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Publizistische Instanz. Erik Reger, Mitbegründer und Chefredakteur.

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Zeitung im Salon am 8. September: Der mit dem Röntgenblick

Erik Reger, Journalist und Romanautor, hat 1945 den Tagesspiegel mit gegründet und war eine publizistische Instanz in den West-Berliner Nachkriegsjahren. Vor kurzem wurde sein Tagebuch der letzten Kriegstage entdeckt - jetzt erscheinen die Beobachtungen als Buch. Ein Anlass, einen unabhängigen Kopf wieder zu entdecken.

Scharfe Gesichtszüge, scharfer Blick, scharfes Urteil: Das war Erik Reger. Der Journalist, Romanautor und Tagesspiegel-Mitbegründer ist heute nur noch wenigen bekannt. Aber jetzt gibt es eine Gelegenheit, ihn (wieder) zu entdecken, denn sein spannendes Tagebuch aus den letzten Kriegstagen, bisher unveröffentlicht, erscheint als Buch – und ist Thema im Tagesspiegel-Salon.

Vom 21. April bis zum Juni 1945 hat Erik Reger notiert, wie er das Kriegsende in Mahlow südlich von Berlin erlebt hat: den Siegeszug der Roten Armee, den plötzlichen Gesinnungswandel ehemaliger Nazis, die Sorge um die Sicherheit seiner Familie. Und die quälende Nachrichtenlosigkeit am Stadtrand: „In Berlin ist es stiller geworden“, schreibt er am 24. April. „Man hört einzelne und ferne Detonationen, sieht den Rauch von Feuersbrünsten. Berlin hat etwas Mysteriöses. Wie mag es dort aussehen? Wie mag es zugehen?“ Der damals 52-Jährige erlebt die Zeitenwende auf dem Land – und dokumentiert sie detailliert, direkt, scharf.

Reger wollte das Tagebuch veröffentlichen

Immer wieder kommen russische Soldaten, wollen Lebensmittel, Uhren, Fahrräder, Frauen. Reger schützt seine Frau und die im Haus einquartierten Flüchtlinge auf verblüffende Weise: Er zeigt den Soldaten ein Stalin-Bild und die russische Übersetzung seines Romans „Union der festen Hand“. Mit diesem Industrie-Roman, einer Milieuschau des Ruhrgebiets, war er in der Weimarer Republik bekannt geworden. In dem Buch kritisierte Reger – sein bürgerlicher Name lautete Hermann Dannenberger – den Kapitalismus Kruppscher Prägung und warnte vor dem Aufstieg der Nazis. Die verboten das Buch denn auch, Reger ging in die Schweiz, kehrte aber, da er keine Aufenthaltserlaubnis erhielt, nach Deutschland zurück. Die russischen Soldaten in Mahlow jedenfalls, beeindruckt von so viel Antifaschismus, lassen Reger in Ruhe, während um ihn herum geplündert und vergewaltigt wird.

Der Historiker Andreas Petersen hat das Tagebuch zufällig gefunden, als er für eine andere Recherche zur Tagesspiegel-Geschichte in Regers Nachlass in der Akademie der Künste stöberte. Ein kleines schwarzes Notizbuch mit handschriftlichen Einträgen, eng beschrieben und mit vielen eingeschobenen Notizzetteln; aber auch eine Maschinenabschrift des Tagebuchs. „Das deutet darauf hin, dass Reger das Tagebuch veröffentlichen wollte“, sagt Petersen. „Man merkt diese Absicht auch dem Text selbst an.“

Regers Wunsch wird nun, 60 Jahre nach seinem Tod, Wirklichkeit: Der Transit-Verlag bringt das Tagebuch unter dem Titel „Zeit des Überlebens“ als Buch heraus (160 Seiten, 18,80 Euro, mit einem Nachwort von Andreas Petersen). Ein Vorabdruck wird in der Samstagsbeilage „Mehr Berlin“ am 30. August zu lesen sein, und die Buchpremiere findet – auch das hätte sich Reger sicher so gewünscht – im Tagesspiegel statt. Der Schauspieler Paul Sonderegger wird dabei aus dem Tagebuch lesen, Andreas Petersen und Gerd Nowakowski, Leitender Redakteur, sprechen über den Menschen Erik Reger, seine Kriegserfahrung und seine Bedeutung für den Tagesspiegel.

Romane wie Röntgenapparate

Alles Militärische war Reger, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, ein Graus. Die Schärfe, mit der er die politischen Entwicklungen beurteilt, richtet er im Tagebuch auch gegen seine Mitmenschen in Mahlow. Immer wieder mokiert er sich über deren Heuchelei und Opportunismus. „Wie laut, wie aus so vollem Mund können die ,Volksgenossen’ jetzt ,Guten Morgen’ sagen, als hätten sie nie, und das noch vor sechs Wochen, ,Heil Hitler’ gesagt!“ Manchmal glaube er seine eigenen Romanfiguren vor sich zu sehen. Romane sollten Regers Meinung nach „wie Röntgenapparate wirken und mit durchdringender Schärfe den geistigen Mechanismus der Zeit bloßstellen“.

Auch im Tagebuch schreibt Reger scharf bis hin zur Mitleidlosigkeit, was auf heutige Leser bisweilen befremdlich wirken kann. Einer jungen Frau etwa, die fünfmal vergewaltigt worden ist, empfiehlt er, mit dem „Jammern“ aufzuhören: Das sei nun mal das Ergebnis von zwölf Jahren Nationalsozialismus, das nun alle ausbaden müssten.

Mehrfach erwähnt Reger im Tagebuch, ohne konkret zu werden, „publizistische Pläne“. In seinem vorletzten Eintrag am 9. Juni schreibt er: „Jetzt, da die Alliierte Kommission ihre Tätigkeit beginnt, halte ich den Zeitpunkt für gekommen, mich in Berlin nach meinen Freunden umzusehen.“ Mit Erfolg: Die erste Ausgabe des Tagesspiegels, den Reger zusammen mit Walther Karsch und Edwin Redslob gründete, erschien nur wenige Monate später, am 27. September 1945.

Chefredakteur Erik Reger sollte bis zu seinem Tod 1954 eine der wichtigsten Stimmen im Nachkriegs-Berlin werden, ebenso schneidend in seinem Antikommunismus wie im Antifaschismus. Letztlich, sagt Andreas Petersen, hatte für Reger nur eine Instanz Bestand: „der ideologisch und politisch ungebundene, nicht korrumpierte Journalist, der Missstände sichtbar macht.“

VERLOSUNG

Wir verlosen Salon-Plätze und Bücher – vor allem unter Leserinnen und Lesern, die den Tagesspiegel schon seit Jahrzehnten abonniert haben. Schicken Sie uns bis zum 26. August eine Mail an veranstaltungen@tagesspiegel.de oder eine Postkarte an Der Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin und geben Sie bitte an, seit wann Sie Abonnent sind!

Zeitung im Salon am Montag, 8. September, Beginn 19 Uhr, Eintritt inklusive Sekt und Snack 16 Euro, Askanischer Platz 3, Kreuzberg. Anmeldung hier und Telefon 29021-560.

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