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Wirtschaft: Der große Kassensturz

Mehr Leistungen, größere Wahlfreiheit, neue Tarife – was sich in der gesetzlichen Krankenversicherung ab 1. April ändert

Jetzt kommt die Gesundheitsreform. Nach der Einigung vom vergangenen Freitag müssen zwar im Februar noch Bundestag und Bundesrat zustimmen, doch dass es noch gravierende Änderungen geben wird, erscheint unwahrscheinlich. Für die 70 Millionen Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen wird sich nicht erst 2009 mit dem Gesundheitsfonds etwas verändern – die Reform bringt bereits ab dem 1. April Neues.

LEISTUNGEN: Empfohlene Impfungen und Eltern-Kind-Kuren müssen künftig AOK, Barmer und Co. zahlen. Für Schwerstkranke und Alte gibt es mehr Unterstützung. Andererseits müssen Patienten für Folgekosten von Tätowierungen und Schönheitsoperationen von nun an selber aufkommen. Und chronisch Kranke sind angehalten, mehr für die Vorsorge zu tun und an Behandlungsprogrammen teilzunehmen – sonst müssen sie womöglich mehr Geld zuzahlen. Wer bislang ohne Versicherung war, muss wieder von der privaten oder gesetzlichen Kasse aufgenommen werden, bei der er zuletzt versichert war.

BEITRÄGE: Auf die gesetzlich Versicherten kommt eine Reihe neuer Angebote zu. Die Kassen können mehr als bisher neue Tarife und Wahlmöglichkeiten anbieten. Durften Selbstbehalte oder Beitragsrückerstattung bislang nur freiwillig Versicherten angeboten werden – Arbeitnehmern, die mehr als 47 700 Euro im Jahr verdienen –, können bald auch Pflichtversicherte ein solches Paket buchen. Schon heute bekommt etwa ein Paar Turnschuhe als Bonus, wer gesund lebt – also Sport treibt oder eine Rückenschule besucht. Wer sich verpflichtet, immer zuerst einen bestimmten Arzt aufzusuchen oder sein Rezept in einer bestimmten Apotheke einzulösen, bekommt Rabatt. Wer selten krank wird, kann sich einen Teil der Beiträge rückerstatten lassen. Und Versicherte, die bereit sind, mehr zu zahlen, können einen – teureren – Chefarzttarif buchen. „Der Markt wird unübersichtlicher“, erwartet Thomas Isenberg, Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). „Es wird eine neue Vielfalt bei den Tarifen geben.“

Damit niemand das falsche Angebot wählt, verlangt Isenberg eine Stelle, die für Transparenz im Markt sorgt und einen Überblick über alles hat. „Die Experten könnten den Versicherten dann sagen, ob etwa ein Hausarzt-Angebot der Barmer besser ist als das der AOK.“ Eine solche Stelle ließe sich sogar zum Gesundheits-TÜV weiterentwickeln, der die besten Angebote veröffentlicht.

WECHSEL: Der Gesundheitsfonds kommt erst 2009 – dann wird es einen einheitlichen Beitragssatz aller Kassen geben. Institute, denen das Geld aus dem Fonds nicht reicht, müssen einen Zusatzbeitrag von maximal einem Prozent des Bruttoeinkommens erheben.

Bis dahin bleibt es beim bisherigen System – bei dem es große Beitragsunterschiede gibt. Die Spanne zwischen der günstigsten und der teuersten Kasse ist groß: In Berlin kann man sich für 12,0 Prozent des Bruttolohns bei der IKK-Direkt versichern oder für 15,8 Prozent bei der AOK. Hinzu kommen 0,9 Prozent Sonderbeitrag. Bei Gutverdienern macht der Unterschied im Jahr bis zu 812,25 Euro aus. Bei Angestellten mit 2000 Euro Monatslohn Euro sind es immer noch 456 Euro.

Ein großer Teil der 251 Kassen hat zum Jahreswechsel den Beitrag angehoben. „Kassen, die nichts unternommen haben, werden vermutlich bald nachziehen“, glaubt Isenberg. Denn die Kosten sind gestiegen, der Staatszuschuss gesunken. Institute, die schon erhöht haben, werden vermutlich nicht erneut an der Beitragsschraube drehen.

Doch man sollte nicht nur auf den Preis achten, rät Isenberg. „Die billigste Kasse ist nicht immer die beste. Wer Wert auf Beratung vor Ort legt, sollte auf ein dichtes Netz von Geschäftsstellen achten“, empfiehlt er. Die AOK unterhält 21 Anlaufstellen in Berlin, die Barmer zwölf, bei der Techniker und der DAK sind es je fünf. Die billigen Betriebskrankenkassen sind meist nur per Telefon erreichbar. Zwar sind die Leistungen zu 95 Prozent gleich. Ein Wechsel empfiehlt sich aber nicht für jeden. „Wer gerade in einer speziellen Rehabilitation steckt oder in einem Hausarzttarif, sollte davon Abstand nehmen“, rät Isenberg. Und wer spezielle Erkrankungen hat, für den ist es ratsam, auf spezielle Chroniker-Programme, Akupunktur oder andere Therapien zu achten, die die Kasse im Angebot hat. Für Familien ist wichtig, ob das Institut eine Haushaltshilfe übernimmt – falls ein Elternteil längere Zeit krank ist.

Wie sich die Reform auf privat Versicherte auswirkt, lesen Sie kommenden Montag an dieser Stelle.

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