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Hose runter, Zunge raus. Marco di Carli zählt zu den vielen deutschen Schwimmern, die bei der WM ihren eigenen Ansprüchen nicht genügen.

© dpa

WM in Barcelona: Deutsche Schwimmer enttäuschen auf ganzer Linie

"Oder lass' ich es sein?" Nach ihren Niederlagen stellen sich die deutschen Schwimmer bei den Weltmeisterschaften in Barcelona grundsätzliche Fragen.

Mit der Wasserflasche in ihrer rechten Hand schlug Franziska Hentke immer wieder auf das Eisengitter vor sich. Zwar war die Magdeburgerin am Mittwoch im Halbfinale über 200 Meter Schmetterling in 2:07,87 Minuten persönliche Bestzeit geschwommen – aus deutscher Sicht in Barcelona eine echte Rarität. Aber trotzdem jammerte die 23-Jährige: „Eine Hundertstelsekunde am Finale vorbei – das ist das Schlimmste, was passieren kann.“ Auch Markus Deibler verpasste 20 Minuten später über 200 Meter Lagen den Endlauf als Halbfinalneunter, ihm fehlten aber immerhin 36 Hundertstelsekunden für einen Platz im Finale.

In Einzelrennen bleibt es für den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) damit bei dem einen dürftigen Finalplatz von Deiblers Bruder Steffen, der am Montag über 50 Meter Schmetterling Sechster wurde. Am anderen Ende der Glücksskala thront dagegen die Amerikanerin Missy Franklin: Beim Highlight des Abends, den 200 Meter Freistil, triumphierte die 18-Jährige über die Italienerin Federica Pellegrini und die Französin Camille Muffat und holte sich kurz darauf ihre dritte Goldmedaille bei dieser WM ab.

Fern aller Siegerehren war dagegen Marco di Carli nach seinem Vorlauf über 100 Meter Freistil am Vormittag. „Wer gibt mir 'ne Knarre? Erschießt mich bitte“, lautete sein erster Kommentar, nachdem er in indiskutablen 50,38 Sekunden als 36. angeschlagen hatte und um ihn herum auch bei der 16-jährigen Selina Hocke (33. über 50 Meter Rücken) und Philip Heintz (28. über 200 Meter Lagen) mal wieder das große Wehklagen einsetzte. So wie bei di Carli, der zunächst gewohnt schnörkellos seinen Auftritt beschrieb: „Die größte Scheiße, die ich je bei einem internationalen Event abgeliefert habe.“ Und dann gedanklich schon mal die Reißleine zog. „Ich muss mich wirklich mal drastisch hinterfragen: Wo geht's eventuell noch hin? Und wie komm' ich da hin? Oder lass' ich es direkt sein?“, überreichte sich der Schwimmer von der SG Frankfurt gleich selbst einen ganzen Fragenkatalog. Und kündigte an: „In diesem Sommer werden mal radikal Konsequenzen gezogen. Weil so kann's ja nicht weitergehen.“

Henning Lambertz will da gar nicht widersprechen. Nicht im speziellen Fall di Carli, dem er kühl empfahl: „Entweder aufhören – oder sich wirklich mal konsequent vier Jahre lang vorbereiten.“ Denn, so der Chefbundestrainer schonungslos: „Mit der Zeit hier wäre er nicht mal bei den Jugendeuropameisterschaften ins Finale gekommen.“

Abgesehen vom Einzelschicksal di Carli plagt Lambertz aber die unendliche Krisengeschichte der deutschen Schwimmer: Steffen Deibler ist ein Jahr nach der historischen Medaillennullnummer bei Olympia der einzige schnelle, optimistische und international vorzeigbare Athlet – und hinter ihm kommen ab und zu mal unglückliche Halbfinalisten wie Bruder Markus oder Franziska Hentke. Und danach die große Leere. Mit Paul Biedermann (gar nicht am Start) und Britta Steffen (in eher mäßiger Form) fällt als Motivationsspritze diesmal selbst das nationale Vorzeige-Duo der vergangenen Jahre weg. Sein ohnehin vorsichtiges WM-Ziel, nach dem 70 Prozent der Mannschaft ihre Leistung von den deutschen Meisterschaften Ende April verbessern sollten, hat Lambertz längst entsorgt. Also richtet sich der Blick des 42-Jährigen mehr denn je in die Zukunft.

Laut Lambertz ist bereits die schwimmsportliche Basis seines gesamten Teams so rudimentär ausgeprägt, dass er den Heimtrainern ab sofort ganz genau auf die Finger schauen will. „Wir schaffen es pro Jahr immer ein Mal, bei den deutschen Meisterschaften, alles rauszuholen – und danach nicht mehr“, moniert Lambertz und seufzt: „Dabei scheint es völlig egal zu sein, ob wir vor der WM vier, sieben, elf oder fünfzehn Wochen Zeit für die Vorbereitung haben. Ob wir harte oder weiche Normen setzen. Ob wir von alten Hasen oder Newcomern sprechen.“

Letztlich gibt es für alle nur einen Weg aus dem Dilemma. „Wir müssen mehr und intensiver trainieren“, sagt Lambertz und verweist auf Stefan Lurz. Der Coach der sehr erfolgreichen deutschen Freiwasserschwimmer lässt auch den Nachwuchs schon 2500 oder 3000 Kilometer pro Jahr trainieren. „Das fordere ich auch von den Beckenschwimmern ein“, erklärt Lambertz und kündigt auf dem Weg nach Rio 2016 verschärfte Auswahlkriterien an. Dabei erwartet er einen natürlichen Selektionsprozess, denn: „Viele werden das, was ich einfordere, gar nicht erfüllen können.“

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