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Regierender Bürgermeister von Berlin: Klaus Wowereit: Niederlage, Koalitionszoff - und Abflug

738.124 Berliner sagen Nein zu ihrer Regierung. Die Entscheidung zu Tempelhof bedeutet nun vor allem: Die beiden Volksparteien kennen ihr Volk nicht und geraten in Streit. Und was macht der Regierende? Er fliegt erst mal weg.

Von
  • Sabine Beikler
  • Ulrich Zawatka-Gerlach

Sie haben gefeiert, nach 18 Uhr, im SPD-Kreisbüro in der Kreuzberger Wilhelmstraße. Bei der Europawahl lagen die Berliner Sozialdemokraten mit 24 Prozent vorn. Der Koalitionspartner CDU und die Grünen waren abgeschlagen. Einige Genossen aus der Bundespartei gaben Freibier aus. Mehr als 100 gut gelaunte Leute waren da, natürlich auch der SPD-Landeschef Jan Stöß und die Vize-Parteichefs Ralf Stegner und Thorsten Schäfer-Gümbel. Viele standen in lauer Frühlingsluft auf der Straße. Dann der Schock.

Gegen 21 Uhr wurde der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld für die rot-schwarze Koalition in Berlin zur schwersten Niederlage dieser Wahlperiode. Mehr als 1,1 Millionen Bürger haben sich beteiligt. Fast zwei Drittel wollten nicht, dass die riesige Fläche mitten in Berlin, größer als das Fürstentum Monaco, auch nur am Rand bebaut wird. Auf einmal sahen sich die Sozialdemokraten einer Front von 738 124 Berlinern gegenüber. „Es herrscht Katerstimmung“, sagte die SPD-Kreischefin in Friedrichshain-Kreuzberg, Julia Schimeta.

An diesem Montag ist ihre Stimme rau. In Friedrichshain-Kreuzberg haben 76,8 Prozent für das gesetzliche Bebauungsverbot gestimmt. So viel wie in keinem anderen Bezirk. „Wir haben anderes erwartet, diese starke Mobilisierung und das deutliche Ergebnis in der gesamten Stadt haben uns überrascht.“ In der SPD habe kaum jemand damit gerechnet, dass die Sache so schief gehen könnte, sagen auch andere, die sich in der Partei auskennen. Jedenfalls nicht stadtweit, in allen zwölf Bezirken. Die Hoffnung, die Bürger mit Argumenten und rosaroten Plakaten überzeugen zu können, starb zuletzt. Am späten Sonntagabend.

Am Montag gibt es erste Manöverkritik. Man habe den Berlinern nicht richtig erklärt, worum es eigentlich gehe. Nicht um die Rettung des Feldes, denn 230 Hektar grünen Freiraum wollte auch die Koalition. Es ging um den Wohnungsbau innerhalb des S-Bahnrings, bezahlbar für die meisten Berliner. Auch sei die Angst der Bürger vor den vielen Veränderungen, denen die Stadt und auch deren Wohnquartiere seit einigen Jahren massiv ausgesetzt ist, nicht ernst genommen worden, heißt es in SPD-Führungskreisen. Ein wenig resigniert berichtet der Lichtenberger SPD-Kreischef Ole Kreins von seinen Erfahrungen im Straßenwahlkampf. „Man kann doch keinem Politiker mehr trauen“, hätten ihm die Leute gesagt.

Ein harter Schlag - auch für den Senator

Kritik gibt es auch am Regierungspartner CDU, der das bürgerliche Lager, die Berliner Mittelschichten, nicht mobilisiert habe. Im Nachhinein hadern auch viele SPD-Funktionäre damit, dass es im Abgeordnetenhaus nicht gelungen sei, Grüne und Linke für eine moderate Randbebauung des Feldes ins Boot zu holen. Alle diese Erkenntnisse kommen nun zu spät. Das Volk hat ein Machtwort gesprochen.

Ein harter Schlag auch für den Stadtentwicklungssenator Michael Müller. Man sah es ihm an, als er die SPD-Wahlparty in Kreuzberg verließ. Schmallippig wie jedes Mal, wenn er schlecht drauf ist. „Das ist bitter“, sagte er. Die Genossen bescheinigen ihm, er habe „geackert wie ein Blöder“ für den Masterplan, für die Bebauung des Feldes mit 4700 Wohnungen, Gewerbe und Sportanlagen. Um seinen Job muss sich Müller jetzt keine Sorgen machen. Im Gegenteil. Die Angst ging um, dass er den Krempel hinwerfen könnte. Was er nicht tut. Der SPD-Fraktionschef Raed Saleh gab Sonntagabend per SMS die Parole aus: „Die SPD hat in Berlin gemeinsam die Europawahl gewonnen und gemeinsam den Volksentscheid verloren.“ Keiner darf jetzt ausbüxen, heißt das Signal. Und bloß kein neuer Streit zwischen Partei und Fraktion.

