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Sport: Wo die Macht keine Macht hatte

Die Hooligan-Szene in Ostdeutschland hat Tradition – selbst die Stasi bekam gewaltbereite Fußballfans nicht unter Kontrolle

Nun werden wieder hektisch Aktionspläne geschrieben, nun wird wieder nach schnellen Lösungen für ein fast vergessenes Problem gesucht. Nach den Krawallen deutscher Fußballfans bei einem Länderspiel in Slowenien hat das Land, das in einem Jahr die Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten will, plötzlich wieder ein Hooligan-Problem. Dabei gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Ausschreitungen und Randale bei Fußballspielen. Sie konzentrierten sich aber vor allem auf Waldstücke in der Nähe der Stadien oder auf die kleinen Fußballplätze der Regional- und Oberligen. Und sie konzentrierten sich vor allem auf Ostdeutschland.

Das Problem ist ein Erbe der DDR. Radikale Fans und eine rechtsradikale Szene hat es im ostdeutschen Fußball bereits vor dem Epochenjahr 1989 gegeben. Die friedliche Revolution hat in diesem Bereich Kontinuität nicht verhindern können. Dabei trug die Szene entscheidend zum Niedergang des ostdeutschen Fußballs bei. Schon in den Achtzigerjahren gingen die Zuschauerzahlen in der DDR-Oberliga zurück – auch wegen der subtilen oder tatsächlichen Gewalt auf den Rängen. Die DDR-Medien durften darüber nicht berichten. Aggressive Fans gab es traditionell bei Chemie Leipzig und bei den Berliner Vereinen 1. FC Union und BFC Dynamo, dem Lieblingsklub des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke.

Gerade im letzten DDR-Jahrzehnt fand in den Stadien der Oberliga ein qualitativer Wandel statt. Zum einen gab es eine rechtsradikale Szene, die die Spiele für ihre Auftritte nutzte. Zum anderen waren normale Zuschauer zur Übernahme von radikalen Schlachtrufen bereit. Pro Spieltag fanden sich bis zu 90 000 Zuschauer in den Oberliga-Stadien ein. In der Mehrzahl handelte es sich um fachkundiges Publikum, das zwischen emotionalem Mitgehen und handgreiflichen Ausschreitungen zu unterscheiden wusste. Die Neonazi-Szene im DDR-Fußball jedoch war oft und zahlreich vertreten. Sie war keineswegs importiert, sondern wuchs aus sich heraus und trat zunehmend in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Außerhalb des Stadions hätten die Schlachtrufe und Verhaltensweisen zur Verhaftung geführt. Im Stadion jedoch kam es zur Bildung einer Gegenwelt zur DDR-Gesellschaft.

Geheim gehaltene Berichte der Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sowie der Stasi zeigen, dass viele Fanklubs als Sammelbecken der Neonazis dienten. Die Gruppe „Olle-Molle“ des Halleschen Fußballclubs, kurz HFC, zeigte demnach den „Hitlergruß“ und trug paramilitärische Kleidung mit Nazi-Symbolen und Wehrmachts-Orden. Im Jahr 1986 etwa lauteten einige Schlachtrufe: „Randali, Randala, der HFC ist wieder da“. Dieser Ankündigung folgten die Parolen „Rot-Front verrecke“ sowie „Gib Gas, wenn der BFC durch die Gaskammer rast“. Der gewaltbereite Anhang des BFC nahm die Anregung zur Stadion- und Straßenschlacht seinerseits gerne auf. Liest man die Unterlagen der Staatssicherheit quellenkritisch, so dürften die Berliner Fans besonders aggressiv zu Werke gegangen sein. Von ihnen gingen wohl viele Schlägereien aus. 1988 gab es laut Polizei 516 „Zuführungen“ (allein 114 beim BFC), 42 Ermittlungsverfahren mit 23 Haftstrafen und 451 „Ordnungsstrafmaßnahmen“. Jede zweite Haftstrafe ging dabei auf Heimspiele des BFC und von Dynamo Dresden zurück.

