtischen Angestellten, die beispielsweise in Magdeburg einfach nicht den AN-Knopf für die Rasenheizung fanden und bei jedem Schneeflöckchen Reißaus unter Muttis Kittelschürze nehmen. Fußball im Blamierformat! Die Meute der einst johlenden Fans hockt trotzig in ihren Dörfern und gibt sich bockigen Träumereien hin. 

Seifig war meine Kindheit, als Pittiplatsch Schnatterinchen nachstellte und Rostbratwurstduft mein kleines Thüringerherz zum Pumpen brachte. Heute ist die Rostbratwurst vorgebrüht und die gute, alte Holzkohle unwürdigen Elektrogrillanlagen gewichen. Um die Umwelt schön sauber zu halten.

Geliebte Umwelt, wie schlecht ging’s dir gestern, als grässliche Kombinatsdirektoren ungefiltert ihre Braunkohle durch den Schornstein schickten. In Halle fiel der Schnee schwarz vom Himmel, manchmal war der Schnee purpur. Wenn in Leuna wieder an der Geheimformel gebastelt wurde und seltsame Gase die Lüfte schwängerten. Schläfer grüß mir die Sonne, grüß  mir die Atomraketen! Grüß mir die Wolken, die Wolken, die von Purpur sind! Eine irre sowjetische Labormaus versuchte tatsächlich über viele Jahrzehnte, Erdöl aus dem Wasser der Saale zu gewinnen. Raffiniert, oder?

Weimar im Winter 1980. Lustig wummerte der Ofen, draußen lag meterhoch der Schnee. Trotzdem wäre niemand auf die Idee gekommen, deshalb ein Fußballspiel abzusagen. Pünktlich um acht wartete der alte Roburbus vorm Stadion und schluckte Jungs. Hatte er vierzehn und einen Trainer beisammen, schlitterte er auf matschigen Straßen Richtung Mellingen. Dort warteten die berüchtigten Traktorfußballer auf uns Intelligenzlersöhnchen. Um uns die Scheiße aus dem Leib zu prügeln und einfürallemal zu klären, welcher Verein König im Bratwurstland ist.

Der Mellinger realisierte angeblich seit Generationen eine komische, ländliche Gemeinschaft. Roter als rot! Inzestuöses Leben, flüsterte Olaf und bekreuzigte sich. Unser Trainer sagte immer „Hier heeßen alle mit Vornamen Lenin oder Stalin und mit Nachnamen Misthaufen oder Holzzipfelmütz!“ Auffällig waren die roten Haare und die roten Nasen. Jeder Mellinger und jede Mellingerin war rothaarig. Die tiefrote, gummiartige Nase hing ihnen wie ein Abflussrohr im Gesicht. Sie waren mit allen Jauchen des Sozialismus gewaschen. Listig, robust, gemein. Ihre Statur erinnerte an Brühwürfel. Klein aber kompakt.

Willmann macht schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Mellinger Nüschel

Wie durch ein Wunder hielten wir bis zur 80. Minute gegen diese kommunistischen Bauernklone ein 0:0. Plötzlich schickte mich Freund Sauerbier in einem Anfall von Genialität steil. Vor mir nur noch drei Mellinger Stumpen. Ich umkurvte den ersten. Vor mir der zweite. Aus seiner tiefroten Nase schlugen Blitze, ich schloss die Augen und sprang. In meinen Ohren klangen Engelschöre nach, als ich sanft auf dem Schneeboden landete und mit Siebenmeilenschritten auf den letzten Mellinger zustürmte. Der letzte Mellinger, ihr Torwart. Er rotzte fies in meine Richtung und breitete die Arme aus. Er spielte ohne Torwarthandschuhe. Er war so breit wie zwei Brühwürfel. Er brüllte, ich brüllte, wir liefen aufeinander zu. Ich hob ab, um abermals durch einen geschickten Sprung zu brillieren. Er ahnte meine Absicht und sprang ebenfalls. Im Zenit trafen wir uns. Er harpunierte mit seinem struppigen Kopf, welchen der Mellinger auch Nüschel nennt, meine Zierden der Männlichkeit. Etwas explodierte und das Licht ging aus.

Ich erwachte im Krankenhaus. Mein Unterleib ganz Ballon. Katrin, die Perle des Ilmtals, hielt mir die Patschhand. Mir schwante Schlimmes. Hatten es die Mellinger wirklich geschafft? Mit mir, dem letzten männlichen Spross, das Willmannsche Geschlecht zum Erlöschen zu bringen? Vor mir lagen bange Tage des Schmerzes, doch mit Katrins tatkräftiger Hilfe erlangte ich bald positive Nachricht.

Das Spiel hatten wir im Übrigen gewonnen, da beim Aufprall der Körper der Ball einen derartigen Aufwind bekam, dass er bis ins Tor der Mellinger rollte. Beim nächsten Schneespiel stand ich wieder auf dem Platz und besuchte am Nachmittag das Schneespiel der Zeisskicker, die bei klirrender Kälte Beute gegen Stahl Riesa machten. Die Strecke von Weimar nach Jena bewältigten wir mit unseren Mopeds. Gut eingemummelt als Haudegen der Landstraße. Am Sonntag schauten wir uns meist noch das Spiel unseres lokalen Vereins an. Motor Weimar. Auf den Rängen bauten wir Schneemänner, bewarfen die Linienrichter mit Schneebällen und bestaunten die langen Eisstangen, die wir an der Rückwand unserer alten Holztribüne abbrachen.

Der Ball flutschte über den Schnee, wir knabberten in der Halbzeit an unserer BoWu und die rote Brause floss in Strömen.

PS: Am kommenden Samstag sollte Jena beim Berliner AK kicken. Das Spiel wurde schon Tage vorher wegen ein paar Zentimeter Schnee abgesagt. Bleibt wieder nur das Einchecken im Erinnerungshotel. Voll Sehnsucht nach dem nächsten, verzückenden Kick.

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