Und Wowereit? Der packte und flog nach China

Früher waren Klaus Wowereit und Stadtentwicklungssenator Michael Müller (rechts) ein prima Team. Das ist nun schon seit einer Weile nicht mehr so.
Früher waren Klaus Wowereit und Stadtentwicklungssenator Michael Müller (rechts) ein prima Team. Das ist nun schon seit einer Weile nicht mehr so.

© dapd

Salehs Parteifreund und ärgster Konkurrent, der SPD-Landeschef Jan Stöß, will ebenfalls verhindern, dass sich der eine oder andere Genosse in dieser vertrackten Lage vom Acker macht. Da sind sich beide jetzt völlig einig. Vor dem Wahlsonntag saßen führende Sozialdemokraten mehrfach zusammen, diskutierten heftig und verständigten sich schließlich darauf: Auch wenn die Sache schief geht, wird es keine Rücktritte geben. Alle stehen zueinander, niemand bleibt allein. Auch wenn Müller, so heißt es, notfalls bereit gewesen wäre, bei einer Niederlage im Volksentscheid sein Amt herzugeben.

Manche erinnern jetzt daran, dass der Koalitionsentwurf für den Volksentscheid ein Gemeinschaftswerk war, das schon auf der SPD-Fraktionsklausur, im Januar in Braunschweig, nach vielen kontroversen Diskussionen einmütig abgenickt wurde. Stöß und Saleh waren dabei, Müller natürlich und der Chef der Senatskanzlei und Wowereit-Berater, Björn Böhning.

Das Ergebnis müssen andere analysieren

Und der Regierende Bürgermeister? Der packte am Montag den Koffer, um nach China zu fliegen. Besuch in Peking, der Partnerstadt Berlins. Auffrischung der Kontakte, Wirtschaftsgespräche, das übliche Geschäft. Um 18.30 Uhr wollte der Regierende Bürgermeister am Flughafen sein. Leider keine Zeit mehr, um am späten Nachmittag den SPD-Landesvorstand im Kurt-Schumacher-Haus zu beehren, der an diesem Tag vor der Aufgabe stand, das Ergebnis des Volksentscheids zu analysieren – und vor allem zu überlegen, wie es weitergehen kann. „Wir müssen in Richtung 2016 denken“, hört man aus Parteikreisen. In zwei Jahren wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt.

Zwei stehen in den Startlöchern, für die SPD-Spitzenkandidatur, das weiß seit dem innerparteilichen Führungsstreit um Ostern herum die ganze Stadt. Parteichef Stöß und Fraktionschef Saleh. Die Wiederwahl Stöß’ als SPD-Landesvorsitzender hat den Showdown verzögert und die Niederlage beim Volksentscheid zwingt beide Kontrahenten erst einmal gemeinsam ins Boot. Falls jemand auf die Idee kam, dass auch der ehemalige Wowereit-Getreue Müller noch Chancen auf das Amt im Roten Rathaus hat, wird spätestens jetzt davon Abstand nehmen. Und Dilek Kolat, die sozialdemokratische Arbeitssenatorin, könnte die nicht die lachende Dritte sein? Oh, fast schon vergessen. Kolat ist seit vielen Jahren SPD-Kreischefin in – Tempelhof-Schöneberg.

Dass Klaus Wowereit in dieser schwierigen Lage nach Fernost reist, regt in der SPD niemanden auf. Allmählich gewöhnt sich seine Partei daran, ohne den Regierungschef in die Zukunft zu schauen. Den Wahlabend, so wurde erzählt, hat Wowereit zuhause verbracht. Irgendwie passt das zu diesem Stadium der politischen Agonie, dieser seltsamen Entrücktheit des Regierenden Bürgermeisters. Ein kurzes Statement gab er nach 21 Uhr ab, das Senatssprecher Richard Meng verbreitete. Montagfrüh war Wowereit im RBB-Inforadio zu hören. „Das ist in der Tat eine Niederlage, und sie ist auch deutlich“, sagte er ins Telefon. Bezahlbaren Wohnraum wollten die Berliner, hielt er nüchtern fest, „offensichtlich nicht vor ihrer Haustür“. Zu persönlichen Konsequenzen sieht auch er keinen Anlass, schließlich handele es sich um eine Sachentscheidung. Eine Sprachregelung, die schon vor dem Volksentscheid von den führenden Genossen heruntergeleiert wurde.

