zum Hauptinhalt
Die Dichterfürsten Goethe (li.) und Schiller auf dem Theaterplatz in Weimar.

© dpa

Willmanns Kolumne: Goethe, Hasi und die Discoschlampen

Unser Kolumnist verlebte in Weimar nicht nur eine schöne Jugend. 180 Tage lang musste er als Lehrling einmal an einem Schlüssel feilen. Und das nur, weil sein fußballerisches Talent allein für die zweite Mannschaft reichte. Ganz anders bei Hasi.

An einem fieskalten Novembertag vor 33 Jahren entschied sich mein fußballerisches Schicksal. Wie alle über 18, durfte ich nicht mehr in der Juniorenmannschaft von Empor Weimar mitspielen. Ich war zu alt. Und wenn junge Kicker in der DDR also erwachsen wurden, mussten sie den schweren Gang in die zweite Mannschaft ihrer Klubs antreten. Ich kann mich noch sehr gut an den ersten Trainingstag erinnern.

Es hatten sich nur wenige Jungs überhaupt getraut, bei den „Alten“ aufzutauchen. Schließlich musste man, um dazu zu gehören, einem der gestandenen Hartplatzhelden den Platz streitig machen. Misslaunig wurden wir von verbissen kläffenden Kötern in den Trainingsprozess integriert. „Habt ihr überhaupt schon Haare am Sack?“ Die Alten, eine sagenumwobene, verschworene Gemeinschaft. Sie fochten auf den umliegenden Dörfern seit Jahrzehnten ihre mythischen Kämpfe gegen holzköpfige Bauern aus. Sie tranken Feuerwasser aus Eimern und brachten mit ihren feisten Bierwampen die Herzen der Weimarer Discoschlampen zum Glühen. Sie waren die draufgängerische Vorhut der Stadt Goethes & Schillers und drängten das Heer der Landbewohner zurück über die Stadtgrenzen in ihre Kolchosen. Wenn die Bauernsöhne mal wieder versuchten, in die Kaschemmen der Stadt zu gelangen, um dort einen Blick auf die legendären Weimarer Discoschlampen zu erhaschen.

Sport bot einen Ausweg aus der tagtäglichen Verblödung

Auch die Schule war für mich Vergangenheit. Meine stand am Rande eines Neubaugebiets. In Weimar lauern an jeder Ecke Goethe oder Schiller. Nietzsche hat dort Tauben vergiftet. Die Schule im Neubaugebiet lag folglich am Dichterweg. Meine humorlosen Lehrer versuchten alles, um mich in eine gleichgeschaltete sozialistische Amöbe zu verwandeln. Unser öder Mathematiklehrer war bereits 1979 Fahrradhelmträger, als noch kaum ein Mensch von der Existenz der Fahrradhelme wusste. Schule war Freiheitsberaubung. Linderung verschafften die Köstlichkeiten des Bäcker Preußel und der Fußball. Jedes Weimarer Kind musste neben der Schule gesellschaftliche Arbeit leisten. Ziel der SED war, bereits die Kinder zu knechten und auf Linie trimmen. Die Partei hatte immer recht. Doch der Sport bot einen Ausweg aus der tagtäglichen Verblödung. Meine klugen Eltern meldeten mich früh beim Fußball an, ich durchlief in verschiedenen Weimarer Klubs die Jugendmannschaften. Fußball galt im Sportland DDR als wichtige gesellschaftliche Arbeit. Meine unsportlichen Klassenkameraden hingegen, die Brillenschlangen und Käuze, waren bis zum Abendbrot der „Rotlichtbestrahlung“ (DDR-deutsch für Propagandaberieselung) ausgesetzt.

Weil aber mangelnder Trainingsfleiß und mäßige Veranlagung die große Karriere nicht möglich machten, blieb mir irgendwann nur der zweitbeste Weimarer Klub. Empor kickte auf ehrlicher Schlacke einen harten Fußball. Danach wurde sich mit ehrlichem Bier in der Gastwirtschaft „Zur letzten Träne“ sinnlos betrunken. Sonst gab’s ja nüscht im Arbeiter und Bauernparadies! Wer nicht mehr konnte, landete unweigerlich im Plumpsklo. In der letzten Träne hatte die Moderne in Form eines Wasserklosetts noch nicht Einzug gehalten. Unsere Mannschaft war ein Mix ewiger Talente und  störrischer Frechlinge. Allesamt im großen Weimarer Fußball gescheitert. Viele von den Jungs traf ich während der Schrecken meine Lehrzeit wieder. Ich versuchte damals, den Beruf eines Maschinen- und Anlagenmonteurs zu erlernen. Wir wurden bereits am ersten Tag in blaue Arbeitskleidung gesteckt, bekamen eine idiotische Kappe auf, mussten in einer Lehrwerkstatt Aufstellung nehmen. „Das erste halbe Jahr wird gefeilt“, knurrte ein Zwerg, der sich später als immerböser Lehrmeister erwies. Jeder der verzweifelten Jungs bekam im September zwei Metallstücke zugeteilt. „Das wird `n Schlüssel, das andere `n Schloss. Noch Fragen?“. Acht Stunden hatten wir die nächsten einhundertachtzig Tage keine Fragen mehr. Das war es also, das Leben eines Erwachsenen im Sozialismus.

Ein künftiger Spitzenfußballer durfte nicht acht Stunden am Tag Metall feilen

Nur einer aus meiner Lehrklasse kam um das Feilen herum. Hasi hatte beim Fußball besser aufgepasst als ich. Er spielte noch immer bei Motor Weimar, war sogar in die zweite Herrenmannschaft aufgerückt. Hasi nannte sich stolz Perspektivspieler. Die Betriebssportgemeinschaft Motor Weimar war gewissermaßen der Werksklub des VEB Landmaschinenbaukombinat Fortschritt, unseres so genannten Lehrbetriebs. Motor kickte in der Zweiten Liga. Ein künftiger Spitzenfußballer durfte nicht acht Stunden am Tag mit einer Feile Metall berücken. Er war für die Motormannschaft, den Stolz aller Arbeiter, viel zu wertvoll.

Indes also ich mit meinen unglücklichen Kameraden stumpfsinnige Tage in der finsteren Werkhalle verbrachte, konservierte  Hasi seine gesunde Gesichtsfarbe an der frischen Luft. Wir Sargnägel wurden von Tag zu Tag teigiger, die Metallspäne färbten unsere schwieligen Hände dunkel. Das konnte doch nicht alles sein! Am Wochenende sah ich Hasi beim Spielen zu. Ich hatte die Fußballschuhe nach wenigen Wochen im Schinderlager der zweiten Mannschaft von Empor in die Ecke gesenst. Viermal Training mit den dickbäuchigen und alles umtretenden Biermonstern waren mir genug. Außerdem war Schnulli in mein Leben getreten. Sie war so schön sauber. Porentief rein. So gar nicht wie wir schmutzigen Kobolde aus der Fabrik. Schnulli war ein Karbolmäuschen. Sie muffelte nicht nach Bohrwasser. Sie duftete nach Hustensaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false