Interne Statistiken, die erst jetzt den Machtbereich des Ministeriums für Staatssicherheit verlassen haben, nannten im selben Zeitraum acht Prozent mehr Fälle als die Polizei. Die Stasi fälschte also die Zahl der bei BFC-Spielen festgenommenen „eigenen“ Fans nach unten. Sie versuchte auch, BFC-Hooligans ohne großes Aufsehen „konspirativ“ zu verhaften – durch Agenten. Das geschah nicht ohne Grund. Die offiziellen Monatsauswertungen gingen an die SED-Spitze und den Fußballverband. Dort fand sich dann nichts über den Einsatz von Hunden ohne Maulkorb und Schlagstockeinsatz, über schwer verletzte Zuschauer, Anzeigen gegen die Polizei und „Eingaben“ betroffener Bürger.

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) stieß in den Stadien an die Grenzen seiner Macht, weil es schwer war, dort Inoffizielle Mitarbeiter (IM) zu gewinnen. Wo es doch einmal gelang, schwächte es das System, weil damit ausgerechnet beim BFC ein rechtsextremistischer Fanklub geduldet schien. Gegenüber dieser Art von Fans versagten die Druckmittel der Stasi. Weil die Hooligans häufig beruflich und sozial auf einer niedrigen Stufe standen, konnten Drohungen mit sozialem Abstieg nicht verfangen. Auch die offiziellen „Vorbeugungsgespräche“ von Volkspolizei und Stasi hatten deshalb in der Regel keinen Erfolg. Die daraus resultierende Hilflosigkeit spiegelt sich darin, dass das MfS bei internationalen Spielen zunehmend das eigene Personal einsetzte, das den „korrekten Fan“ geben sollte. Die Aussperrung des normalen Publikums aus politischen Gründen drückte sich in überlieferten Sprechchören friedlicher Fans aus: „Das Stadion ist voll – mit Sicherheit“.

Der Gesellschaftstheorie zufolge durfte es diese Probleme in der DDR gar nicht geben. Die Staatssicherheit argumentierte gegenüber SED-Führung und Fußballverband deshalb etwas umständlich und hilflos. Demnach seien Auffällige getrieben, „unter dem Einfluss einiger weniger, dem ,harten Kern‘ negativer loser Gruppierungen zuzurechnender Jugendlicher / Jungerwachsener und unter Ausnutzung der Anonymität großer Menschenansammlungen gesellschaftswidrige Verhaltensweisen zu entwickeln bzw. Straftaten zu begehen“.

Das SED-Zentralkomitee (ZK) übernahm diese Verharmlosungstendenzen nur zu gerne. Im Entwurf „Zur Lage auf den Fußballplätzen“ von 1985 sah eine SED-Arbeitsgruppe einen Import der Gewalt aus dem Westen. Als Beispiel angeführt wurde die „kritiklose und provozierende Wiedergabe von so genannten Schlachtgesängen aus Stadien der Fußball-Bundesliga der BRD mit teilweise nationalistischer und faschistischer Tendenz“. Wolfgang Herger, Rudi Hellmann und Herbert Scheibe, die Chefs der drei ZK-Abteilungen Jugend, Sport und Sicherheit, hatten mit diesem Satz das Problem zugegeben. Das SED-Politbüro-Mitglied Egon Krenz strich die Passage. Die Adressaten, zu denen Minister und der Präsident des Obersten Gerichtes der DDR gehörten, erfuhren nichts von faschistischen Tendenzen in den Stadien. Dazu passt, dass die pädagogisch motivierte und anzuerkennende Fanarbeit der staatlichen Jugendorganisation FDJ und des Fußballverbandes chronisch unterfinanziert und deshalb nicht ausreichend war.

Die Soziologie kennt die Kohärenz von Milieus, die Epochengrenzen überdauern, auch im Fußball. Eine Prognose für die erfolgreiche Eindämmung der Hooligans in Ostdeutschland darf jedoch etwas optimistischer ausfallen als der Blick auf die Vergangenheit. Seit einigen Jahren fällt jedenfalls auf, dass sich das Milieu gewalttätiger Fußballfans nicht mehr durch Rekrutierung junger Nachfolger erhalten kann und dadurch langfristig überaltert.

Giselher Spitzer ist Privatdozent an der Humboldt-Universität. Er veröffentlichte Bücher zum Einfluss der Stasi auf den Sport sowie zum Doping in der DDR.

Giselher Spitzer

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