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Sport: Wir sind nicht mehr wir

Die Bayern berufen sich trotzig auf ihre eigene Stärke – doch das scheint diesmal nicht zu wirken

München. Hätte Ottmar Hitzfeld ein paar Schritte näher am Spielfeldrand gestanden, hätte ihn das Geschoss wahrscheinlich getroffen. Bis in die Münchner Coaching-Zone flog eine Plastikflasche Sekunden vor dem Abpfiff, ein Kölner Ersatzspieler hatte sie wütend an der Seitenlinie entlang geschleudert, nachdem sein Mannschaftskollege, der gelernte Stürmer Marius Ebbers, eine flache Hereingabe aus fünf Metern nicht hatte im Tor unterbringen können. Es fehlten nur Zentimeter, und der Tabellenletzte hätte dem FC Bayern München eine Niederlage und damit einen weiteren Tiefpunkt in dieser Saison beschert, doch auch das 2:2-Unentschieden dürfte beim Deutschen Meister kaum als Mutspender vor den wichtigen Wochen taugen: Am Mittwoch spielen die Bayern im Pokal gegen den Hamburger SV, am Sonnabend treten sie beim Tabellenzweiten Werder Bremen an, vier Tage später geht es gegen den RSC Anderlecht um den Einzug ins Achtelfinale der Champions League und als kleine Zugabe begibt sich drei Tage später der Tabellenführer VfB Stuttgart ins Olympiastadion.

Dorthin war Oliver Kahn am Sonntagvormittag noch einmal zurückgekehrt. Er drehte mit einem asiatischen Fernsehteam einen Beitrag für die japanische Variante von „Wetten, dass…?“, doch von der ausgezeichneten Laune der vergnüglich jauchzenden Hauptdarsteller mochte er sich nicht anstecken lassen. Auch einen knappen Tag, nachdem er gleich nach dem Abpfiff wort- und grußlos vom Feld und später aus dem Stadion geflüchtet war, schien der Ärger über den erneuten Fehlschlag in ihm zu gären. „Die Enttäuschung ist riesig groß“, knurrte Kahn. „Das wäre unser Spieltag gewesen.“ Stuttgart, Bremen und Leverkusen spielten nur unentschieden – aber die Bayern eben auch. „Wir hätten den Rückstand auf alle Mannschaften um zwei Punkte verkürzen können“, sagte Kahn. Stattdessen bleibt der Abstand konstant: Sechs Punkte trennen die Bayern von der Tabellenspitze.

„Da gibt es Tausende von Erklärungen, die man jetzt wieder ranziehen kann“, sagte der Torwart, doch er zog keine einzige heran – vielleicht, weil sich sein Repertoire an öffentlichen Appellen an die Kollegen langsam erschöpft: Mal hatte er seine Mannschaftskameraden in den letzten Wochen durch markige Kritik wachzurütteln versucht, dann durch verbales Handauflegen Mut einflößen und zuletzt durch eine nachträgliche Aufwertung des 0:0 bei Celtic Glasgow im Einklang mit Manager Uli Hoeneß die Wende herbeireden wollen. Alles verpuffte jedoch wirkungslos.

So blieb Oliver Kahn diesmal nichts, als an „das Schöne im Fußball“ zu erinnern – die Chance zur direkten Rehabilitation. „Es kommen sofort wieder neue Aufgaben, da kann man seine Enttäuschung schnell wieder loswerden“, sagte der Nationaltorhüter, wohlwissend, dass es vorerst die letzten Gelegenheiten sein könnten, um sich in den Titelkampf einzuschalten. „Uns bleibt jetzt nichts anderes übrig, als die Spiele im direkten Vergleich zu gewinnen.“

Doch was macht Hoffnung nach dem mageren Auftritt gegen den Tabellenletzten aus Köln? „Wir sind der FC Bayern, wir werden das schon geradebiegen“, sagte Hasan Salihamidzic. In den vergangenen Jahren galten solche Sätze stets als Beleg der unantastbaren Selbstgewissheit der Münchner. In diesen Tagen der Tristesse klingt es eher nach kindlichem Trotz, wenn sich die seit Wochen unter den Erwartungen spielende Mannschaft vertrauensselig auf die eigene Marke beruft – besonders der Bosnier Salihamidzic, der sich als Verursacher beider Gegentreffer vielleicht gewünscht hätte, er wäre nach seiner Roten Karte vor einer Woche im Derby gegen 1860 doch für ein Spiel gesperrt worden.

„In der Mannschaft stimmt etwas nicht. Wir müssen reden“, hatte der zweifache Torschütze Claudio Pizarro nach dem Spiel gesagt. Vielleicht sollten sie ihm die Kollegen seinen vorweihnachtlichen Wunsch erfüllen. In zehn Tagen könnte es dafür schon zu spät sein.

Daniel Pontzen

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