Wir? Rumgeeiert? Jetzt schlägt die CDU zurück

So groß Wut und Enttäuschung auch sind – über eines sind viele Sozialdemokraten froh. Allerdings nur klammheimlich. „Jetzt hat das Volk die Pläne für eine neue Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld abgeräumt“, sagt ein wichtiger SPD-Mann. „Sonst hätten wir sie dem Klaus wegballern müssen.“ Das von Wowereit seit Jahren forcierte Projekt ist nicht nur beim Koalitionspartner CDU herzlich unbeliebt. Auch bei den Sozialdemokraten, und zwar in Partei und Fraktion, findet der teure Neubau kaum noch Unterstützung. Nun ist wenigstens dieses Problem elegant gelöst.

Auch das zeigt, wie es um den sozialdemokratischen Regierungschef steht. Die parteiinterne Rücksicht auf ihn beschränkt sich inzwischen fast nur noch darauf, dem einst so wichtigen Genossen nicht weh zu tun. Ihn nicht so zu beschädigen, dass er von einem Tag auf den anderen hinwerfen könnte. So weit ist es noch nicht. Um wie viele Wochen oder Monate der Volksentscheid zur Verkürzung der Ära Wowereit beitragen wird, ist nicht zu sagen. Aber irgendwie trägt er dazu bei.

Trotzdem: Die Koalition wackelt nicht

Als Wowereit im Inforadio die CDU attackierte, sie habe beim Volksentscheid „rumgeeiert“, poltert der CDU-Generalsekretär Kai Wegner: „Guter Stil ist das nicht, wir erinnern den Regierenden Bürgermeister gerne daran, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist.“ Wowereit habe sich als Person eng mit dem Volksentscheid verknüpft. Das heißt: Der Regierende hat die Zentrale Landesbibliothek, „sein Lieblingsprojekt“, wie Wegner stichelt, nicht durchsetzen können. Da wäre es „sicher angebracht, etwas mehr Demut zu zeigen und seinen persönliche Anteil an der Niederlage zu hinterfragen, anstatt jetzt auf den Koalitionspartner zu zeigen“. Die Nachricht ist klar: Die SPD ist an dem Ergebnis des Volksentscheids maßgeblich schuld.

Trotz des Streits aber hat die CDU kein Interesse daran, die Koalition in bedrohliche Schräglage zu bringen. „Wir haben einen Koalitionsvertrag mit der SPD, nicht mit Wowereit“, sagt der Parteichef Frank Henkel regelmäßig. Henkel hängt nicht an Wowereit als Regierungschef. Tobt in der SPD mal wieder ein Machtkampf zwischen Parteichef Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh, lehnt sich Henkel gelassen zurück und wartet ab. Für den CDU-Mann ist es eine komfortable Situation, wenn sich die drei Machtzentren Stöß, Saleh und Wowereit mal wieder bekriegen. Und er hat Zeit, bis zur Abgeordnetenhauswahl 2016 seine eigene, in der Partei völlig unbestrittene Position als Landesvorsitzender und Bürgermeister auszubauen.

Fehlender Dialog mit den Bürgern?

Die Union schiebt die Niederlage der Koalition nach dem Volksentscheid jetzt auf den Koalitionspartner. Stadtentwicklungssenator Müller habe den Masterplan für das Feld falsch kommuniziert. Und das Festhalten an der Zentralen Landesbibliothek sei bei den Berlinern das Tüpfelchen auf dem „i“ gewesen.

Trotzdem hat die CDU die Abstimmung getroffen. Denn sie konnte die eigenen Wähler nicht ausreichend mobilisieren. Es hat die Partei doch erstaunt, dass selbst in CDU-starken Bezirken wie Reinickendorf oder Steglitz-Zehlendorf die Bürger mit 55,5 beziehungsweise 61,2 Prozent für die Freihaltung des Tempelhofer Feldes gestimmt haben. Das habe am fehlenden Dialog mit den Bürgern gelegen, kritisieren einige Christdemokraten. Aber dahinter steckt noch etwas anderes, das der Union nicht gefällt: der zunehmende Unmut mit der rot-schwarzen Regierungspolitik in Berlin. Ein Warnsignal, das die CDU ernst nimmt und schnell betont, dass künftig alle großen geplanten Projekte gemeinsam mit den Bürgern diskutiert werden. Denn letztlich wird auch die CDU haftbar gemacht, wenn es um das Scheitern von Großprojekten geht. Spätestens bei der Abgeordnetenhauswahl 2016.

Doch zurück zum Tempelhofer Feld. Die CDU erwartet, dass Stadtentwicklungssenator Müller am Dienstag bei der Pressekonferenz nach der Senatssitzung Rede und Antwort steht. „Abtauchen geht nicht. Das wäre peinlich“, heißt es schon aus der CDU-Führung.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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