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Barbara Ischinger, ehemalige HU-Vizepräsidentin und OECD-Bildungsdirektorin.

© picture alliance / dpa

Sind Universitäten unregierbar?: Unis stehen vor der Zerreißprobe - weltweit

Deutschland, USA, Chile, Großbritannien, Ungarn: Die Diskussion um die "Governance"-Strukturen von Unis erreicht weltweit einen neuen Höhepunkt. Entscheidend ist die gesellschaftliche Aufgabe von Unis, sagt Ex-HU-Vize Barbara Ischinger.

Dieser Text ist Teil unserer Debatte zur (Un)regierbarkeit von Universitäten. Hier finden Sie die übrigen Debattenbeiträge.

In Großbritannien werden die Universitäten neue Bestimmungen zur Qualität der Lehre akzeptieren müssen, und zwar im Wettbewerb um die Finanzquellen. In den USA ist ein offener Streit an den Universitäten im Staat Wisconsin ausgebrochen, in dem die Unabhängigkeit der Universitäten bei Ernennung von Professoren im Mittelpunkt steht; und in Chile findet die Auseinandersetzung um eine gerechte Erhebung von Studiengebühren kein Ende.

In allen diesen Fällen geht es um den Konflikt zwischen akademischen Autonomiebestrebungen und staatlichen Interventionen. Es wird zunehmend schwer, eine Institution durch diese Gewässer zu lenken. Die Frage ist, wer will sich heute einer solchen Aufgabe stellen, denn schließlich will auch eine freiheitsliebende, selbst eine amerikanische private Universität noch staatliche Zuschüsse erhalten.

Die Verfassung der HU ist modern - haben die Präsidenten sie richtig genutzt?

Auch die weltweit bekannte Humboldt-Universität in Berlin hat Mühe, ihre Leitungspositionen zu besetzen. Die Probleme sind bekannt: entweder machen die Ausschüsse nicht mit, oder der Kandidat/die Kandidatin springt ab.

Hans Meyer, Verfassungsrechtler und ehemaliger Präsident der Humboldt-Universität von 1996 bis 2000, hat eine moderne und international anerkannte Verfassung für die Universität auf den Weg gebracht. Seine Nachfolger im Amt konnten davon profitieren; die Frage, ob sie die Reformen nachhaltig absichern und weiterführen konnten, ist schwer zu beantworten.

In Ungarn entmachtet Orbán die Uni-Rektoren

Die Diskussion um die sogenannten "Governance"-Strukturen der Universitäten hat weltweit einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Frage zum Beispiel nach einem starken Uni-Kanzler, so wie sie an der Humboldt-Universität gestellt wurde, beschäftigt in diesen Monaten ganz entscheidend die Universitäten in Ungarn. In dem Bestreben, die Hochschulpolitik wieder zu zentralisieren, hat die Orbán-Regierung den neuen Stellenplan des Kanzlers eingeführt, der alle Finanzen erfasst und dessen Machtstellung der des Rektors/Präsidenten gleichkommt. Die ungarische Regierung hat sich in diesem politischen Machtspiel – das auf die Schwächung des Rektors zielt - auf das traditionelle deutsche Modell des starken Universitäts-Kanzlers berufen.

Was tun, in einer Universitätswelt, die sich ihrer "Governance"-Strukturen nicht sicher ist und alte Fragen nach der Machtverteilung neu stellt?

Ein Seitenblick in die Welt der Museen hilft

Ein Seitenblick in die parallele Welt der Museen mag hier hilfreich sein. Martin Roth, Direktor des Victoria und Albert Museum in London, hat im Oktober in einem "Zeit"-Interview harte Kritik an den Berliner Entwicklungen geübt. In seinem Interview plädiert er für mehr Autonomie und mehr unternehmerisches Denken an deutschen Museen.

Er beurteilt die deutschen Museen als zu staatsnah, lobt die ausländischen Modelle, die mit einem Board of Trustees arbeiten, einem Aufsichtsrat.

In der deutschen Universitätswelt haben ‚Board of Trustees‘ , insbesondere wenn ihre Vertreter wenig Kenntnisse über Universitäten hatten, nicht immer die erwarteten Erfolge bringen können. Oft haben auch untergeordnete Ausschüsse gegen unpopuläre Entscheidungen ihre Muskeln spielen lassen und manch ein Machtspiel letztendlich wieder gewinnen können. Dennoch müssen die Universitäten diesen Weg einschlagen und sich um die besten Repräsentanten in  ihren Aufsichtsräten bemühen.

Die Aufgaben der Universitäten wandeln sich

Die zukünftigen Aufgaben der Universitäten sind überwältigend: sie werden eine wachsende Zahl von Studierenden aufnehmen; sie haben die Aufgabe, junge und ältere Menschen aus den verschiedenen Kultur- und Sprachkreisen aufzunehmen;  wie verhalten sie sich in der Welt der großen Internet-Angebote? Die Herausforderungen sind immens.

Aber damit nicht genug.

In Anbetracht der weltweiten Ereignisse,  ist es zu viel verlangt, von den Universitäten zu fordern, dass sie das Wissen und die Kompetenzen lehren müssen, die unsere ethischen Werte in einer bedrohten Welt sicher stellen und dieses auch auf die Forschung übertragen?

Hochschulen in der Zerreißprobe

In der Zerreißprobe zwischen Autonomie und staatlicher Reglementierung wird eine dritte Komponente entscheidend sein. Wie definiert die Universität ihre gesellschaftliche Aufgabe, wie übernimmt sie als Institution, das heißt Leitung und Organe gemeinsam, die Verantwortung für Gelingen und Misstände? Bislang wurde sie in dieser Analyse verschont. Moralische Beurteilungen wurden auf die Finanzwelt, auf Unternehmen angewandt;  die zunehmende unternehmerische Aktivität der Hochschulen wird  ihnen diese neuen Kriterien auch bringen.   

Jürgen Kluge, der langjährige Chef von McKinsey-Deutschland , hat von einer Analyse berichtet, die zu dem folgenden Ergebnis kam: 50 Prozent der vom Markt verschwundenen Unternehmen sind über das unethische Verhalten eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe gefallen, nicht aus strategischen oder operativen Gründen.

In Japan wurden 200 Unis geschlossen

In Japan sowie auch in Korea sind in den vergangenen Jahren jeweils an die 200 Hochschulen geschlossen worden. Im Vordergrund standen finanzielle Probleme und mangelhaftes Management.

Das Thema "Good Governance" an den Universitäten wird uns nicht so rasch verlassen. Das Anwerben von kompetenten Führungskräften, die nicht nur über die fachlichen sondern auch sozialen Kompetenzen verfügen, sollte im Vordergrund stehen.

Eine wirksame Governance zeichnet sich durch die folgenden Charakteristika aus: durch einen besonderen Leitungsstil; einem Aufsichtsrat, der seine Aufgaben ernst nimmt; durch eine Bodenhaftung zur Gesellschaft und eine Partnerschaft mit der öffentlichen Hand, und durch die Unabhängigkeit von kurzfristigen politischen Interessen.

- Prof. Dr. Barbara Ischinger ist ehemalige Vizepräsidentin für Internationales der Humboldt-Universität zu Berlin und OECD-Bildungsdirektorin.

Barbara Ischinger

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