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Fast im ganzen Land stehen inzwischen kleine Häuschen, die mit internationalen Programmen gebaut wurden. Offiziell sind es Übergangshäuser.

© Ingrid Müller

Häuser für die Opfer des Bebens: Haiti - Land der Gartenschuppen

In Haiti entstehen auch dreieinhalb Jahre nach dem Beben fast nur so genannte Übergangshäuser. Wie die internationalen Hilfsprogramme für die Opfer der Katastrophe wirken.

Gefühlt stehen sie praktisch überall: Holzhäuschen. Manche mit und manche ohne eine kleine Veranda, manche mit bunt bemaltem Betonboden, manche ganz aus Holz, alle um die 20 Quadratmeter groß. Auch dreieinhalb Jahre nach dem Beben sehen so die Quartiere aus, die die internationalen Hilfsorganisationen für die Opfer bauen. 1,5 Millionen Menschen verloren 2010 ihr Dach über dem Kopf, im vergangenen Jahr trafen die Stürme Isaac und Sandy noch einmal viele Familien. Derzeit wohnen noch rund 279 000 Menschen in Zeltlagern. „Temporary shelters“ sollen mindestens drei bis sechs Jahre halten. Ein Grund dafür, dass es weiterhin nur Übergangshäuser gibt, ist, dass Geldgeber Programme für solche Häuschen aufgelegt haben, selten für feste Häuser. Auch in den zur Jahresmitte überarbeiteten UN-Programmen sind für weitere Baumaßnahmen praktisch nur Übergangshäuser vorgesehen.

11 000 weitere davon sollen bis Jahresende noch entstehen.

Manche Helfer nennen schnell Argumente dafür, dass solche an deutsche Gartenschuppen erinnernden Häuschen gebaut werden: Die meisten Familien haben vorher schlechter gewohnt, die Hütten mit  Betonfundamenten und hurrikan- wie erdbebensicheren Verstrebungen der Konstruktion ein Gerüst, aus dem die Menschen mit geringem Aufwand ein festes Haus machen können, sobald sie etwas Geld gespart haben. Praktisch alle Organisationen haben solche Häuser gebaut, unter den Deutschen sind unter anderen der Arbeiter-Samariter-Bund, die Welthungerhilfe, die die Komponenten in eigenen Werkstätten vorbereiten. Sie wissen, dass es meist keine Übergangshäuser sind, dass die Menschen sehr lange in diesen Häuschen leben werden. Auch Help baute und baut Häuser. 

Der Landeschef der Hilfsorganisation Help, Gregor Werth, ist  stolz darauf, dass deren Holzhäuschen eine zweiteilige Flügeleingangstür haben, durch die auch ein Rollstuhlfahrer gut ins Haus kann. Außerdem gibt es eine Trennwand in der Mitte der Hütte, die die etwas Sichtschutz für die Eltern bietet. Aber im Prinzip müssten seiner Ansicht nach inzwischen feste Häuser gebaut werden. Die kosten allerdings rund dreimal so viel wie die Retortenhäuser. Das würde die Bilanz beim Wiederaufbau erheblich schmälern, denn fürs gleiche Geld gäbe es viel weniger Häuser.

 Es gibt keinen einheitlichen Standard

Allerdings gibt es selbst für die einfachen Schuppen keinen einheitlichen Standard. Jede Organisation baut ein bisschen anders, mit anderem Holz, anderen Dachkonstruktionen oder Verandakonzepten. Auch nach all den verheerenden Katastrophen der vergangenen Jahre haben sich die Organisationen nicht auf ein Konzept geeinigt, das man nur noch an die jeweiligen Bedingungen in einem Land anpassen müsste, weder in Deutschland noch international. Gerade erst wurden international zwei Shelter-Konzepte für Flüchtlingscamps vorgestellt, die auf einem leichten Metallgerüst aufbauen. An einem der Projekte ist der schwedische Möbelkonzern Ikea beteiligt. Die Grundidee sei auch dabei der einfache Zusammenbau, sagt der Verantwortliche. Aber so einfach wie bei Möbeln gehe das nicht. Die beiden Konzepte gehen jetzt in eine Testphase. Die Grundvariante soll 1000 Dollar kosten.

