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Arbeit bei der Arbeit. Unions Stadionsprecher ist gleichzeitig Chef der Kommunikationsabteilung.

© Frank Willmann

Willmanns Kolumne: Arbeit für Union

In seiner aktuellen Kolumne würdigt Frank Willmann das Wirken von Unions Stadionsprecher Christian Arbeit, das unser Autor trotz einiger Ausnahmen als angenehm unaufgeregt empfindet.

In vielen Fußballstadien ist der ehrenwerte  Job des Stadionsprechers mit Typen besetzt, die eine abscheuliche Mischung aus Heizdeckenverkäufer und Propagandaknecht darstellen. Anstatt uns friedlich mit unseren Nachbarn über die Erlebnisse der Woche plaudern zu lassen, werden unsere Gehörgänge mit geistlosen Kauf-mich-Botschaften drangsaliert. Wenn dann noch lokale Radiosender Existenzen an der Musikanlage platzieren, die uns mit den schönsten Hits der 70er, 80er, 90er, 0er und 10er Jahre das Fell gerben, ist es endgültig vorbei. Derart aufgehetzt von allem Schlechten dieser Welt, schreien wir beim ersten Foul nach Blutrache, fordern den Atomschlag gegen die Gastmannschaft und gönnen uns aus Verzweiflung schon vorm Spiel sechs halbe Liter, um den ganzen Schlamassel einigermaßen überstehen zu können.

Zur Freude vieler Berliner ist das beim 1. FC Union ganz anders. Hier schwingt Christian Arbeit auf angenehme Weise den Taktstock. Wer beim Freitags-Kick gegen die bedauernswerten Veilchen aus Aue im Stadion weilte, wird deutlich das Geburtstagsständchen der Fans vernommen haben. Es galt dem langhaarigen Stadionsprecher, der in seinem Stil einen Typus verkörpert, den man gern im Stadion trifft. Abseits des Mainstream, mit Ironie gesegnet und einem hundertprozentigen Fanherzen ausgestattet.  

Seit der Saison 2005/06 ist Christian Arbeit als Stadionsprecher unterwegs. Inzwischen ist er auch Leiter der Kommunikationsabteilung. Die Jahre vor ihm wechselten die Sprecher sehr häufig. Ein Humtatamoderator neben dem Ossi-Original, ein spaciger Engländer mit der Lizenz Zum-übers-Wasser-laufen neben fahlen Nachwuchstalenten, die nie einen Draht zum Publikum bekamen. Die alte Geschichte von Topf und Deckel. Union musste erst Christian Arbeit finden. Und er Union.

Zwanzig Minuten vor dem Anpfiff betritt er den Rasen. Keine Werbung aus den Lautsprechern, der geneigte Zuschauer bleibt tatsächlich während seines kompletten Aufenthalts im Stadion An der Alten Försterei unbelästigt. Er begrüßt die Zuschauer, nennt die Gästeaufstellung, geht wieder vom Platz. Die Namen der Gäste werden von den Unionern mit einem entspannten: Na und? kommentiert. An dieser Stelle waren früher ganz andere Bekundungen zu vernehmen. Heute ist heute. Arbeit mag, wie die meisten Unioner, ein volles, geräuschvolles Stadion. Inklusive vollem Gästeblock.

Nun ist Unions Musikchef Wumme dran. Er spielt zwei bis drei Lieder in einer Lautstärke die uns nicht das Hirn entfleuchen lässt. Meist ist es Indie, manchmal ein Union-Lied, keine Hände zum Himmel oder ähnlicher Musikmüll. Heute hören die Zuschauer als letzten Titel: "Eisernet Lied" von der Berliner Band Sponti.

Union ist für Arbeit nicht mehr Freizeit, sondern Verpflichtung

Jetzt kommt Arbeit nochmal auf den Rasen, um ein paar Sätze zum vergangenen Spiel zu sagen, oder ein wichtiges Union-Thema anzureißen. Gegen Aue zog er seine Jacke aus und sprach vom Auswärtsspiel in Köln. Darüber, was Union dort trotz 3000 mitgereisten Fans auf dem Rasen und hinter dem Zaun fehlte. Dann kommt die Mannschaftsaufstellung. Er nennt die kompletten Namen der Union-Spieler. Die Union-Wand antwortet lautstark mit: Fußballgott. Beim Kapitän und Unioner der Herzen Torsten Mattuschka, fällt das Wort Fußballgott besonders intensiv aus. In der Lautstärke dicht gefolgt von Union-Uwe, dem Trainer Uwe Neuhaus. Zum Schluss sagt Arbeit: „Auf geht’s und niemals vergessen!“

„Eisern Union, Eisern Union, Eisern Union!“, antwortet felsenfest überzeugt das Publikum.

Christian Arbeit hat keine besonderen Spieltagsrituale. Außer vielleicht die Sache mit den zwei Putzfrauen des Stadionbereichs.

„Meinste dit klappt heute, Christian?“

„Na klar, dit klapp heute!“

Wenn er die zwei Damen nicht trifft und mit ihnen knuddelt, fehlt eine winzige Sache.

Am Spieltag schüttelt er gern Hände. Dabei ist es ihm egal, ob die Hand dem Präsi, oder einem Ordner vom Hinterausgang gehört. Vergangenen Freitag stand er um acht Uhr früh im Büro und war froh, gegen 21 Uhr 30 zu Hause sein zu dürfen. Als endlich der eigene Spielbericht im Netz stand. Er hat keinen besonders familientauglichen Job. Sein Verhältnis zur gern sehr aufgeregten Berliner Presse empfindet er als entspannt, auch wenn einige Journalisten das so definitiv nicht unterschreiben würden und sich dabei insbesondere an Arbeits Stellungnahme im Zusammenhang mit der vermeintlichen Stasi-Vergangenheit von Union-Präsident Dirk Zingler erinnern, die der Stadionsprecher einst vor vollbesetzten Rängen in der Alten Försterei abgab.

Die wichtigsten Infos bringt er am liebsten zuerst auf der Union-Webseite. Das sorgt nicht immer für Zufriedenheit. Union ist sein erster Fußballjob, wahrscheinlich auch sein letzter. Bis 2005 war er nur Fan. Als Union in der viertklassigen Oberliga darniederlag, wurde er angehauen, ob er sich vorstellen könnte als Stadionsprecher einzusteigen. Damals für eine eher symbolische Summe. Er hat nachgedacht und zugesagt. Seitdem ist Union nicht mehr Freizeit, sondern Verpflichtung. Der Urlaub orientiert sich am Spielplan. Ein Hundertzehnprozentiger.

Gegen Aue kann er insgesamt drei Union-Tore verkünden. Nach dem Spiel tanzen und singen Spieler, Trainer und Betreuer noch lange auf dem Rasen, die Fans auf den Traversen. Jeder umarmt Jede. Arbeit steht etwas abseits und lächelt. Die Fans wünschen sich Union-Uwe herbei. Trainer Neuhaus kommt, feiert die Fans, die Fans feiern ihn. Ein freudvolles Ritual, das direkt in die Körpermitte geht.

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