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Sport: Winter-Wunderland

Das kalte Australien erwärmt sich an einer neuen Sportart: Fußball

Vor wenigen Wochen waren die ersten kleinen Fähnchen aufgetaucht. An Autofenstern befestigt flatterten die Wimpel in den australischen Sportfarben Grün und Gold lustig im Fahrtwind, und in den letzten beiden Wochen waren es immer mehr geworden. Gestern explodierte die Zahl der zur Schau gestellten nationalen Symbole noch einmal: Mit dem ersten Sieg bei einer WM haben die Australier sich – zumindest nach eigenem Selbstverständnis – nun auch endlich im beliebtesten Sport der Welt unter die Besten eingereiht. Um kurz vor ein Uhr morgens brach nach dem dramatischen 3:1 über Japan in Kaiserslautern auf dem fünften Kontinent kollektiver Jubel aus.

Trotz der winterlichen Temperaturen nicht weit über dem Gefrierpunkt sahen Tausende das Spiel im Freien auf Großbildleinwänden in den australischen Metropolen, viele Pubs waren zum Bersten voll und nutzten die verlängerten Sperrstunden. In den Vorstandsräumen der kommerziellen Fernsehsender dürfte angesichts des zuvor noch nie da gewesenen Fußballfiebers dagegen Trauer herrschen, die Übertragungsrechte liegen nämlich beim multikulturellen staatlichen Kanal SBS, der vor allem die Einwanderer aus aller Welt versorgt und normalerweise Einschaltquoten im niedrigen einstelligen Bereich hat.

Dass trotzdem Reporter aller Kanäle vom Fußball und vor Ort von den „Socceroos“, wie die australische Mannschaft genannt wird, aus Deutschland berichten und sich bei der Aussprache des Wortes „Kaiserslautern“ reichlich schwertaten, ist noch nie dagewesen. Wie viele Zuschauer tatsächlich bei dem Spiel, das im Osten Australiens um 23 Uhr begann, vor den Fernsehschirmen saßen, wird man nie erfahren, weil ausgerechnet in dieser Nacht die Messgeräte für die Einschaltquoten ausfielen. Tatsache ist, dass am Dienstag vielleicht nicht ganz überraschend viele Arbeitnehmer entweder wegen Krankheit gar nicht erst erschienen oder nur äußerst müde ihren Dienst versahen. „Ein historischer Tag der australischen Sportgeschichte“ sei dies gewesen, beschrieb einer der Journalisten. Erstaunlich eigentlich für ein sportverrücktes Land, das Olympiasiege und Weltmeisterschaften in fast allen Sportarten im Dutzend einheimst und nun zum ersten Mal überhaupt ein Tor bei einer Fußball-WM erzielt hat, nachdem beim ersten Auftritt vor 32 Jahren nur ein 0:0 gegen Chile als Erfolgserlebnis zu feiern war. Inzwischen spielen alle Australier bei Profiklubs in Europa. Wie Tim Cahill, der zweifache Torschütze, der bei Everton unter Vertrag steht.

Aber nun ist ausgerechnet ein Nicht-Australier zum Halbgott aufgestiegen, der holländische Coach Guus Hiddink. Jedesmal, wenn der Erfolgstrainer im Bild erschien, ging in den Pubs ein andächtiges Raunen durchs Publikum. „Guus“ erklang es hundertfach. Und es wundert kaum, dass die „Aussies“ an Hiddink glauben, schließlich hatte er mit der Einwechslung von Cahill und des anderen Torschützen John Aloisi wieder einmal ein glückliches Händchen bewiesen.

Mit ihrem Trainer, der vor vier Jahren mit Südkorea ins Halbfinale vorgestoßen war, ist alles möglich, glauben die immer zahlreicher werdenden Anhänger der neuen Sporthelden Australiens. Viele werden sogar ein bisschen übermütig. „Her mit Brasilien!“ riefen Fans in den Straßen Melbournes, Sydneys und Brisbanes zu nächtlicher Stunde. Der Mut kann von den drei Toren in acht Minuten gegen Japan ausgelöst worden sein. Vielleicht aber auch nur vom Bier.

Alexander Hofmann[Sydney]

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