Oft nutzen die Menschen die Zelte, in denen sie gelebt haben, als Zaun und Sichtschutz für ihr neues Domizil - wie hier die Bewohner, die in dieses vom Arbeiter-Samariter-Bund gebaute Haus eingezogen sind.
Oft nutzen die Menschen die Zelte, in denen sie gelebt haben, als Zaun und Sichtschutz für ihr neues Domizil - wie hier die Bewohner, die in dieses vom Arbeiter-Samariter-Bund gebaute Haus eingezogen sind.

© Ingrid Müller

In Haiti hat Präsident Michel Martelly jeder Familie ein Haus versprochen. Martelly, der sich inzwischen auch gegen die Versprechungen des zurückgekehrten Ex-Diktators Aristide behaupten muss, will die verbliebenen 352 Camps schließen, in denen noch rund 279 000 Haitianer leben (Stand Juni 2013). Bis zum Jahresende soll die Zahl der Menschen dort auf 233 573 sinken. Obwohl Regierung und Hilfsorganisationen einen Plan vereinbart haben, um die Camps nach und nach zu schließen, wurden in einige Lager Trecker oder Bulldozer geschickt, die die Zelte nachts zerstörten. Insgesamt registrierten die Vereinten Nationen seit 2010 die Vertreibung von 16116 Haushalten, stolze elf Prozent der Camp-Bevölkerung. Die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe, Sophie de Caen, hat im Juni offiziell Protest gegen dieses Vorgehen bei der Regierung eingelegt. Denn in diesem Jahr sind besonders viele Menschen Opfer solcher Nacht-Aktionen geworden.

Werden die verbliebenen Zeltlager die neuen Slums?

Seit Jahresbeginn wurden bereits 4000 Menschen mit Gewalt vertrieben. Wenn es so weitergehe, müssten 75 000 Menschen in 105 Lagern damit rechnen, vertrieben zu werden, klagt die Koordinatorin. Das betrifft ein Viertel der Menschen in Lagern. Inzwischen würden die privaten Landeigentümer immer unruhiger und verlangten, dass die Menschen verschwinden, der größte Teil der Lager aber stehe auf privatem Grund, warnt das Inter Agency Standing Committee (IASC) in seinem Bericht für das erste Halbjahr.

Manche Holzhäuschen sind bunt angemalt. Ganz wichtig: die Veranda. Das Leben in Haiti spielt sich vor allem vor der Tür ab.
Manche Holzhäuschen sind bunt angemalt. Ganz wichtig: die Veranda. Das Leben in Haiti spielt sich vor allem vor der Tür ab.

© Ingrid Müller

Da der Bau von Übergangshäusern allein nicht reicht und man Anreize schaffen will, dass Familien die Camps freiwillig verlassen, werden inzwischen immer öfter Mietbeihilfen gezahlt, damit Familien bei anderen einziehen. Pro Familie sind das 650 Dollar für ein Jahr – in Haiti wird die Miete zwölf Monate im Voraus bezahlt. Bis Juni haben nach UN-Angaben knapp 42 000 Familien diese Hilfe in Anspruch genommen. 18 000 weitere Familien wollen sie bis Dezember noch so zum Umzug bewegt werden. Zum Teil erhalten auch Hauseigentümer Unterstützung bei der Reparatur ihres Hauses, wenn sie im Gegenzug dafür einer Familie aus einem Lager ein Jahr lang einen Raum überlassen. Das IASC warnt allerdings bereits, die Mietbeihilfen würden angesichts des begrenzten Wohnungsangebots nicht mehr lange helfen. Es bestehe die Gefahr, dass einige der großen Camps dauerhaft bestehen blieben und Slums würden.

Davon, dass jeder Haitianer ein Haus hat, ist das Land weit entfernt.

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