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Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, in der Mitte der Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle.

© Uli Deck/dpa

Prozesse bis zum Verfassungsgericht: Berliner Verein will aktiv Gesetze kippen

Die "Gesellschaft für Freiheitsrechte" will mit perfekt vorbereiteten Einzelfällen nach Karlsruhe ziehen und Gesetze kippen, die Grundrechte verletzen. Das Bundesverfassungsgericht zeigt sich aufgeschlossen.

Von Ronja Ringelstein

Als Donald Trump per Präsidenten-Dekret festlegte, dass Menschen aus sieben verschiedenen überwiegend muslimischen Staaten nicht mehr in die USA einreisen dürfen, war die Klage der American Civil Liberties Union (ACLU) eine der ersten. Sie hatte Erfolg. Nur wenige Tage nach Trumps Dekret hatte eine Bundesrichterin in New York auf Antrag der Bürgerrechtsorganisation die Einreise mit gültigem Visum doch erlaubt. Mit „strategischer Prozessführung“ setzt die ACLU gezielt Menschen- und Grundrechte durch, seit fast hundert Jahren. In den 50er Jahren erwirkte sie ein Urteil des Supreme Court, des höchsten US-Gerichts, gegen nach Rassen getrennte Schulen; in den 70ern ein Urteil, das Frauen erlaubte, selbst über Abtreibungen entscheiden zu dürfen. Die Urteile waren Meilensteine für die Menschenrechte.

Gezielt ausgewählte Einzelfälle - keine Massenklagen

Hierzulande gab es eine vergleichbare Organisation noch nie – bis jetzt. Erstmals hat sich im vergangenen Herbst auch in Deutschland, genauer in Berlin, ein Verein gegründet, der durch strategisch ausgeklügelte Prozesse aktiv Gesetze kippen will. Gesetze, von denen die Mitglieder des Vereins glauben, dass sie Grundrechte verletzen. Ausgerechnet einer, der Gesetze täglich anwendet, ein Strafrichter am Berliner Landgericht, Ulf Buermeyer, hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) ins Leben gerufen. Buermeyer hat sich auch vorher schon für Freiheitsrechte eingesetzt, sieht etwa Vorratsdatenspeicherung und Massenüberwachungen schon lange kritisch. Einer der ersten Fälle der GFF richtet sich nun gegen das neue BND-Gesetz.

Das Bundesverfassungsgericht soll klären, ob das Gesetz den Bundesnachrichtendienst mit zu weitgehenden Befugnissen ausstattet. Es sollen aber nicht die einzigen Themen bleiben. Jedes Gesetz muss mit dem Grundgesetz vereinbar sein. Ist es das aus seiner Sicht nicht, nimmt der Verein es sich vor.

Da kommt Arbeit auf Karlsruhe zu. Ohnehin gehen dort im Jahr rund 6000 Verfassungsbeschwerden ein. Gerade deshalb freuen sich die Richter womöglich über besonders gut vorbereitete Klagen, glaubt Nora Markard. Markard ist ebenfalls Gründungsmitglied. Gemeinsam mit Buermeyer hat sie die Idee der GFF entwickelt, um eine „Lücke“ zu schließen, wie die Juniorprofessorin für Öffentliches Recht an der Uni Hamburg sagt. „Wir wollen Anstöße für die Gesetzgebung geben, wo sie nicht handelt, oder sie zurückzuholen, wo sie zu weit gegangen ist und die Grundrechte verletzt“, sagt Markard. Es handelt sich nicht um Massenklagen, sondern um gezielt ausgewählte Einzelfälle, die sie nach Karlsruhe bringen.

Buermeyer und Markard suchen sich den "perfekten" Kläger

Ist ein Gesetz mit dem Grundgesetz in Buermeyers und Markards Augen nicht vereinbar, suchen sie sich den Kläger. Zwar kann „jedermann“ eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Doch die Hürden sind hoch. Nur wer in seinen Grundrechten möglicherweise „betroffen“ ist und zwar „selbst, gegenwärtig und unmittelbar“, hat überhaupt eine Chance darauf, dass sich die Richter wirklich inhaltlich mit der Beschwerde beschäftigen und prüfen, ob es Grundrechte verletzt. Markard und Buermeyer brauchen also den perfekten Kläger für die perfekte Klage. Die kann dann auch hundert Seiten umfassen.

Buermeyer kennt das hohe Gericht gut, er arbeitete dort selbst eine Zeit lang, war 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter von Andreas Voßkuhle, der im selben Jahr Gerichtspräsident wurde. Er weiß also genau, worauf es in Karlsruhe ankommt. Obwohl beide selbst Juristen sind, lassen sie die Verfassungsbeschwerden aber von anderen, Profis auf dem jeweiligen Gebiet, schreiben. Das kann teuer werden.

Einige prominente Unterstützer hat die GFF schon

Die ersten fünf Fälle der GFF seien finanziert. Alles läuft über Spenden. Der eigentliche Verein hat rund 30 Mitglieder. „Aber es gibt inzwischen einige hundert Menschen, die uns als Fördermitglieder mit einem Beitrag von mindestens 90 Euro im Jahr unterstützen, manche sogar mit mehreren hundert Euro“, sagt Buermeyer. Auf diese Einzelspender käme es auf lange Sicht an, die größte Spendensumme betrug nach Angaben des Vereins aber sogar 25.000 US-Dollar. Das Geld kam von den Open Society Foundations, der Stiftungsgruppe des US-Milliardärs George Soros. Auf der Liste der Unterstützer stehen weitere prominente Namen, mit denen die GFF auf ihrer Webseite wirbt: Markus Löning (FDP), ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung etwa, oder der Berliner Ex-Piratenpolitiker Christopher Lauer (SPD) und der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof und früherer Linken-Abgeordnete Wolfgang Neskovic. „Wir haben auch Fördermitglieder aus der CDU, die haben uns allerdings gebeten, ihre Namen nicht zu veröffentlichen“, sagt Buermeyer.

Auch die Zusammenarbeit mit Verbänden ist eng, darunter der Chaos Computer Club, Netzpolitik.org und Reporter ohne Grenzen, um nur einige zu nennen. Sie unterstützen die GFF auch finanziell. Für die im Dezember beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Klage, mit der die Aktivisten einen Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch kippen wollen – das Verbot der Datenhehlerei –, hatte Netzpolitik.org 10.000 Euro investiert. Das Geld ging an den Rechtsbeistand, der die fast hundert Seiten lange Verfassungsbeschwerde verfasst hatte.

Das Bundesverfassungsgericht kommentiert politisches Geschehen grundsätzlich nicht. Doch ein Statement über den neuen Verein ist doch zu bekommen. „Das Bundesverfassungsgericht begrüßt zivilgesellschaftliches Interesse an der Durchsetzung der Grundrechte“, sagt ein Sprecher. Eine Bewertung konkreter Vereinigungen und deren Vorhaben könne man aber wegen „der gebotenen richterlichen Zurückhaltung“ nicht vornehmen.

Der Text erschien in "Agenda" vom 14. Februar 2017, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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