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Bundestrainer Joachim Löw: „Das war ein Spiel zum Durchschnaufen. Am Ende war es ein Sieg des Willens. Eigentlich mussten wir das Spiel in der regulären Spielzeit entscheiden. Wir hatten wahnsinnig viele Chancen. Khedira und Schürrle haben der Mannschaft noch einmal einen Schub gegeben. Alle Spieler waren in der Verlängerung am Limit. Solch ein Spiel gibt es im Turnier mal, dass man sich durchkämpfen muss.“

© dpa

WM 2014: Chancen der Nationalelf: Mentaltrainer: „Joachim Löw wirkt ein bisschen verunsichert“

Der Mentaltrainer Steffen Kirchner betreut die deutsche Turner-Nationalmannschaft und diverse Profisportler. Die Körpersprache von Joachim Löw nennt er "nachdenklich". Und sagt: Trotz Kritik sollte der Bundestrainer bei seinem System bleiben.

Von Christian Hönicke

Herr Kirchner, hat Joachim Löw im Achtelfinale auf Sie gewirkt wie ein Feldherr, der unerschütterlich an den Sieg glaubt? Die dpa nennt seinen Auftritt an der Seitenlinie „teilweise ratlos und distanziert“.
Er wirkt nicht unbedingt ratlos, das wäre zu extrem gesagt, aber etwas in sich gekehrt und nachdenklich und auch ein bisschen unsicher. Ich glaube, dass vieles nicht so läuft, wie er sich das vorstellt, auch intern vielleicht. Kaum einer der Spieler hat wirklich WM-Form, viele Dinge funktionieren auf dem Platz nicht. Ich glaube, dass Löw selbst noch ein bisschen nach dem Schlüssel, nach der Lösung für diese Mannschaft sucht. Der superselbstbewusste Feldherr, der das Schiff durch die Wogen führt, das ist er momentan nicht unbedingt.

Überträgt sich diese Körpersprache auf die Mannschaft?
Im Extremfall schon. Wenn sich ein Trainer überhaupt nicht mehr zeigt und die Mannschaft – wie man so schön sagt – sterben lässt auf dem Platz, sich also nicht mehr beteiligt am Spiel, dann hat das natürlich einen gewissen Einfluss. Das ist aber bei Jogi Löw nicht der Fall, soweit ich das sehe am Fernseher. Er ist schon aktiv, spricht viel, aber nicht zu viel. An der Seitenlinie nimmt er keinen negativen Einfluss, das macht er schon gut, da ist er auch kämpferisch. Eine andere Sache ist: Was ist in der Kabine? Wie viel Selbstvertrauen und eigenen Glauben daran, dass er das Richtige macht, hat er und vermittelt er auch unterbewusst? Zumindest nach außen wirken die meisten Spieler eben genau wie er ein bisschen verunsichert und nachdenklich.

Bei der Besprechung vor der Verlängerung richtete sich Löw aufwendig das Hemd. Hat man da als Trainer nicht Besseres zu tun?
Das würde ich jetzt nicht so hoch hängen. Das wird auf die Qualität seiner Aussagen keinen Einfluss haben. Es kann ja auch ein Zeichen sein, das ist ja auch Körpersprache, die Ärmel hochzukrempeln.

Mentaltrainer Steffen Kirchner.
Mentaltrainer Steffen Kirchner.

© promo

Dennoch wirkte Löw in diesen Minuten, als gehöre er gar nicht richtig dazu. Hansi Flick übernahm die Ansprache ans Team.
Die haben natürlich eine Jobteilung. Es könnte sein, dass Hansi Flick für das Emotionale steht und Löw eher die taktischen Sachen macht, oder andersherum. Es kann sinnvoll sein, den Co-Trainer sprechen zu lassen, weil er eine andere Beziehung zur Mannschaft hat und nicht so eine Respektsperson ist wie der Trainer.

Algeriens Trainer Halilhodzic übernahm diesen emotionalen Part selbst.
Ja, er hat seine Krieger wie im Film um sich geschart. Aber da kann man schon von der Körpersprache her sehen: Das hat nichts mehr mit Taktik zu tun, das ist eine reine Energetisierung der Leute, die auch körperlich schon zu kämpfen hatten. Da ging es nur noch um den Willen, ums Pushen. Im deutschen Spiel war die zweite Hälfte bis auf kleine Dinge sehr dominant. Da muss man die Mannschaft nicht noch heißer machen, sondern ihnen nur sagen: Spielt weiter so, bleibt konsequent.

Sollte Löw nun stur an seinen vier Innenverteidigern festhalten, um seinen Glauben und den des Teams zu stärken? Oder seinen Irrtum einräumen und das System ändern?
Wenn du das erste Spiel gegen Portugal mit dem neuen System 1:6 verloren hättest, dann hättest du noch einmal überlegen können. Aber jetzt kann er nicht mehr umstellen, jetzt muss er es durchziehen. Der Kernsatz ist: Triff eine Entscheidung und sorge danach dafür, dass sie richtig wird. Das kann ich nur, wenn ich konsequent dabei bleibe. Das Schlimmste, was Löw jetzt aus mental-psychologischer Sicht machen könnte, wäre, wieder alles umzuwerfen.

Warum?
Dann würden ihm die Spieler nicht mehr vertrauen. Sie würden sich fragen: Warum entzieht er uns das Vertrauen? Was ist denn bei dem im Kopf los? Wie unsicher ist der denn? Und die meisten Spieler sind erfahren, die wissen auch, dass das in den K.-o.-Spielen ein Wahnsinn wäre, alles über den Haufen zu werfen.

Also weiterrumpeln gegen Frankreich?
Ich glaube, dass Frankreich ein ganz anderes Spiel wird. Du bist das erste Mal nicht in der Favoritenrolle, die werden viel befreiter aufspielen, deren Spiel liegt ihnen sicher auch besser. Man braucht manchmal solche hässlichen Spiele, um in so ein Turnier hereinzukommen.

Ist es also besser, sich so durchzukämpfen, als nur schön zu spielen?
Das ist ja das, was Mertesacker meint. Die sind genervt davon, immer schön spielen zu müssen. Gerade diese Spiele, in denen du nicht optimal spielst und trotzdem irgendwie gewinnst, die schweißen die Mannschaft zusammen. Das ist ein sehr wertvoller Prozess, ein optimales Training, um jetzt den ersten großen Namen in der K.-o.-Runde aus dem Weg zu räumen. Widerstandsfähigkeit ist wie ein Muskel, und der muss trainiert und belastet werden. Wenn du vor dem Viertelfinale oder dem Halbfinale keine große Belastung hattest, dann bist du als Team vielleicht nicht stark genug. Und so sind sie jetzt schon ein paar Mal durch die Hölle gegangen.

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