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Sport: Zweifelhafte Laufkundschaft

Im Dopingfall um Justin Gatlin bemüht dessen Trainer Trevor Graham eine Verschwörungstheorie

Die Schattenwelt des Dopings ist um eine schillernde Erklärung reicher. Wenn es stimmt, was sein Trainer behauptet, dann ist ein rachsüchtiger Masseur für die positive Dopingprobe von Sprint-Weltmeister und Olympiasieger Justin Gatlin verantwortlich. Vor dem Staffelrennen in Kansas City im April, bei dem Gatlin erwischt worden war, habe die fragliche Person die Beine des Sprinters eingerieben, sagte dessen Coach Trevor Graham der „Washington Post“. Während der Athlet geglaubt habe, es handle sich um harmlose Massagecreme, enthielt die Substanz angeblich den verbotenen Schnellmacher Testosteron. Als er, Graham, damals den Raum betrat, habe der Masseur eiligst eine weiße Dose mit der Substanz in seiner Tasche verschwinden lassen.

„Wir wissen genau, wer das getan hat. Justin und ich sind am Boden zerstört“, sagte Graham weiter, „wir versuchen, seine Unschuld zu beweisen und wir hoffen, die verantwortliche Person hat den Mut, zu gestehen und zu sagen, was er getan hat.“ Angeblich hat Graham bereits Privatdetektive auf den Masseur angesetzt, der die Tat geplant haben soll, um sich für seine bevorstehende Entlassung zu rächen. Die Geschichte klingt ja ganz hübsch, sie hat jedoch eine Reihe von Haken. Zum einen sind mehr oder weniger originelle Ausreden von erwischten Dopingsündern so verbreitet wie Fehlstarts bei 100-Meter-Sprints. Zweitens sieht das Anti-Doping-Reglement vor, dass einzig und allein der Athlet für die Substanzen verantwortlich ist, die sich in seinem Körper finden. Die Begleitumstände können allenfalls strafmildernd wirken. Und schließlich ist die Glaubwürdigkeit des Zeugen Graham ausgesprochen gering.

Weil es sich um das zweite Dopingvergehen Gatlins handelt, müsse er auf Lebenszeit gesperrt werden, forderte derweil der Vorsitzende der Welt-Anti-Doping-Agentur Richard Pound. „Sie werden schon beweisen müssen, dass er es tatsächlich ohne sein Wissen getan hat“, sagte er weiter, „alles andere wird Gatlin nicht weiterhelfen“. Dessen Anwältin Cameron Myler wollte Grahams Aussagen zunächst nicht kommentieren. „Wir sehen uns die verschiedenen Optionen an“, sagte sie, „aber ich kann nichts von dem bestätigen, was Trevor Graham gesagt hat. Er hat seine Bemerkungen nicht mit uns abgestimmt. Und so lange wir nicht sicher sind, werden wir auf niemandem mit dem Finger zeigen.“ Myler bestätigte zudem, dass eine Isotopen-Analyse von Gatlins Dopingproben vorliege, die zeige, dass das Testosteron von außen zugeführt worden und nicht auf eine körperliche Anomalie zurückzuführen sei.

Einmal angenommen, die Geschichte von dem rachsüchtigen Masseur stimmt wirklich, wird Gatlin trotzdem große Probleme haben, die Sportrichter von ihr zu überzeugen. Sollte er sich nicht reuig zeigen, bleibt ihm nur sein Trainer als Zeuge. Der genießt in der Sportwelt einen zweifelhaften Ruf. Im Augenblick ermittelt die Staatsanwaltschaft in Kalifornien gegen ihn, weil sie vermutet, er habe im Prozess gegen das Doping-Labor Balco von Victor Conte unter Eid falsch ausgesagt. In der Vergangenheit sind wenigstens sechs Athleten des in North Carolina stationierten Trainers wegen Dopings gesperrt worden, darunter der ehemalige 100-Meter-Weltrekordler Tim Montgomery.

Bei dem Skandal um das Balco-Labor spielte Graham ebenfalls eine windige Rolle. Einst gehörte er zu den Insidern des Kreises von Conte, der in seinem Labor vor den Toren San Franciscos unter anderem das künstliche Steroid THG entwickelte. Beide arbeiteten damals Hand in Hand daran, Athleten mit illegalen, aber unentdeckbaren Mitteln zum Sieg zu verhelfen. Um so verblüffter war die Sportwelt, als sich herausstellte, dass es Graham war, der eine gebrauchte Spritze mit THG an das Anti-Doping-Labor in Los Angeles schickte und so den größten Skandal in der Geschichte der amerikanischen Leichtathletik lostrat. Bis heute ist nicht geklärt, was Graham zu dem Verrat trieb.

Laut dem Doping-Experten Werner Franke gab es bei Balco auch eine Testosteron-Salbe namens „The cream“: „Da kann keiner etwas nachweisen.“ Zudem tauchte das Thema Testosteron auch in einem Brandbrief auf, den Conte nach Informationen des gewöhnlich gut unterrichteten „San Francisco Chronicle“ im Jahr 2003 an die amerikanische Anti-Doping-Agentur USADA und den internationalen Leichtathletikverband geschrieben hat. Darin bezichtigt er Graham, seine Athleten mit einem oral eingenommenen Testosteron zu dopen. Vier Sportler nennt Conte darin mit Namen, einer von ihnen ist Gatlin. Warum Conte den Brief nie abschickte, erklärt die Zeitung allerdings nicht. Die nächste Gelegenheit, etwas Licht ins Dunkel zu bringen, bekommt Gatlin in dieser Woche. Dann darf er in einer Anhörung der USADA seine Sicht des Falles darstellen. Davon, ob sie die Version vom rachsüchtigen Masseur glaubt, wird abhängen, ob Gatlin je wieder einen Wettbewerb bestreiten darf.

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