zum Hauptinhalt

Sport: Zu früh geärgert, zu früh gefreut

Ein 0:2 wandelt Hertha BSC in Leverkusen in ein 3:2 um – kassiert aber noch den Ausgleich.

Thomas Kraft, dem Torhüter von Hertha BSC, gelangen innerhalb von fünf Minuten zwei spielentscheidende Aktionen. Erst lenkte er beim Stand von 1:2 einen Elfmeter an den Pfosten; kurz darauf erweckte Kraft seinen Kollegen Tunay Torun zum Leben. Der Torhüter stürzte 30 Meter aus seinem Tor und schrie auf den türkischen Nationalspieler ein. Torun wusste zunächst gar nicht, was los war. Dann drehte er sich um und stellte fest, dass er doch ziemlich weit vom eigenen Tor entfernt stand. „Seine Reaktion war berechtigt“, sagte Torun. Vor allem verfehlte sie ihre Wirkung nicht. Drei Minuten später erzielte der Offensivspieler das 2:2 für Hertha, wiederum fünf Minuten später brachte er den Berliner Fußball-Bundesligisten 3:2 in Führung. „Das war doch gut“, sagte Trainer Otto Rehhagel über Krafts teaminterne Erziehungsmaßnahme. Am Ende hielt sich die Freude bei den Berlinern trotzdem in Grenzen – weil Stefan Kießling kurz vor Schluss nach einem Freistoß per Kopf noch zum 3:3 (1:0)-Endstand traf.

Für die Fans von Hertha BSC ist die Bayarena ein Ort des Schreckens, seitdem dort vor zwei Jahren der Abstieg ihrer Mannschaft aus der Bundesliga besiegelt worden war. Gestern erlebten die 29 704 Zuschauer in Leverkusen einen kaum weniger emotionalen Nachmittag. Am Ende durften sich die Berliner wie die moralischen Sieger fühlen; in Wirklichkeit waren sie die großen Verlierer. Zwischendurch hatte Hertha wichtigen Boden auf die Konkurrenz gut gemacht, war bis auf einen Punkt an den FC Augsburg auf Platz 15 herangerückt. Doch nur wenige Augenblicke nach Bayers 3:3 leuchtete auf der Anzeigetafel der 2:1-Siegtreffer der Augsburger auf. Die Berliner liegen nun fünf Punkte hinter dem rettenden Rang 15. „Wir müssen uns nichts vormachen und irgendwelche Märchen erzählen“, sagte Rechtsverteidiger Christian Lell. „Unser Ziel kann nur noch der Relegationsplatz sein – so bitter das nach so einem Spiel auch ist.“

Hertha – wie erwartet mit Peter Niemeyer in der Innenverteidigung – hatte die Partie in Leverkusen sehr abwartend begonnen. Die Defensive stand erneut sicher; nach vorne aber trauten sich die Berliner gegen träge und einfallslose Leverkusener anfangs viel zu wenig zu. „Mir ist das absolut unbegreiflich, wie man gegen so eine Mannschaft so ängstlich spielen kann“, sagte Torhüter Kraft. Erst in der Schlussphase der ersten Hälfte wurde Hertha etwas mutiger und kam durch Änis Ben-Hatira zu zwei ansehnlichen Möglichkeiten. Zunächst stocherte der Deutsch-Tunesier eine Hereingabe am Tor vorbei, ein paar Minuten darauf brachte er aus der Drehung nur einen Hoppelball zustande. Leverkusen hingegen fand nie richtig ins Spiel, und trotzdem stand es zur Pause 1:0 für die Gastgeber – weil André Schürrle mit einem feinen Schlenzer unter die Latte Thomas Kraft überwunden hatte.

Dem Treffer direkt vor der Pause ließ Bayer einen weiteren gleich nach dem Wiederanpfiff folgen. Kießling startete ein Solo durch Herthas Strafraum, er ließ Niemeyer stehen, danach Lell und Niemeyer gleich noch ein zweites Mal, ehe er den Ball ins Tor trat. Erst jetzt, als das Spiel eigentlich entschieden schien, regten sich Herthas Lebensgeister. Auch Trainer Rehhagel wurde nun mutiger, brachte mit Pierre-Michel Lasogga und Tunay Torun zwei neue Offensivkräfte. Herthas Auftritt hatte nun mehr Biss, Ramos und Bastians vergaben gute Gelegenheiten zum Anschlusstreffer, Lasogga schließlich brachte die Berliner mit einem Kopfballtor, seinem ersten Treffer seit Ende Januar, wieder heran.

Aber immer, wenn bei Hertha die Hoffnung ihr Haupt erhebt, kommt das Schicksal mit dem dicken Hammer und schlägt wieder zu. Nur zwei Minuten nach dem 1:2 entschied Schiedsrichter Michael Weiner auf Elfmeter für Bayer. Lewan Kobiaschwili hatte Eren Derdiyok kurz festgehalten. Sein leichter Zupfer entfaltete große Wirkung. Die Leverkusener hatten durch Simon Rolfes die Chance, auf 3:1 zu erhöhen; zudem musste Kobiaschwili mit Rot vom Platz, so dass am kommenden Wochenende gegen Kaiserslautern ein weiterer Abwehrspieler fehlt. Doch Kraft lenkte Rolfes’ Schuss an den Pfosten, den Abpraller trat Derdiyok am Tor vorbei. Die Berliner zeigten nun eine bewundernswerte Moral gegen erstaunlich naive Leverkusener, die sich im eigenen Stadion bei Überzahl auskontern ließen. Nach dem 3:2 brach in der Berliner Coachingzone kurzzeitig der Wahnsinn aus. Otto Rehhagel hatte alle Hände voll zu tun, seine Entourage wieder zur Raison zu bringen. Dass seine Vorsicht berechtigt war, zeigte sich nur ein paar Minuten später.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false