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Wirtschaft: Kinder haften für ihre Eltern

Gehen Mutter oder Vater ins Heim, holt sich das Sozialamt das Geld von den Nachkommen zurück – nicht immer zu Recht

Cordula Meier macht sich Sorgen. Seit drei Jahren lebt ihre Mutter im Pflegeheim. 3000 Euro kostet der Platz im Monat. Noch kann die Mutter die Kosten selber tragen – mit dem Geld aus der Rente, der Pflegeversicherung und dem Ersparten. Doch das finanzielle Polster wird immer dünner. Was dann kommt, ist klar: Kann die Mutter das Heim aus eigener Kraft nicht mehr zahlen, springt das Sozialamt ein. Doch das wendet sich anschließend an die Tochter, um sich die Sozialhilfe erstatten zu lassen. Cordula Meier hat Angst: Muss sie wirklich ein Leben lang für ihre Mutter zahlen? Und was bleibt ihr dann noch zum Leben und für die eigene Altersvorsorge übrig?

„Die Sozialämter wenden sich jetzt verstärkt an die erwachsenen Kinder“, sagt Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Je klammer die öffentlichen Kassen, desto größer ist das Bedürfnis, sich an den Kindern schadlos zu halten. Doch viele Amtsmitarbeiter schießen übers Ziel hinaus. „Die Sozialämter kennen sich im Sozialhilferecht aus, aber oft nicht gut im Unterhaltsrecht“, weiß Hesse: „Viele Bescheide sind fehlerhaft.“ Sein Rat: „Gehen Sie zu einem Fachmann, am besten zu einem Fachanwalt für Familienrecht.“

Unterhaltspflicht. Ein solcher Fachanwalt prüft als Erstes, ob das Kind überhaupt unterhaltspflichtig ist. „Wenn die Kinder keinen Kontakt zu ihren Eltern hatten und dann plötzlich zahlen sollen, ist das unbillig“, weiß die Berliner Fachanwältin für Familienrecht Livia Rhee. Dabei stützt sie sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem vergangenen Jahr. Darin stellen die Richter Kinder von der finanziellen Haftung frei, wenn sie den Vater oder die Mutter praktisch gar nicht kennen gelernt hatten (Az.: XII ZR 326/01).

Andere Verpflichtungen. Muss das Familieneinkommen nicht nur für die pflegebedürftigen Eltern, sondern auch für die eigenen Kinder und den nicht berufstätigen Ehepartner reichen, müssen die Alten zurückstehen. „Die eigenen Nachkommen und der Ehepartner haben Vorrang“, betont Hesse. Notfalls geht das Sozialamt leer aus. Das ist der Fall, wenn nach Abzug aller Kosten und Unterhaltsverpflichtungen für Kinder und Partner nicht mehr als 1250 Euro im Monat übrig bleiben (siehe Kasten).

Vermögen. Nicht für das Einkommen, auch für das Ersparte gibt es Freibeträge. In Berlin gilt: 20 451 Euro sind als Schonvermögen vor dem Zugriff des Sozialamts sicher. Hinzu kommt ein weiterer Freibetrag von jeweils 5100 Euro für jedes Kind, das wirtschaftlich von Ihnen abhängig ist, und für den Ehepartner, falls dieser ebenfalls auf Sie angewiesen ist. Zusätzlich bekommen Sie und Ihr Partner noch einen Freibetrag von 511 Euro pro Lebensjahr. Wer 50 Jahre alt ist und verheiratet, darf daher gut 76 000 Euro behalten. Allerdings muss das Geld so angelegt sein, dass es der eigenen Altersvorsorge dient.

Eigenheim. Auch wer in seinen eigenen vier Wänden wohnt, muss die Immobilie nicht verkaufen, um das Sozialamt zu entschädigen. Voraussetzung: Das Haus muss „angemessen“ sein, heißt es bei der Berliner Senatsverwaltung für Soziales, Luxusobjekte sind nicht geschützt. Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit einen Fall, in dem die Stadt Bochum einer ansonsten mittel- und arbeitslosen Frau eine Zwangshypothek auf ihr Haus auferlegt hatte, um der Stadt ein zinsloses und abgesichertes Darlehen für die Heimkosten der Mutter zu gewähren (1 BvR 1508/96).

Grundsicherung. Heimkosten bestehen aus zwei Teilen: den Pflegekosten und der Finanzierung des Lebensunterhalts. Wenn ein Heimbewohner den Lebensunterhalt nicht mehr mit der eigenen Rente bestreiten kann, kann er Hilfe aus der Grundsicherung bekommen. Vorteil: Ein Rückgriff auf die Kinder ist bei der Grundsicherung nur möglich, wenn diese mehr als 100 000 Euro im Jahr verdienen. Aber: Die Kosten der Pflege werden von dieser Regelung nicht berührt.

Auswege. Geld zu verstecken oder sich extra arm zu machen, um dem Sozialamt zu entgehen, funktioniert nicht. Sie müssen dem Sozialamt Rede und Antwort stehen, Verdienstbescheinigungen beibringen und Kontoauszüge vorlegen. Tun Sie das nicht, werden Sie geschätzt – und das nicht zimperlich. Wird Vermögen verschenkt, kann das Sozialamt die Übertragung innerhalb von zehn Jahren anfechten. Konsequenz: Damit solche Verfügungen Bestand haben, müssen sie frühzeitig in die Wege geleitet werden.

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