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Wuchtig und wichtig. Robert Harting überzeugte auch in Wattenscheid. Er ist keiner, der sich nur im Kreis dreht, sondern immer weiterkommt. Foto: dapd

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Sport: Zerstören und aufbauen

Robert Harting wird wieder Deutscher Meister und fährt jetzt zur EM, obwohl ihm das erstmal schadet.

Ein Raunen durchzog das Lohrheide-Stadion in Wattenscheid. 17 500 Zuschauer verfolgten den Diskus, der durch die Luft wirbelte und irgendwann im Rasen einschlug, weit hinter dem roten Band, das die Olympianorm darstellte, die 65-Meter-Marke. Wie weit? Das wird man nie erfahren. Denn neben dem Diskusring hob ein Kampfrichter die rote Fahne – ungültig, Hartings dritter Versuch bei der deutschen Leichtathletik-Meisterschaft zählte nicht. Aber natürlich lag er trotzdem weiter in Führung. 67,69 Meter hatte bis dahin noch keiner der Werfer übertroffen. Am Ende sollte dies nur einem gelingen: Robert Harting, dem zweimaligen Weltmeister. Er gewann mit 67,79 Metern.

Ein souveräner Sieg, Martin Wierig, der Zweite, kam auf 64,48 Meter. Und ein Sieg, den Harting fast aus vollem Training heraus erzielte. Die deutsche Meisterschaft war für Harting eine Pflichtstation, mehr nicht. Deshalb hatte er auch gar nicht mit einer großen Weite gerechnet. „Ich war etwas müde. Aber für diese Bedingungen war es okay“, sagte er lakonisch. Die Bedingungen waren gut, jedenfalls für Diskuswerfer. Der Scheibe flog bei dem Wind sehr gut.

Und jetzt? „Jetzt fahre ich zur EM nach Helsinki, damit ich meine Form zerstöre“, sagte Harting. „Das hört sich absurd an, aber es ist für Olympia wichtig.“ Er geht jetzt nach Kienbaum ins Trainingslager, schuftet in acht oder neun Einheiten in der Woche, baut neue Kraft auf und hofft, dass die Schmerzen im Knie erträglich sind.

Die Schmerzen. Das ewige Thema. Ende Januar hockte der Hüne depressiv da, starrte vor sich hin und überlegte, ob er die Saison nicht ganz einfach abbrechen sollte. Die Schmerzen in seinem operierten Knie waren einfach zu stark. Diese Phase ist nur ein paar Monate her. Es war die Zeit, als Robert Harting im Kraftraum saß, umgeben von unzähligen Gewichtscheiben und Hanteln, und der Hüne, ausgestattet mit Oberarmen wie junge Eichen, versuchte, eine Hantel zu heben. Nur eine Hantel, ohne ein Kilogramm zusätzliches Gewicht. Er schaffte es nicht.

Aber er war ja auch selbst schuld. Im Oktober 2011 war seine entzündete Patellasehne operiert worden, danach musste er sich Krücken zulegen, das normale Programm also. Bloß hielt sich Harting nicht an die Routine. „Ich habe nach eineinhalb Wochen die Krücken stehen lassen. Das hat sich gerächt. Im Training musste ich oft gegen den Schmerz antrainieren“, sagte der 27-Jährige. „Es war so, als wenn man die Hand auf die heiße Herdplatte legt und sie einfach nicht zurückzieht.“

Er schluckte Schmerzmittel wie andere Hustensaft. Was sollte er auch tun, sagte er sich. Er musste einfach mal ausprobieren, wie es läuft mit dem Training. Bis Ende Mai quälte er sich durch, dann „erst machte es klick“. Dann erst konnte er wieder mit hoher Belastung trainieren.

Aber der Körper ist immer noch ein Risiko, Harting kann nie sicher sein, dass das Knie hält. Natürlich auch bei den Olympischen Spielen nicht. Gold will Harting in London, er ist zweimaliger Weltmeister, er hat seine letzten 25 Wettkämpfe nicht verloren, natürlich will er Gold.

Harting posiert auf seiner Internetseite wie ein Kraftmensch im Zirkus, aber er ist zugleich hochgradig sensibel. Deshalb haben seine 70-Meter-Würfe so eine enorme Bedeutung. Bei den Halleschen Werfertagen im Mai schleuderte er den Diskus 70,33 Meter weit. Zum ersten Mal hatte er die legendäre, symbolträchtige 70-Meter-Marke übertroffen. Aber in Halle an der Saale waren die Bedingungen optimal, der Diskusring steht auf einer Segelwiese, wo die Scheiben besonders gut fliegen.

70,33 Meter, das war eine Befreiung, aber etwas blieb. Das Gefühl, das optimale Bedingungen diesen Wurf begünstigten. Eine Bestätigung wäre also gut, noch ein 70-Meter-Wurf, der Halle nicht als Ausnahmeleistung erscheinen ließe. Drei Tage nach den 70,33 Metern hatte Harting dann seine Bestätigung. In Turnov, in Tschechien, steigerte er sich sogar auf 70,66 Meter.

Man muss Harting erlebt haben, man muss gehört haben, wie er jahrelang über diese 70 Meter sprach wie ein verliebter Teenager, der verzweifelt um die Liebe seiner Traumfrau kämpft, um nachvollziehen zu können, was diese 70,33 und 70,66 Meter für ihn bedeuten. Ein Handicap stellt jetzt nur noch eine Statistik dar, die keinem Menschen bisher groß aufgefallen ist. Harting schon. „Es gibt noch ein Problem, das oft vergessen wird“, sagt er. „Europameister Piotr Malachowski lag bisher immer in den geraden Jahren vorn. Ich hoffe, dass ich mich 2012 von den Trauma befreien kann.“

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