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Korrupt. Nicht nur Ärzte wirtschaften in die eigene Tasche.

© dpa

Bestechung: So korrupt ist unser Gesundheitswesen

In kaum einer Branche wird so viel geschmiert wie im Gesundheitssektor, riesige Beträge fließen unter der Hand in die Taschen des medizinischen Personals. Mit einem neuen Gesetz will die Koalition nun gegen die Missstände vorgehen.

Das Wohl des Patienten als oberstes Gebot der ärztlichen Kunst – schon der griechische Arzt Hippokrates setzte sich in der Antike mit der Frage auseinander, was sich für seinen Berufsstand geziemt. Und was nicht. „Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil“, heißt es heute noch in den Fakultätsstatuten von medizinischen Hochschulen und in den Eidesformeln von Hebammen und Apothekern, die auf den berühmtesten Mediziner der Antike zurückgehen. „Hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden.“

Im Gesundheitswesen fließt viel Geld unter der Hand

Offenbar hatte schon Hippokrates seinerzeit im Blick, worauf Organisationen wie Transparency International (TI) seit Jahren hinweisen: Wer in der Gesellschaft oder in der Geschäftswelt eine wichtige Position bekleidet, kann seine Macht auch zum eigenen Nutzen missbrauchen. Kein Mensch, kein Unternehmen und kein Wirtschaftszweig auf der Welt sind gegen Korruption gefeit. Schwarze Schafe gibt es überall, auch in Deutschland. Ein lukrativer und wachsender Markt für Selbstbereicherung ist hierzulande laut Transparency vor allem das Gesundheitswesen. Obwohl berufsständische Ordnungen oder Gesetze die Vorteilsnahme von Ärzten, Pflegern, Physiotherapeuten oder anderen Heilberufen zumindest teilweise verbieten, fließt in der milliardenschweren Branche sehr viel Geld unter der Hand – in die Taschen des medizinischen Personals. „Dabei geht es hier beileibe nicht nur um eine Berufsgruppe“, sagt TI-Korruptionsexperte Wolfgang Wodarg. „Wir wissen von Korruption in allen Bereichen.“

Das neue Gesetz soll für die gesamte Gesundheitsbranche gelten

Mehr als 30 staatlich anerkannte Gesundheitsberufe, vom Altenpfleger über den Chirurgen bis zum Zytologieassistenten, gibt es in der Bundesrepublik. Wenn sie sich künftig in der Ausübung ihrer Profession durch unstatthaftes Geben oder Nehmen einen Vorteil verschaffen, soll dies nicht ohne rechtliche Konsequenzen bleiben: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will bis Dezember einen Referentenentwurf vorlegen, der Bestechung und Bestechlichkeit für alle Beschäftigten in der Gesundheitsbranche unter Strafe stellt. Schwarz-Rot geht damit ein Vorhaben an, das es in den Koalitionsvereinbarungen festgezurrt hat. In der vergangenen Legislatur war ein ähnlicher Vorstoß des damaligen Gesundheitsministers Daniel Bahr (FDP) gescheitert.

Der Gesetzgeber will die Betroffenen "frühzeitig einbinden"

Nach eigenen Angaben geht der Gesetzgeber bei diesem Vorhaben neue Wege: Man wolle „die betroffenen Gruppen und Verbände frühzeitig einbinden“, heißt es. Ein erstes Treffen zwischen Politik, Wirtschaft und Justiz hat es gegeben. Anfang September waren die Vertreter von 40 Verbänden, Krankenkassen und Strafverfolgungsbehörden zum „Fachforum“ ins Justizministerium geladen. Was genau drinstehen wird im Gesetz, muss nun die Fachebene der beiden Federführenden, Bundesjustizministerium (BMJV) und Bundesgesundheitsministerium (BMG), entscheiden. „Wir werden keine Lex Ärzte schaffen“, kündigte Maas’ Parlamentarischer Staatssekretär Christian Lange nach dem Treffen lediglich an. „Und wir wollen auch in Zukunft die erwünschte und für alle Seiten wichtige Zusammenarbeit von Angehörigen der Heilberufe und Pharmaunternehmen nicht unter Strafe stellen.“

Der neue Straftatbestand soll mit Freiheits- oder Geldstrafe? Beides ist möglich

Fest steht bislang offenbar, dass im neu zu schaffenden Straftatbestand keine Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung vorgesehen sind. Beim Strafmaß wird sich der Gesetzgeber aller Voraussicht nach an den bereits existierenden Paragrafen 299 („Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr“) und 300 („Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr“) des Strafgesetzbuches orientieren: Verstöße dagegen können mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen sanktioniert werden, in besonders schweren Fällen mit Haftstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren. Niedergelassene Ärzte waren laut Urteil des Bundesgerichtshofs durch das Gesetzesraster gefallen und konnten daher bislang nicht wegen Bestechlichkeit belangt werden.

Experten sagen: Jedes zweite Geschäft in der Branche basiert auf Bestechung

Wie oft, an welcher Stelle und mit welchen Mitteln in der Gesundheitswirtschaft bestochen wird – Dina Michels kann ein Lied davon singen. Die Mitarbeiterin der Kaufmännischen Krankenkasse und Leiterin der niedersächsischen „Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ prüft Hinweise auf unlautere Absprachen und unzulässige Kooperationen in der Branche. „Wir wissen, dass ungefähr die Hälfte aller Geschäfte im Gesundheitsbereich auf diesem Wege zustande kommen“, sagt sie. Dabei müsse es nicht unbedingt Geld sein, das etwa für die Einflussnahme von Ärzten oder anderen in der Branche Beschäftigten über den Tisch gehe.

Praxisreinrichtung, teure Reisen, Führerschein: Die Präsente sind mannigfaltig

„Es gibt nichts, was ich noch nicht gehört habe“, sagt Michels. Um beispielsweise Mediziner in eine bestimmte Richtung zu steuern, finanziere die Gegenseite gerne auch mal Teile der Praxiseinrichtung, das Gehalt für Angestellte, teure Reisen oder den Führerschein für die Ehefrau, berichtet Michels. Dass die Politik nun einen neuen Anlauf im Kampf gegen die Korruption im Gesundheitswesen nimmt, ist für sie nicht nur für die deutsche Geschäftswelt ein wichtiges Signal. „Es betrifft ja nicht nur uns“, sagt Michels. Korruption sei ein grenzüberschreitendes Thema. „Wer da stehen bleibt, wird schnell zum Außenseiter.“ Ein anderer Branchenkenner nennt als Beispiele für unlautere Geschäfte im Gesundheitswesen die sogenannten Anwendungsbeobachtungen, die Ärzte im Auftrag von Pharmaunternehmen durchführen. Dabei müssen die Mediziner Fragebögen über bereits zugelassene Medikamente ausfüllen – und kassieren dafür oft fürstliche Honorare.

Wenngleich der Patient im Regelfall gar nichts von solchen oder anderen Mauscheleien mitbekommt: Die reichhaltigen Aufwendungen der Gegenseite zahlt am Ende die Solidargemeinschaft – all diejenigen, die in die Gesetzliche Krankenversicherung einzahlen.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 23. September 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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