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In Jena stirbt die Hoffnung zuletzt.

© Imago

Willmanns Kolumne: Investorendämmerung in Jena

Die Regionalliga Nordost verabschiedet sich in den Winterschlaf, nur in Jena sind alle noch wach. Denn ein belgischer Investor klopft ans Türchen des Thüringer Adventskalenders. Nur weiß noch keiner so recht, was dahinter steckt.

Die letzte Nacht verbrachte ich in einer todbringenden Albtraumlandschaft, die ich bei näherer Betrachtung als das Ernst-Abbe-Sportfeld erkannte. Die Heimstätte des Jenaer Clubs war bis auf die Keller niedergebrannt. Ringsum Kaninchenkadaver und leere Bierflaschen, die einst belgisches Kirschbier beherbergten. Riesige Moules Frites Bomber! flüsterte der letzte überlebende Platzwart und zeigte in den Himmel.

Ich erwache. Berlin im Dezember, zehn Grad Plus und blass-rötliche Zeichen an der Hauswand gegenüber. Die endgültige Invasion der grässlichen Erfurter in meinem Viertel? Genagelte Stiefel dröhnen aus dem Hausflur. Die Rotweißmiesen wollen mich holen! Es geht direkt in den Erfurter Zoo. Uns vorm Aussterben bewahren. Mich und die dreizehn letzten FCC-Fans.

Ich erwache, jetzt aber wirklich. Keine rotweißen Seelenesser in meiner Nähe. Nur die Angst vorm Nimmerland bleibt. Seit einigen Tagen ist mein Fanherz kräftig am Pumpen. Aus dem fernen Belgien erklang die Botschaft, ein funkelnagelneuer Investor würde gern meinem Club behilflich sein. Bares stünde bereit, erste Hilfsgelder seien schon eingetroffen.  

Jena steht in der ewigen Tabelle der DDR-Oberliga auf Platz eins und die Thüringer Küche ist die beste der Welt. Diese Tatsachen allein machen den Jenenser Fußballbraten nicht fett. Der Club lungert nach sechzehn von dreißig Spieltagen auf dem vierten Platz in der Regionalliga Nordost. Vor uns stehen Union II, der 1. FC Magdeburg und an der Tabellenspitze die TSG Neustrelitz. Die Mecklenburger haben bereits zehn Punkte Vorsprung. Vergangene Woche besiegte Jena die TSG in einem kämpferischen Heroenspektakel glücklich mit 3:1. Trotzdem stehen die Fahnen auf Halbmast, der FCC lebt seit einiger Zeit über seinen Verhältnissen.

Alle Freunde des nordostdeutschen Fußballs kennen ähnliche Schreckensszenarien aus der eigenen, jüngeren Vergangenheit. Jena torkelt mit Tempo neunzehnkommanulldrei km/h in die Insolvenz, es ist zehn vor zwölf, das Grab schon ausgehoben.

Plötzlich klopft in dieser endzeitlichen Gemengelage eine Mischung aus Weihnachtsmann und Wolf im Schafspelz an die Tür und sagt ich bin die Goldmarie. Sein Angebot: gebt mir 49 Prozent Anteil an eurem Club und in den nächsten vier Jahren fließen sechs Millionen. Was tun, wenn es brennt? Ruhe bewahren? Oder dem Feuerwehrmann vertrauen? Unser Feuerwehrmann heißt Rainer Zipfel, ist Präsi und hält die belgische Offerte für alternativlos. In ein paar Tagen steigt die Mitgliederversammlung, dann soll die Goldmarie eingetütet werden. Jena als ein Farmteam des Herrn Duchatelet. Als eins von vielen. Denn wie findige Fans wissen, gehört dem Herrn neben Standard Lüttich und einem zweiten belgischen Klub auch noch ein ungarischer Verein. Wo sein Sohn als Stadthalter wirkt. Bzw. nach Aussage der ungarischen Betroffenen sein Unwesen treibt.

Auch in Lüttich, dem Prunkstück der Klubsammlung, ist man auf Seiten der Fans nicht sonderlich gut auf Herrn Duchalet zu sprechen. Ihm werden autoritäre Rankünen zugeschrieben. Allerdings steht Lüttich in der ersten belgischen Liga auf Platz eins. Vielleicht haben seine Töchter, Eltern und sonstige Familienmitglieder noch weitere Klubs in der Westentasche versteckt? Wo sich hoffnungsvolle Jungspieler zur Kapitalvermehrung schön hin und her schieben und verscherbeln lassen? Der DFB würde keine Zicken machen, meint unser Präsi. Ein Passmann (und FCC-Fan) des Belgiers stünde bereit, um ohne Bezahlung in Jena als zweiter Geschäftsführer zu wirbeln.

Erst vergangene Woche haben eintausend streitbare Fans für ein neues Stadion in Jena demonstriert. Denn Bürgermeister und Landesregierung tanzen traditionell den thüringischen Weicheiertanz. Mal soll ein neues Stadion auf dem Acker entstehen, dann wieder auf den Saalewiesen, vielleicht mit EU-Geldern, evtl. mit Bratwurstzipfelmütze und Rennsteigaroma, warum nicht in Weimar, für Erfurt und Jena wechselseitig nutzbar? Kloßbrühenklar ist in der Stadionfrage seit Jahren, dass nix kloßbrühenklar ist. Ob der Belgier mit einem Wimpernschlag hier Abhilfe schaffen könnte? Das Fanvolk rumort, die Basis ist gespalten. Verständlicherweise wollen viele wieder nach oben. Geld stellt nur der Belgier in Aussicht, zu seinen Bedingungen. Trau keinem Investor, selbst wenn er Gaben bringt?

Das Budget in Jena den wirklichen Einnahmen anzupassen, wäre auch eine Idee. Ehrlicher Fußball unter der Narrenkappe. Regionalliga for Live. Wegdämmern mit Magdeburg, Lok, Zwickau und demnächst dem BFC? Klingt untoll. Vielleicht kann man mit dem Geld des Belgiers Trainer Brdaric samt seiner vier besten Kicker aus Neustrelitz entführen? Kohle kann man auf Alles schießen. Ein größerer Versager als alle bisherigen Jenaer Trainer kann Brdaric auch nicht sein.

Pittoreske Gedanken am offenen Grab, was sollen wir tun? Dem Präsi vertrauen? Der hatte vor Jahren schon mal ein paar Russen mit Rubel wie Heu an der Angel. Welche der DFB in Gauckmanier zurück nach Putistan schickte. Überlassen wir Belgien das Paradies? Die honorigen Fürze aus der Thüringer Gegend bringen die Luft jedenfalls nicht zum Brennen. Wenn’s drauf ankommt, werden hinterm Rücken jeder Fangemeinde Tatsachen geschaffen. Duchatelet wird Sicherheiten verlangen, ein beschissenes Abhängigkeitsverhältnis. Goldmarie. Pechmarie. Was passiert aber, wenn der FCC in sieben Tagen nicht die 49 Prozent an den Belgier verjuxt? Die Führungscrew würde zurück treten, einige wichtige Sponsoren den Hut nehmen, der weitere sportliche Abstieg wäre wahrscheinlich.

Und was könnte passieren, wenn Duchatelet wirkliches Interesse am FCC hat? Endlich zurück in den richtigen Fußball. Dann ist die belgische Küche die beste der Welt.

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