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Darf's heute vielleicht Hund sein?

© dpa

Willmanns Kolumne: Hanoi Ahoi

Heute schwelgt unser Kolumnist Frank Willmann in Erinnerungen an eine Vietnamreise aus dem Jahr 2000. Obwohl: Schwelgen ist vielleicht der falsche Ausdruck. Aber lesen Sie selbst.

Wie es der geneigte Zufall wollte, war im Jahr 2000 meine Anwesenheit im Land Onkel Ho`s unabdinglich. Ich konnte mich begünstigt schätzen, als bildungsnahe Fachkraft bildungslustigen Erdenwürmern aus unterschiedlichen pädagogischen Disziplinen bei einer Fortbildungsverschickung unter die Arme zu greifen. Kurz gesagt: ich sollte das später zu veröffentlichende Reisetagebuch zusammen reimen. Denn damals war Deutschland noch reich. Natürlich stand Vietnam ganz groß auf meiner Fernwehliste. Mein exzellenter vietnamesischer Erfahrungsschatz bestand aus Altpapiersammlungen für vietnamesische Kriegswaisenkinder in der DDR-Schule, unergründlichen Vietnamesendarstellern im Weimarer VEB Landmaschinenbaukombinat Fortschritt, sowie amerikanischem Napalmkrieg via "Apokalypse Now" im Westberliner Delphi-Kino.

Zu ersten Kontakten mit fußballspielenden Vietnamesen kam es (fast) in Weimar. Ich organisierte als zweiter Chef der Abteilung Agitation und Propaganda ein Fußballturnier für die friedliebende Jugend des Kombinats. Neben jungen Mosambikanern wirkten dort Vietnamesen als Vertragsarbeiter. Die lebenslustigen Mosambikaner waren leicht zu gewinnen, an die stillen Vietnamesen kam ich nicht ran. Beim ersten Versuch im Wohnheim schickte mich der vietnamesische Parteisekretär wieder weg. Geht nicht, Parteiversammlung, keine Zeit. Beim zweiten Mal platzte ich mitten in die Auswertung der letzten Parteiversammlung. Und beim dritten Mal in die Vorbereitung der herannahenden Parteiversammlung. Die Vietnamesen kamen im Stadtbild nicht vor. Sie wurden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt und kaserniert gehalten. 

Die großen Gefahren drohten im Jahr 2000 in Vietnam nicht mehr von amerikanischen Napalmbomben. Schlimmster Feind der Vietnamesen waren ihre unternehmenden Mitbürger, die wie amerikanische Kapitalisten sein wollten. In Vietnam wurden billig Klamotten und Schuhe für Großkonzerne hergestellt. Obwohl Marx, Engels, Mao und Lenin noch als Säulenheilige verehrt wurden, war der Sozialismus Marke Vietnam am Arsch. Und die USA waren nicht mehr der Hauptfeind, sondern das große Idol. An jeder Ecke entstand eine neue Fabrik, die Abwässer gingen im Allgemeinen ungeklärt in den Wasserkreislauf über. Sämtliche Seen und auch der rote Fluss hatten sich binnen kurzem in Todeszonen verwandelt.

In Hanoi war seit vielen Jahren die prominente, riesige Weichschildkröte im See des zurückgegebenen Schwertes nicht mehr gesichtet worden. Sie sollte knapp zwei Meter lang und um die 250 Kilo schwer sein. Der See im Zentrum der Stadt, einst der Stolz Hanois, im Jahr 2000 ein dreckiger, moderiger Tümpel, wo die letzten Fische bauchoben kraulten. Die Vietnamesen sind sehr abergläubisch. Bei allen gewichtigen Entscheidungen werden Orakel, Götter, Hausheilige und anderweitiges Gezücht inquiriert. Die Fußballfreunde von Hanois Armeeklub wurden streng im Geist der Schildkröte erzogen. Vor jedem Spiel ihrer Helden pilgerten sie zum Pfuhl. Um dort Rafetus Leloii, unter Umständen nahe verwandt oder identisch mit Rafetus swinhoei, zu geloben. 1998 hatte sich das Monster mal wieder gezeigt, als es quasi drei Schwäne auf einmal verdrückte. Seither ruhte es tief in der Brühe.

In Hanoi bestimmten die Teams der Volksarmee und der Polizei das fußballerische Geschehen. Die Schutz- und Trutztruppen sind nicht unbedingt meine Lieblingsinstitutionen. Doch die Dinge lagen nun mal so, wie sie lagen. Hung und Thien, auf Vietnamesisch der Heldenhafte und der Sanfte, waren uns deutschen Paukern als Dolmetscher zugeteilt. Beide Fans von Armee Hanoi und natürlich musste ich mit ihnen gemeinsam das Derby zwischen Armee und Polizei besuchen. Neben dem erforderlichen Besuch der Schildkröte steht am Vorabend wichtiger Spiele ein Glücksessen auf dem Plan.

Und welches Nahrungsmittel ist in Vietnam besonders geeignet, das Glück zu bändigen? Der liebe Wauwau. Am Roten Fluss reiht sich ein Hundewirtshaus an das nächste. Vorwiegend einfache Holzbauten. Unten wird geschlachtet, gekocht und die Notdurft verrichtet, oben geschmaust. Die den Gast umwabernden Düfte waren Kampfansagen an jeden mitteleuropäische Magen. Wir naschten Hundewurst, Hundesuppe, Hundebraten. Hung und Thien packten sich ein großes, grünes Blatt, das sie aus einer Schüssel voll Grünzeug fingerten. In das Blatt wickelten sie das Hundefleisch und würzten es mit einer pestilenzialischen Fischsoße, die mir den Atem nahm.

Ich musste den beiden versprechen, mindestens zu kosten, weil andernfalls morgen ihr Armeeclub nicht gewinnen würde. Fußball und Aberglaube. Da sie schon wegen der abgängigen Schildkröte in schwerer Sorge waren, tat ich ihnen den Gefallen. Zum Glück gab es glücksintensiven Reisschnaps zum Hund. Obgleich darin daumengroße Glücksmaden planschten, half mir ein Literchen prima über die Besonderheiten des Mahls hinweg. Bei gefühlter Luftfeuchtigkeit von 1000 Prozent verdämmerte ich am nächsten Tag das Spiel im Reisschnapsdusel. Mich drückte nicht nur der Schuh. Über uns eine unbarmherzige Sonne.

Auf der Tribüne grüßte der damals noch allgegenwärtige Onkel Ho. Meine beiden landeskundigen Fans der Armeemannschaft klatschten in die Hände. Links die Fans der Armee. Einige trugen übergroße Soldatenmützen, sah herrlich albern aus. Rechts die Freunde der Polizei. Bei ihnen stand der Polizeistab in hohem Kurs. Im Stadion ein paar tausend Zuschauer, ausschließlich Männer. Gekleidet in weiße Hemden und schwarze Hosen, aßen die Herren Sonnenblumenkerne und tranken Tee. Der Fußball war zum Wegrennen, ich und mein Magen träumten von Konopkes bester Curry. Kann einem überall passieren. Quasi.

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