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Wer sich sucht, der... Ditte Kotzian in ihrem aktuellen Element...

© Spierkermann-Klaas

Yoga und Leistungssport: Namaste, mein Name ist Ditte

Die ehemalige Berliner Wasserspringerin Kotzian hat ihre Mitte im Yoga gefunden. Früher hatte sie als Athletin nicht so ein ausgewogenes Leben, nun will sie sich als Yoga-Lehrerin selbstständig machen.

Es riecht nach schönen Menschen. Und nach Gas. Bei Sun-Yoga in Friedrichshain brummen Propangasheizungen und Deckenventilatoren um die Wette. „Yoga bei 40 Grad“, steht neben den schwitzenden Körpern auf der Spiegelwand. Ditte Kotzian lässt ihren Blick zufrieden auf ihre Schüler, auf ihre Yogis und Yoginis schweifen: „Treten, strecken, treten, strecken! Strecken! Strecken!“ Ihre Anweisungen mischen sich unter Flötenklängen aus Lautsprechern und transportieren Liebe, Routine und eine Prise Drill.

Denn mit der Aktivierung von Höchstleistung kennt sich die Yogalehrerin gut aus. Die 35-Jährige war seit frühen Kindesjahren in Berlin Sportlerin im Hauptberuf. Für Gymnastik war die schmale, gelenkige Athletin schon mit zehn Jahren zu groß und so landete sie mit Hilfe der DDR-Sportförderung beim Wasserspringen. Obwohl ihre 1,77 Meter Körpergröße auch dort ein Handicap sein können. Im Vergleich zur Konkurrenz aus Asien war Kotzian zwei Köpfe größer.

Funkelnder Nasenring, Holzkette, lange Haare, die sie beim Sprechen zu einem Wirbel formt. Ditte Kotzian greift auch mal zur Schulter ihres Gesprächspartners, während sie erzählt. Das erzeugt automatisch eine Beziehung. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, nachdem sie die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 im Synchronspringen gewonnen hatte, beendete Kotzian ihr Athletenleben. Denn schon früh, am Anfang ihrer aktiven Karriere, fand sie zum Yoga, „die friedlichere Art des Zusammenseins“, wie Kotzian sagt. Sie habe viele Techniken ausprobiert. Irgendwann war auch mal Yoga als Mittel zur Überwindung von Stress und Schmerzen nach vielen Verletzungen an der Reihe. Und es habe sich bewährt: „Yoga wurde fester Bestandteil des Trainingsplans. Es half mir, nicht nur meinen Körper fit zu halten, sondern auch bei der Kontrolle über meine Konzentration, die wichtig ist beim Wasserspringen.“

...früher sprang Kotzian ins Wasser und 2008 gewann sie bei Olympia in Peking Bronze.

© picture-alliance/ dpa

Vor dem Studio von Sun-Yoga in Friedrichshain schauen die Passanten nicht auf die schönen Yogis und Yoginis im Schaufenster. Yoga ist Lebensinhalt so mancher Bewohner und Besucher im Kiez an der Warschauer Straße. In Deutschland praktizieren mehr als fünf Millionen Menschen Yoga, rund 100 000 Arbeitnehmer und Selbstständige leben vom Volkssport. Denn er sei gleichzusetzen mit absoluter Gesundheit. Es gehe nicht um stählerne Körper, sagt Kotzian. Obwohl fast alle Yogaschüler an diesem Abend stählerne Körper strecken.

Yoga ist eine aus Indien stammende Lebensphilosophie. Sie ist mehr als Rekeln auf einer bunten Schaummatte. Yoga als Idealform ist Nachhaltigkeit, Vegetarismus, eine grundlegend positive Lebenseinstellung. Yoga ist Liebe. Yoga, so wie es Ditte Kotzian beschreibt, klingt arg esoterisch. „Ist es auch“, gibt sie zu. Das Ziel sei Erleuchtung. Ditte Kotzian lächelt nun sanft. Denn es ist schon und immer wieder ganz anders als die DDR-geprägte und in den Mühlen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und der bundesdeutschen Sportförderung gefangene Karriere als Leistungssportlerin.

Savasana, endlich!

Ditte Kotzian möchte also in einem neuen Leben nicht unbedingt wieder Athletin werden. Zumindest stellt sie sich regelmäßig die Frage, ob sie den Sportberuf nicht hätte anders anpacken sollen. Leistungssport, das bedeute Konkurrenz, Schmerzen und Verletzungen, utopische Normen, nörgelnde Sponsoren und immensen psychischen Druck. „Die Förderung bekommt nur die Elite“, sagt Kotzian, „wenn du zehn Punkte zu schlecht bist, gehst du leer aus. Auch wenn du genauso viel geackert hast wie die Elite.“ Leistungssport bedeutet aber vor allem eine Herausforderung für jeden Yogi. Lehrt die Yoga-Philosophie doch das krasse Gegenteil von dem, was auf dem Sprungbrett abverlangt wird.

Dennoch half ihr die Suche nach der Mitte auch während ihrer Zeit als Turmspringerin. „Yoga hat mir beigebracht, Niederlagen zu akzeptieren“, sagt Kotzian. Die verschriebene Gelassenheit habe sie in einen Vorteil verwandelt, als sie den Zwang zur Höchstleistung auf den Schultern trug. Neben ihrer Tätigkeit als Yogalehrerin möchte sie deswegen auch Yoga-Coach für Leistungssportler sein. Bald eröffnet sie zusammen mit Geschäftspartnerin Veronika Brückner ihr eigenes Studio in Schöneberg. Die Suche nach Räumlichkeiten und die Amtsgänge haben sie zum anvisierten Öffnungstermin im Winter vielleicht sogar erledigt. Denn das ist auch Yoga: sich kümmern. Der Name des Studios steht längst fest. „Heaven & Hell“. Irgendwie steht der Name für den Werdegang der Ditte Kotzian.

Im Jahr 2009 stand in dieser Zeitung ein Porträt über die Athletin, die nicht mehr wollte. Damals hatte Kotzian ihren Rücktritt frisch angekündigt. „Sie durchlebte auch Phasen mit der Sinnfrage“– das ist der zentrale Satz in diesem Artikel. Autoritäre Trainer habe sie gehabt, sie sei vor dem Leben als Athletin geflüchtet und brauchte in ihrer aktiven Zeit ihr Hobby als DJane – lange Party-Nächte inklusive – zum Ausgleich nach dem Drill.

Yoga ist als Kontrast zum Leistungssport auch viel Metaphysik. Im Studio ist es dann aber wieder das Rekeln auf einer bunten Schaummatte. Körpertechniken, die in den Anfängen der modernen Globalisierung im 20. Jahrhundert in die USA durch weiße Indien-Reisende gelangten. Als Abschaltsport reißt es urbane Yogaschüler aus dem Stressalltag, befördert sie, im Idealfall, in ihre innere Mitte.

„Savasana“ – Ruhephase bei Sun-Yoga, alle liegen, starren auf die Decke. Die kleinen schwarzen Löcher in der Deckenplatte verselbstständigen sich. Sie tanzen und formen sich zu abstrakten 3-D-Figürchen. Nach 90 Minuten Warm-Yoga rutschen die Teilnehmer auf ihrem Schweiß aus und den Anfängern rutscht manchmal ein „Fuck“ beim Ausatmen aus dem Mund. Die Lehrerin spricht: „Namaste, mein Name ist Ditte. Und ich trinke draußen noch gerne einen Tee mit euch.“ Sie hat ihre Mitte gefunden.

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