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Vor dem Millerntorstadion des FC St. Pauli erinnern Gedenkstein und -tafel an die Gefallen des Zweiten Weltkriegs. Ansonsten gibt es derartige Würdigungen im deutschen Fußball kaum.

© Imago

Willmanns Kolumne: Gedanken zum Gedenken

Unser Kolumnist beamt sich angesichts des scheinolympischen Wahns im öffentlich-rechtlichen Fernsehen heute zurück in eine Zeit, als er noch Lätzchen trug. Und er meint es diesmal wirklich ernst.

Am Sonntag 13 Uhr 29 starb Winnetou in den Armen von Old Shatterhand. Die Minuten davor ging es ihm schon richtig schlecht. Bevor seine aufgebahrte Franzosenleiche von jugoslawischen Hilfskräften in den adriatischen Sonnenuntergang geschultert wurde, bemächtigte sich der Wahnsinn meines rechten Daumens. Er verharrte nicht auf der Fernbedienung, sondern drückte sie. Ich geriet in Folge dessen in eine scheinolympische Quakquaksendung. Neunzehn ganze Minuten schnappatmete ich regungslos in der öffentlich-rechtlichen Verdammnis. Aufklärung? Ach Nö! Gibt es Schlimmeres als infantile Kati Wilhelms, schnatternde Kati Witts und trostlose Kati Müller-Hohensteins? Ehe mich der plötzliche Hirntod ereilte, hechtete meine Freundin mit einer galanten Beckerrolle auf unser Sofa. Eine frauensportliche Höchstleistung. Sie entriss mir die Fernbedienung und kappte den heißen Draht ins Jenseits der Unterhaltung. Sie rettete mir den Verstand.

Ich lehnte mich entspannt zurück. Vor meinem geistigen Auge liefen: "Der schwarze Kanal" und die "Aktuelle Kamera". Einstige propagandistische Pioniertaten des DDR-Verblödungsfernsehens. 

Liebliches Kreissägengekrächz, wir haben Frühling verdammt nochmal! In ein paar Tagen werden in den Unterklassen des deutschen Fußballs wieder Bälle getreten. Zu Ehren unseres schönen Sports lustwandele ich auf den Balkon und atme tief die Berliner Luft ein. Oh, oh ihr rätselhaften Schmerzen der Winterpause, weichet von mir! In Leipzig soll angeblich ein erstes Nachholspiel ausgetragen werden. Ah, ah Glöckchen klingeln, es riecht nach Lederfett.

Je-Je-Je - Motor Weimar, ole ole!

Ich beame mich in eine Zeit, als der kleine Frank noch Lätzchen trug. Schniddel, Assi und ich auf dem Weg zum Lindenberg. Dort spielten die Helden meiner Kindheit Fußball. Motor Weimar. Dort malträtierte ich in frühester Jugend auch ein paar Jahre den Fußball. Zweite Liga, das sagenhaft langweilige DDR-Fernsehen machte einen großen Bogen um unser Stadion. Die Spiele waren Tritte in den Hintern des DDR-Sozialismus. Ehrliche Arbeiterfäuste stemmten die Humpen und machten schmutzige Witze über den Bart des Staatsratsvorsitzenden. „Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen.“

Wir kopierten schlichtweg alles aus dem Westen. Unsere Omas schmuggelten "Bravo" und "Kicker" in die Zone. Die Zeitschriften rochen nach Luxseife und 4711. Sie waren voller Anregungen. Wir waren immer auf dem neuesten Stand der kapitalistischen Moden. Assi holte die erste Runde Fassbrause. Wir schielten zu den Großen rüber und sangen "Je-Je-Je - Motor Weimar, ole ole!" Waren Gästefans zugegen, brüllten die Erwachsenen dreimal hintereinander: Wir spielen euch das Lied vom Tod! Und schüttelten ihre schwieligen Arbeiterfäuste.

Warum gibt es keinen Gedenkstein für im Krieg gefallene Fußballer?

Unsere Väter standen im Pulk und tranken fröhlich ihr Sonntagsbier. Die einzige Frau im Stadion war die Wirtin der Klubkneipe. Eine robuste Rothaarige, sie hat Haare auf den Zähnen, zitierte ich meinen Vater. Als Schniddel mit der nächsten Runde roter Brause kam, brüllte er schon von weitem: Du lügst, ich hab keine roten Haare bei der Wirtin auf den Zähnen gesehen.

Wenn wir die zweite rote Brause intus hatten, mussten wir pinkeln. Das taten wir meist hinter einem großen Stein. Wie alle Besucher der Hintertorseite. Irgendwann schauten wir uns den Stein genauer an. In seiner Mitte prangte ein Eisernes Kreuz. Ein Gedenkstein, der an die gefallenen Fußballer des ersten Weltkriegs erinnerte. Zu dieser Zeit hieß unser Heimatverein nicht Motor Weimar, sondern SC 1903 Weimar. Das klang ein bisschen nach Westseife. Ein paar Tage später fragte ich unseren Sportlehrer, der gleichzeitig ein toller Motor-Fußballer war, warum unser Klub "Motor" heiße? Und warum es keinen Stein für die gefallenen Fußballer des 2. Weltkriegs, und für von den Nazis ermordete Fußballer gebe? Er schaute mich lange an, strich mir über den Kopf und sagte. Das ist Politik, so sind die Menschen, das kann man nicht verstehen. Wir verstanden vielleicht doch. Ein wenig. Und pinkelten unsere rote Brause nun in die angrenzenden Schrebergärten des Sportplatzes.

PS: In Ostdeutschland und Westdeutschland gemahnten bis 1989 die jeweiligen nationalen Fußballverbände selten bis gar nicht an von den Nazis ermordete Fußballer. Von der Vertreibung der Juden aus dem deutschen Fußball nach 1933 ganz zu schweigen. Der am Donnerstag erscheinenden Ausgabe der 11Freunde liegt eine großartige Broschüre bei. Sie heißt "Verlorene Helden" und erinnert auf 34 Seiten an diese Sportler.

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