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Hüter der Halme. Saftig grün und raspelkurz soll der WM-Rasen sein - eigentlich.

© dpa

WM-Rasen: Löcher im Flokati

Tagesspiegel-WM-Reporter André Görke fühlt mit: Der Rasen leidet unter dem Winterwetter in Südafrika. Gelbe und braune Flecken will die Fifa aber bei der WM auf keinen Fall sehen.

Bloemfontein? Auch das enge Stadion an der First Avenue werden die deutschen Spieler vor dem Anpfiff gegen England nicht kennengelernt haben. Der WM-Rasen muss geschont werden, wieder einmal, und somit müssen die Fußballer das Abschlusstraining vor dem WM-Achtelfinale auf einem Nebenplatz absolvieren.

Schatten, Frost, Regen und dann wieder Hitze machen es den Platzwarten nicht leicht. In Port Elizabeth, wo das Abschlusstraining der Deutschen gegen Serbien wegen des von starkem Regen aufgeweichten Spielfeldes ausfiel, waren riesige Heizstrahler aufgestellt worden. Das geschieht jetzt auch in Johannesburg. „Wir werden den Rasen mit Schutzhauben abdecken und zusätzlich Wachstumslampen installieren“, heißt es im Fifa- Hauptquartier.

Gras ist eben nicht einfach nur Gras, sondern eine Wissenschaft. Und ein heikles Thema für die Fifa, die bei einer Weltmeisterschaft den Fernsehzuschauern keine Löcher und gelbe oder braune Flecken zeigen will. Sattes Grün zu züchten, ist aber gar nicht so einfach. Ab 18 Uhr ist es stockfinster, dann sinkt die Temperatur vor allem im Landesinneren. Und jeder Hobby-Botaniker dürfte erahnen, wie kompliziert der Gärtnerjob im Stadion ist, wenn es nachts Bodenfrost gibt.

Mangel an Rasenexperten herrscht zwar nicht am Kap, schließlich gibt es überall Golfplätze. „Wir würden daraus in drei Minuten einen Acker machen“, sagt Rainer Ernst. Der 57 Jahre alte Landschaftsarchitekt aus Frankfurt am Main war bei der WM 2006 in Deutschland der oberste Platzwart des Turniers, jetzt ist er Rasen-Berater der Fifa und verantwortlich für die Trainingsplätze des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Südafrika.

In den Stadien wird normalerweise vor allem Rugby gespielt. Und zwar auf Kikuyu-Gras. Das, so erklärt Ernst, eigne sich nicht zum Fußballspielen. „Die einen Sportler haben den Ball in der Hand, die anderen führen den Ball eng am Fuß.“ Dafür benötigt man kurze, dünne Halme. Kikuyu-Gras ist aber halbfingerdick, sagt Ernst, „fast wie ein Flokati-Teppich“. Und mit 40 Millimetern Höhe ist das Rugby-Gras auch zu lang. „Bei der WM wird auf 25 bis 28 Millimetern Höhe gespielt.“ Deshalb wird einige Stunden vor dem Anpfiff extra noch einmal gemäht.

Der Rasen wurde im März ausgetauscht und die Sorten Wiesenrispe und Weidelgras ausgesät, die eher auf der nördlichen Halbkugel ihren Ursprung haben. Diese Sorten sind vielleicht in den südafrikanischen Wintermonaten nicht saftig grün, „sondern etwas gräulich“, sagt Ernst, aber immerhin nicht so dunkel und löchrig wie das Kikuyu-Gras.

Verkompliziert wird der Job der Fußball-Botaniker durch die geographischen Spezialitäten bei dieser Weltmeisterschaft. Die WM-Stadien von Kapstadt oder Port Elizabeth befinden sich am Meer, während Johannesburg und Pretoria in 1500 Metern Höhe liegen. Dort schwanken die Temperaturen zwischen 20 Grad am Tag und Minusgraden in der Nacht. Die Fifa hat deshalb in drei WM-Städten nachgeholfen. In die Stadienrasen von Nelspruit, Polokwane und Rustenburg wurden im Frühjahr 20 Millionen Kunstfasern implantiert. „Wie mit einem Webstuhl“, sagt Ernst. Von einem klassischen Kunstrasen kann man aber nicht sprechen: Die Kunstfasern verankern nur den Naturrasen in bis zu 20 Zentimeter Tiefe, damit die Fußballer bei einer Grätsche nicht plötzlich ein Loch in den Boden schaufeln. Teuer ist das System, das 300 000 Euro mehr kostet als der Bau eines normalen Fußballplatzes, der mit rund 500 000 Euro zu Buche schlägt.

Neu sind diese Plätze nicht: Auch bei Real Madrid, Arsenal London und dem FC Liverpool wird auf ihnen trainiert. Schon 1998 ließ Bayer Leverkusen Kunstfasern unter seinen Rasen weben: Verantwortlich war dafür – Rainer Ernst.

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