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Über die Hürden gebounced: Tobi Amusan.

© IMAGO/Beautiful Sports

Debatte um Techno-Doping in der Leichtathletik: Wunder-Schuh statt Not-Schuh

Tobi Amusan lief im Wortsinne eine unglaubliche Zeit bei der Leichtathletik-WM. Vermutlich wegen Schuhen, die nicht für ihre Strecke vorgesehen sind.

In der Leichtathletik macht mal wieder der Begriff des Techno-Dopings die Runde. Anlass ist die Leichtathletik-WM in der vergangenen Woche in Eugene. Die Zeiten und Weiten, die dort erzielt wurden, waren nicht nur weltmeisterlich, mitunter waren sie kaum zu glauben. Die US-Amerikanerin Sydney McLaughlin lief über 400 Meter Hürden in 50,68 Sekunden ins Ziel – ihr vierter Weltrekord innerhalb von 390 Tagen. Von MacLaughlin ist man derart Übermenschliches gewohnt. Nicht aber von Tobi Amusan.

Die Nigerianerin verbesserte im Halbfinale über 100 Meter Hürden ihre persönliche Bestzeit um fast drei Zehntel auf 12,12 Sekunden, was einen neuen Weltrekord bedeutete. Im Finale lief sie sogar noch sechs Hundertstel schneller, allerdings mit zu großer Windunterstützung für einen offiziellen Weltrekord.

Bei solchen Zeiten und vor allen Dingen solchen Steigerungen kommen schnell Zweifel auf. Allzu oft in der Leichtathletikhistorie begründete. Im Falle von Amusan scheinen sich die Doping-Verdächtigungen zu erhärten, nur handelt es sich hierbei vermutlich um Techno-Doping. Immer häufiger bekommen die Athletinnen und Athleten einen entscheidenden Boost durch das Material. So auch Tobi Amusan.

Ihren Fabelweltrekord lief sie in Spikes, die gar nicht für solche Sprintstrecken vorgesehen sind. Amusan lief die 100 Meter Hürden im Adidas-Schuh Adizero Avanti, ein Schuh, der eigentlich für lange Laufstrecken vorgesehen ist. „Der Adidas Adizero Avanti verringert Muskelermüdung, damit du bei Rennen über 5 und 10 km beim Sprint zur Ziellinie die Pace noch mal anziehen kannst“, heißt es auf der Webseite des Herstellers.

Verletzungsbedingt lief Amusan mit dem Adidas-Modell

Dass Amusan auf das für die Langstrecke konzipierte Modell zurückgriff, hatte verletzungsbedingte Gründe. Anfang der Saison litt sie an einer chronischen Reizung des Fersenbeins. Adidas empfahl ihr einen Schuh mit einer größeren Dämpfung, um die Belastungen auf den Fuß zu mildern. So versuchte sie es mit dem Adizero Avanti, der eine für diese Distanz gerade noch zulässige Sohlendicke von 20 Millimetern aufweist. Der vermeintliche Not-Schuh erwies sich als Glücksgriff. Der Bouncing-Effekt des Schuhs ist höher als bei den gängigen Spikes über die Sprintstrecken. Dieser Effekt ermöglichte es Amusan, mit geringerem Energieaufwand über die Hürden zu springen. Es dürfte nicht lange dauern, bis die anderen Hürdensprinterinnen und -sprinter nachziehen und mit den gleichen oder ähnlichen Modellen antreten werden.

In der Leichtathletik findet seit Jahren eine erstaunliche Materialschlacht unter den Herstellern statt. 2017 gelangt dem Sportartikelriesen Nike ein Coup mit einem Modell namens Vaporfly. In diesem waren mehr Carbonplatten verbaut als in anderen Laufschuhen, seine Sohle war viel dicker. Die Läufer, allen voran Marathon-Weltrekordler Eliud Kipchoge, federten mit dem Schuh zu Top-Zeiten. Was anfangs von den Konkurrenten noch als Marketing von Nike abgetan worden war, schlug schnell in einen wahren Hype nach dem Nike-Modell um. Denn laut einer groß angelegten Studie brachte der Schuh tatsächlich einen effektiven Geschwindigkeitsvorteil.

Eine Debatte, angeführt von den konkurrierenden Sportartikelherstellern, entbrannte, ob ein solcher Schuh zulässig sein darf. Aber Nike, ein mächtiges Unternehmen in der Welt des Sports, setzte sich durch. Der Vaporfly darf bis heute getragen werden. Die anderen Hersteller reagierten und brachten ganz ähnliche Modelle auf den Markt. Nun also ist der Trend zur dickeren Sohle auch im Sprintbereich angekommen.

„Meine Fähigkeiten sind nicht auf die Spikes zurückzuführen“, sagte eine verärgerte Tobi Amusan. Angesichts ihres Leistungssprungs wäre dies als Begründung beruhigend. Andernfalls ist ihre Zeit kaum zu erklären.

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