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Wirtschaft: Gleiches Recht für alle?

Per Gesetz sollen in Deutschland Benachteiligungen verboten werden. Wer einen Job oder eine Wohnung sucht, könnte profitieren

Ist es diskriminierend, wenn ein Gastwirt einer jungen Studentin den Seniorenteller verweigert? Dürfen Diskothekenbetreiber bei der „Ladys Night“ Eintritt von Männern verlangen und Frauen kostenlos hereinlassen? Kann ein 50-Jähriger klagen, weil er den Job als Messehostess nicht bekommen hat?

Mit solchen Fragen müssen sich Juristen jetzt herumschlagen. Anlass ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Es soll verhindern, dass Menschen aufgrund ihrer Rasse oder Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. Das gilt im Arbeitsleben aber auch im Geschäftsverkehr. Mit dem AGG setzt Deutschland vier Richtlinien der EU um.

Eigentlich sollte das neue Gesetz am 1. August in Kraft treten. Wegen zusätzlicher redaktioneller Änderungen war das AGG jedoch verspätet bei Bundespräsident Horst Köhler eingegangen, erst seit dem 18. August ist es gültig. Aber schon jetzt ist klar, dass das AGG wegen redaktioneller Mängel im Detail noch einmal nachgebessert werden muss. Wann die Überarbeitung abgeschlossen sein wird, sei noch nicht klar, heißt es im Bundesjustizministerium.

Aber auch ohne die erneuten Korrekturen bleiben viele Fragen: Was ändert sich konkret bei der Jobsuche, im Arbeitsalltag oder im Geschäftsleben? Wird es wirklich weniger Diskriminierung geben oder einfach nur mehr Bürokratie? Dürfen Arbeitgeber weiterhin gezielt Stellen nur für Männer oder Frauen ausschreiben?

Jobsuche. „Das kommt ganz drauf an“, sagen Experten. „Wenn ein sachlicher Grund vorliegt, warum ein Arbeitgeber bestimmte Gruppen als Bewerber ausschließt, ist das auch nach dem AGG zulässig“, erklärt Henning Wüst, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Obrigheim. So sei es nicht diskriminierend, wenn eine Modell-Agentur „Frauen unter 18, nicht kleiner als 1,75 Meter und nicht schwerer als 50 Kilogramm“ suche. Kritisch werde es aber bereits, wenn eine Bäckerei in der Stellenausschreibung nach einer „jungen Verkäuferin mit attraktivem Erscheinungsbild“ verlangt. „Ein 50-jähriger Herr kann genauso gut für die Tätigkeit im Verkauf qualifiziert sein“, sagt Wüst. „Er könnte auf Schadenersatz klagen, wenn er den Job nicht bekommt.“ Beweise. Doch wie soll der Bewerber beweisen, dass er diskriminiert wurde? „Zuerst braucht er Indizien dafür, dass er wegen seines Alters benachteiligt und nicht aufgrund mangelnder Qualifikation abgelehnt wurde“, sagt Wüst. In so einem Fall könne es schon als Indiz gelten, wenn in der Bäckerei fast nur junge Frauen arbeiten, sagt der Bonner Arbeitsrechtler Klaus Michael Alenfelder.

In England würden sich dunkelhäutige Menschen doppelt bewerben: einmal als Weiße und einmal als Dunkelhäutige. „Wird der vermeintlich weiße Bewerber zum Gespräch eingeladen und der dunkelhäutige nicht, ist das ein klares Diskriminierungsindiz“, sagt der Experte.

Schadenersatz. Der Schadenersatzanspruch von diskriminierten Bewerbern ergibt sich aus dem Gehalt, das sie bekommen hätten, wenn sie eingestellt worden wären. Hinzu kommen kann ein Schmerzensgeld. Juristen rechnen aber nicht damit, dass deutsche Gerichte Betroffenen ähnlich hohe Summen zusprechen werden wie in den USA. Klagen können aber nicht nur Bewerber, sondern auch bereits im Unternehmen Beschäftigte, die bei der Arbeit diskriminiert werden oder denen aus nicht sachlichen Gründen gekündigt wird. Arbeitsrechtler glauben, dass auch das Thema Mobbing eine neue rechtliche Dimension bekommen wird.

Verbände. Anders als ursprünglich geplant gibt es im neuen Gesetz kein eigenes Klagerecht für Anti-Diskriminierungsverbände. Diese Organisationen können im Prozess nur als Beistände auftreten. Dagegen können Betriebsräte und Gewerkschaften bei schweren Fällen von Diskriminierung vor Gericht gehen.

Versicherungen. Auch im zivilen Geschäftsverkehr wird sich mit dem AGG einiges ändern: So können Kunden klagen, wenn ihnen eine Dienstleistung oder ein Produkt ganz verweigert wird oder sie dafür mehr zahlen sollen. Das könnte besonders bei Versicherungen interessant werden – etwa bei privaten Kranken- und Lebensversicherungen, die höhere Beiträge für Frauen verlangen. In der privaten Krankenversicherung (PKV) dürfen mögliche Schwangerschaften bei der Berechnung der Beiträge nicht mehr berücksichtigt werden, heißt es beim PKV-Verband. Die Versicherer stehen jetzt in Kontakt mit dem Bundesfinanzministerium und der Versicherungsaufsicht Bafin. Spätestens bis zum Dezember 2007 soll eine geschlechtsneutrale Verteilung der Kosten für Schwanger- und Mutterschaft sichergestellt sein. Für Frauen könnten die Prämien in der PKV sinken.

Relevant wird das AGG sowieso nur für Versicherungen, die nach dem 22. Dezember 2007 geschlossen werden. Die Branche rechnet nicht mit gravierenden Änderungen. Denn das AGG schreibt keinesfalls immer gleiche Prämien für Männer und Frauen vor. Wenn die Unternehmen versicherungsmathematisch belegen können, dass es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt (längere Lebenserwartung der Frauen), dürfen sie von Frauen höhere Beiträge verlangen.

Alltag. Bleibt abzuwarten, welche Rolle das Gesetz im Alltag spielen wird. Es kann verhindern, dass Gastwirte Behinderte auffordern, das Lokal zu verlassen. Busfahrer müssen notfalls älteren Fahrgästen beim Ein- und Aussteigen helfen. Auch Vermieter, die mehr als 50 Wohnungen haben, müssen in Zukunft alle gleich behandeln. „Wenn ein Vermieter dunkelhäutige oder junge Leute ablehnt, kann er dafür verklagt werden“, sagt Rechtsanwalt Wüst. „Es sei denn, er hat sachliche Gründe für die Ablehnung.“ Das kann zum Beispiel ein zu geringes Einkommen sein. Viele Fälle sind aber bisher noch ungeklärt. Über die Zukunft des Seniorentellers und der „Ladys Night“ werden die Gerichte entscheiden.

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