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Sport: WM-Beginn: Freiburg, 27. Mai

Die Fans feiern die Nationalelf turnierreif

Offensichtlich kann die Fußballnationalmannschaft ihr Publikum im Moment einfach nicht zufrieden stellen. Als ihr am Samstag im Spiel gegen Luxemburg der zweite Elfmeter zugesprochen wurde, nahm sich Bastian Schweinsteiger den Ball, um zur Ausführung zu schreiten. Die Fans aber riefen: „Poldi! Poldi!“ Schweinsteiger gab den Ball an seinen Kumpel Lukas Podolski weiter, und kaum war dies geschehen, änderten die Zuschauer schon wieder ihre Meinung. „Olli! Olli!“, riefen sie nun, um Torhüter Oliver Kahn an den Elfmeterpunkt zu locken. „Unglaublich emotional“ hatte Joachim Löw, der Assistent von Bundestrainer Jürgen Klinsmann, das Publikum erlebt, „aber ich weiß nicht, ob es so fachkundig war“.

Egal. „Wir freuen uns, wenn die Leute gut drauf sind“, sagte Klinsmann. Nachdem er bereits sechsmal ausgewechselt und damit das zulässige Kontingent ausgeschöpft hatte, forderten die Zuschauer auch noch den Einsatz von David Odonkor, und vermutlich hätten sie irgendwann sogar nach Gerhard Mayer-Vorfelder gerufen, wenn er ein weißes Trikot getragen hätte. Die Fans feierten Oliver Kahn und Jens Lehmann, sie riefen Klinsmanns Namen, was zuletzt beim Confed-Cup protokolliert wurde, und sie entdeckten die WM-Tauglichkeit des DFB-Pokal-Klassikers „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“. Knapp zwei Wochen sind es noch bis zum WM-Eröffnungsspiel, doch für die Menschen in Deutschland hat die Weltmeisterschaft bereits am Samstag, den 27. Mai begonnen.

„Man merkt, dass Deutschland sich freut“, sagte Joachim Löw. Anderthalb Wochen war die Nationalmannschaft der deutschen Öffentlichkeit entzogen – und anderthalb Wochen die deutsche Öffentlichkeit der Nationalmannschaft. Offenbar ist in dieser Zeit viel passiert. Arne Friedrich, der Außenverteidiger von Hertha BSC, hatte das Gefühl, er sei in „eine andere Welt“ zurückgekehrt. Nie zuvor hatte er so viele Menschen vor dem Hotel der Nationalmannschaft gesehen wie am Samstagmittag in Freiburg. Die ganze Euphorie, der Hype – „man hätte sich das gar nicht vorstellen können“, sagte er.

Dass die Nationalspieler im Dreisamstadion einen Kulturschock erlebten, war durchaus gewollt. „Ich war wirklich total froh, mal wieder Menschen zu sehen“, sagte Bastian Schweinsteiger, nachdem die Mannschaft am Sonntag schon wieder in Genf unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert hatte. Für die wichtigste Phase der Vorbereitung hat die sportliche Leitung der Nationalmannschaft ganz bewusst die Abgeschiedenheit gesucht. „Die Schweizer sind ein distanziertes Volk“, sagte Manager Oliver Bierhoff. „In Deutschland würde die Konzentration sehr viel schwerer fallen.“

Was in Freiburg seinen Anfang nahm und die Mannschaft über die letzten beiden Vorbereitungsspiele durch die WM tragen soll, hat Jürgen Klinsmann schon zu Beginn seiner Amtszeit vorhergesehen. Vor allem ist es in seine taktischen Überlegungen eingeflossen. Wenn das Publikum offensiv und fordernd ist, kann die Mannschaft die euphorische Stimmung nicht durch ein zaghaftes Auftreten konterkarieren. Im Idealfall ergibt sich sogar eine Interaktion zwischen Spielern und Zuschauern.

Im Gegenzug merkt das Publikum, dass es ein wichtiger Faktor für das Gelingen von Klinsmanns WM-Projekt sein kann. Zugleich bedeutet es das Ende der Ironie, auch wenn die Zuschauer im Dreisamstadion Oliver Kahn am Ende noch einen Vereinswechsel nahe legten. „Olli, für Freiburg!“, riefen sie. Doch wer weiß? Vielleicht war sogar das ernst gemeint.

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