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Gewinnen ist nicht alles. Tatjana Maria brachte eine Lungenembolie in Lebensgefahr.

© dpa

Wimbledon-Überraschung: Das zweite Tennisleben der Tatjana Maria

Tatjana Maria wäre fast gestorben – jetzt ist sie zurück und steht in Wimbledon zum ersten Mal in der dritten Runde eines Grand Slam-Turniers.

Wenn in Wimbledon der Regen kommt, die grünen Abdeckplanen in Windeseile über die Rasenplätze gezogen sind und das Dach über dem Centre Court geschlossen ist, geht es in der Player's Lounge zu wie in einer Bahnhofshalle. Alle Spieler drängen unisono ins Trockene, wollen schnell noch etwas essen. Denn niemand weiß, wie lange die Warterei dauert. Das Stimmgewirr dröhnte auch gestern, das Geschirr klapperte, und mittendrin im Gewusel schien Charlotte Maria ganz in ihrem Element. Im Grunde war die Eineinhalbjährige schon vor zwei Jahren in Wimbledon mit dabei. Damals war Tatjana Maria (ehemals Malek) im vierten Monat schwanger und spielte ihr letztes Match vor der Pause. „Es gab für mich nie einen Zweifel, dass ich auf die Tour zurückkehren würde“, sagt die inzwischen 27-Jährige. Dennoch erscheint es wie ein kleines Wunder, dass Maria heute wieder Profitennis spielt.

Das Schicksal hatte ihr schwere Schläge versetzt, und sie nennt es nicht umsonst ihr „zweites Tennisleben“. Vor sieben Jahren wäre sie fast an einer Lungenembolie gestorben, heute ist sie als Mutter zurück auf der Profi-Tour und spielt vielleicht besser denn je.

In Wimbledon gelang ihr der erstmalige Einzug in die dritte Runde eines Grand Slams mit ihrem 1:6, 6:2, 10:8-Sieg über die Chinesin Duan Ying Ying. Siege auf dem Tennisplatz haben aber inzwischen eine andere Relation bekommen. „Charlotte ist es ganz egal, ob ich gewinne oder verliere“, sagte Maria, „sie freut sich einfach immer, wenn sie mich sieht.“ Die Familie ist ihr großer Rückhalt und seit sie sich vor drei Jahren in den 14 Jahre älteren französischen Ex-Profi Charles-Edouard Maria verliebte, habe sich alles in ihrem Leben verändert. „Nur zum Positiven“, fügte sie strahlend hinzu. Jetzt stürzen sie sich gemeinsam als kleines Familienunternehmen ins Abenteuer Tour-Leben und finden es wunderbar.

Erst wäre sie fast an einer Lungenembolie gestorben, dann starb ihr Vater

„Irgendwie ist es viel leichter, als wir dachten“, erzählte sie, „Charlotte ist ganz einfach und schläft meist, wenn ich spiele.“ Falls nicht, haben sie als Babysitter entweder wechselweise ihre Mütter, eine Nanny oder wie in Wimbledon eine Cousine dabei. Charles Maria ist Gatte, Vater, Trainer in einem und hält seiner Frau den Rücken frei. „Ich spiele nur für meine Familie“, sagte Maria. Vom Deutschen Tennisbund hatte sie indes keinerlei Unterstützung erhalten, als sie vor einem Jahr wieder einstieg. Im Ranking wurde sie nicht mehr geführt. „Ich dachte, ich bekäme ein paar Wildcards für kleine Turniere, aber da half mir der DTB nicht“, erklärte Maria, „im Nachhinein ist es okay, denn ich habe mir alles selbst erarbeitet. Das fühlt sich auch gut an.“

Unterstützung fand sie allerdings in ihrer Nachbarschaft in Palm Beach Gardens in Florida, wo sie ihre neue Heimat fand – bei den Williams-Schwestern, die gleich nebenan wohnen. „Venus ist eine sehr gute Freundin geworden und war auch während der Schwangerschaft für mich da“, sagte Maria, „und mit Serena hat sie gleich eine Babyparty für mich geschmissen.“ Auf dem eigenen Tennisplatz neben ihrem Haus hatte Maria noch im achten Monat gespielt und bereits sechs Wochen nach Charlottes Geburt wieder trainiert. „Man fängt wirklich bei null wieder an.“

Inzwischen ist Maria die Nummer 78 der Welt. 2009 stand sie schon mal auf Rang 64 und das nach dem schlimmsten Jahr ihres Lebens. Erst wäre sie fast an einer Lungenembolie, die erst im letzten Moment erkannt wurde, gestorben. Dann folgte mit dem Krebstod ihres Vaters Heinrich, einem ehemaligen polnischen Handball-Nationalspieler, der nächste Schlag. „Es war eine dunkle, schreckliche Zeit“, erinnert sie sich, „es hat lange gebraucht, das alles zu überwinden.“ Nach dem Tod des Vaters spielte sie allerdings die Saison ihres Lebens – mit reiner Willenskraft und Verdrängung. „Aber irgendwann waren meine Kräfte am Ende.“ Maria wollte ihre Karriere schon beenden, doch dann gab die Liebe allem wieder einen Sinn. Und eine neue Blickweise. „Im Leben gibt es Schlimmeres, als ein verlorenes Spiel.“

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