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Sport: ZEN ZU NULL Erlöst auch uns!

Fußball ist Philosophie. Deshalb heben wir hier den Ball auf eine höhere Ebene.

Fußball ist Philosophie. Deshalb heben wir hier den Ball auf eine höhere Ebene.

Seit mehr als drei Wochen suchen wir im Fußball unser wahres Selbst. Keiner von uns durfte hoffen, jemals so weit zu gelangen. Allein, zu sehen, zu sehen bekamen wir es noch immer nicht. Dabei hätte es sich gerade in den Extremsituationen der K.-o.-Runden eigentlich zeigen sollen: unser wahres Gesicht, das Wirkliche und Dauerhafte hinter der Unbeständigkeit des ewigen Hin und Her.

Doch wir sahen uns Deutsche auf dem Platz. Und was wir sahen, war also Nichts. „Diese Mannschaft hat keine Substanz. Ja, sie hat nicht einmal Eigenschaften. Genau darin“, sagt der Meister, „liegt auch das tiefe Geheimnis ihres Erfolges. Die deutsche Mannschaft ist den anderen nicht physisch, schon gar nicht spielerisch, sondern philosophisch überlegen.“

Diese Worte des Meisters geben zu denken. Wie bekämpft, gar besiegt man nämlich ein Team, das keine Stärken besitzt, auf die man sich einstellen könnte? „Auf Kahn“, fügt der Meister gleich hinzu, „auf Kahn kann man sich nicht einstellen. Das Einzige, was man kann, ist an ihm verzweifeln.“ Ansonsten gibt es in der Tat keine Haltepunkte. Kein System, das Deutschland bevorzugte (1-9-1 ist kein System!). Keine Startelf, die verlässlich wäre. Keine Kritik, die nicht zuträfe. Keine Veränderung, die sie weitergebracht hätte.

Was die deutsche Mannschaft ist, ließ sich deshalb nicht aus ihr selbst heraus verstehen, sondern allenfalls in Relation zu ihren Gegnern. „Doch diese Gegner“, sagt der Meister, „waren ja bisher auch nichts.“ So sind wir – und die Restwelt bezeugt es – im Turnierverlauf zu etwas vollkommen Unbegreiflichem, Unfassbarem geworden.

Weshalb sich die deutsche Nationalmannschaft am Dienstag gegen unsere koreanischen Geistesbrüder auch in einer günstigen Ausgangslage wiederfindet. Sie hat kein Gesicht, das sie wahren oder verspielen könnte. Wenn aber überhaupt etwas auf ihr Auftreten zutrifft, dann die paradoxe Beschreibung, die Buddha einst vom Nirwana gab. Nämlich, dass sich auch über Deutschlands Fußball „weder sagen lässt, dass er sei, noch nicht sei, noch beides, noch keines von beidem“. Kurz, die deutsche Fußballnationalmannschaft hat es bereits jetzt geschafft: Sie ist erlöst! Nur wir Fans, wir wahren, törichten und dankbaren Fans, wollen bis zum greifbaren Titel noch ein wenig für sie leiden. Sehr gerne sogar. Wolfram Eilenberger

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