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Nicht schön genug: Mano Menezes ist nicht mehr Nationaltrainer von Brasilien.

© rtr

WM 2014 in Brasilien: Zu Gast bei Göttern

Brasilien sucht vor der WM 2014 die Schönheit des Spiels. Im Land des Gastgebers der kommenden Weltmeisterschaft fragen sich Fans und Journalisten: Können Ronaldo und Scolari dabei helfen, schön zu spielen und den Titel zu gewinnen?

Brasilien ist ein großes und aufregendes und seltsames Land. Seit ein paar Tagen wird hier ernsthaft darüber debattiert, ob Ronaldo nicht beim kommenden Mundial dabei sein sollte. Der einstige Weltstar hat schließlich ein paar Gramm abgenommen, und mit gerade 36 Jahren ist er immer noch im besten Fußballalter. Warum also sollte er in knapp zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft unterm Zuckerhut nicht für die Seleção stürmen?

Der Mundial ist das Größte für die fußballbesessenen Brasilianer. 2014 wird die Welt zu Gast bei Göttern sein, aber die Zeit bis dahin gestaltet sich schwierig. Es gibt mangels WM-Qualifikation keine richtigen Länderspiele, und der einzige Weltstar, Neymar, verdankt seinen Ruhm vor allem der Frisur. Einen Nationaltrainer gibt es auch nicht mehr. Der bisherige, Mano Menezes, wurde am Freitag auf denkbar seltsame Weise verabschiedet, nämlich nach einem Sieg im Superclásico gegen Argentinien. Das heißt: Ein richtiger Sieg war es eigentlich nicht, und ein richtiger Superclásico auch nicht. Brasilien verlor in Buenos Aires 1:2, kam aber nach dem 2:1-Sieg im Hinspiel ins siegreiche Elfmeterschießen eines seltsamen Wettbewerbs, bei dem nur Spieler aufgestellt werden dürfen, die in den nationalen Ligen beider Länder aktiv sind. Sozusagen die dritte Besetzung plus Neymar auf brasilianischer Seite.

Brasilien ist auf alle Ewigkeit dazu verdammt, nicht nur erfolgreich zu spielen, sondern vor allem schön. Menezes ist entlassen worden, weil er nicht schön genug spielen ließ. „Jogo bonito“ heißt das auf dem internationalen Fußballmarkt geschützte Patent, dem sich jeder Nationaltrainer unterzuordnen hat. Andernfalls macht er sich zum Feind der Tausendschaft von Journalisten, die sich weniger der Objektivität verpflichtet fühlt denn der Wahrung eines nationalen Auftrages, nämlich die Schönheit des Spiels hinaus in die Welt zu tragen. Das von Menezes verantwortete Spiel war den Brasilianern nicht schön genug.

Wie viel Schönheit steckt noch in Brasilien? Neymar spielt für den Pelé-Klub FC Santos, er ist gerade 20 geworden und gilt wie sein prominenter Vorgänger als eine Art unverkäufliches Kulturgut. Die Ansprüche zwischen Porto Alegre und Manaus sind traditionell hoch. Platz eins ist das Mindeste, was die Brasilianer von ihrer Mannschaft 2014 erwarten. Und schon seit längerem argwöhnten sie, dass Mano Menezes kaum der Richtige sein dürfte auf dem Weg dahin. Den Job in der Seleção hatte er vor allem deshalb bekommen, weil ihn kein anderer wollte. Im Sommer 2010, nach dem blamablen WM-Aus im Viertelfinale unter Carlos Dunga, den die Fußballnation schon als Spieler wegen seines eher rustikalen Stils als unzumutbar empfunden hatte. Menezes war dritte Wahl hinter Muricy Ramalho von Neymars FC Santos und dem ewig verdächtigem Luiz Felipe Scolari, den sie in Brasilien alle Felipao nennen. Beide zählen auch diesmal zum Kandidatenkreis. Eine Entscheidung will der brasilianische Verband CFB zwischen Weihnachten und Neujahr treffen. Präsident José Maria Marin favorisiert Ramalho. Sein Stellvertreter Marco Polo del Nero, die graue Eminenz des Verbandes mit einem feinen Gespür für die Stimmung im Volk, will es noch einmal mit dem alten Volkshelden Scolari versuchen.

Scolari hatte die Seleção vor zehn Jahren in Fernost zum fünften und bislang letzten WM-Titel geführt. Mit einem 2:0 im Finale über die Mannschaft des schwächelnden Titanen Oliver Kahn und nach einer chaotischen Anlaufphase, die für Scolari mit einem K.o. in der Südamerikameisterschaft gegen Honduras (Honduras!) begonnen hatte. Nach der WM verkrachte er sich mit dem CBF, arbeitete überaus erfolgreich mit der portugiesischen Nationalmannschaft und nicht ganz so erfolgreich beim FC Chelsea und, zwei Adressen tiefer, bei Bunjodkor Taschkent. Sein bislang letztes Engagement beim Traditionsklub SC Palmeiras hatte seinen Höhepunkt mit dem Gewinn der Copa do Brasil vor einem knappen Jahr – und endete im September mit der Entlassung, als der Klub gerade ans Tabellenende gerutscht war.

Palmeiras steht längst als Absteiger fest, aber Felipao wird es wohl zum Aufsteiger des Jahres schaffen. Brasilien verbindet mit ihm nicht die jüngsten Misserfolge, sondern den Triumph von 2002 über die Deutschen nach zwei Toren von Ronaldo. Scolari denkt übrigens nicht über eine Reaktivierung nach und die brasilianische Presse auch nicht. Der Mundial, bei dem sie Ronaldo gerne sehen würde, ist die in Europa kaum wahr- und überhaupt nicht ernstgenommene Klub-WM im Dezember in Japan. Brasiliens Vertreter ist der SC Corinthians aus Sao Paulo, bei dem Ronaldo zuletzt unter Vertrag stand. Und Mano Menezes, bevor er den Ruf der Seleccion erhörte.

Brasilien ist ein großes und aufregendes und seltsames Land.

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