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Panorama: 10 Jahre Hauptstadtbeschluss: So herrlich unaufgeräumt

LondonDie Briten konnten sich mit Berlin immer gut identifizieren, vielleicht sogar besser als mit Deutschland", sagt Lord Watson of Richmond. "Echt Zuneigung" habe sich seit den heroischen Tagen der Luftbrücke zwischen der geteilten Stadt und den Briten entwickelt und die habe sich auch auf die neue Hauptstadt übertragen.

London

Die Briten konnten sich mit Berlin immer gut identifizieren, vielleicht sogar besser als mit Deutschland", sagt Lord Watson of Richmond. "Echt Zuneigung" habe sich seit den heroischen Tagen der Luftbrücke zwischen der geteilten Stadt und den Briten entwickelt und die habe sich auch auf die neue Hauptstadt übertragen.

Der Lord muss es wissen. Er befasst sich nicht nur ehrenamtlich als Präsident der britisch-deutschen Gesellschaft mit der Reputation der Deutschen und ihrer Hauptstadt, sondern beruflich als Europachef der PR-Agentur Burson-Marsteller. Für das "Partner für Berlin"-Projekt hörten sich seine Mitarbeiter in New York, Paris, Hannover und London um. In New York hätten die Leute wenig Ahnung gehabt. In Paris - wo man wohl die Konkurrenz einer weiteren europäischen Hauptstadt fürchte - und auch Hannover sei man auffallend zurückhaltend gewesen. Nur in London, seiner selbst offenbar als Weltstadt sicher, waren die Befragten uneingeschränkt Berlin positiv.

Die Statistik scheint die Zuneigung zu bestätigen. Die Briten sind Europas begeisterste Berlin-Touristen und liegen weltweit gleich nach den Amerikanern auf Platz zwei. Wer von London in den stets gut gefüllten Maschinen nach Berlin fliegt, weiß, dass da nicht sentimentale Luftbrückenpiloten kommen. Berlin gilt als "Rock around the clock destination", bestätigt Michael Helmerich vom Deutschen Touristboard in London. Wenn die englischen Touristen Europas größte Baustelle besichtigt, den Reichstag ihres geliebten Norman Foster bestiegen und an der Love Parade teilgenommen haben, bleibt immer noch die unwiderstehliche Attraktion unbeschränkter Kneipenzeiten. Aber Berlin ist nun einmal nicht irgendeine Hauptstadt, sondern wie keine andere in die Geschichte des Kontinents verwickelt, der den Briten, zitieren wir Frau Thatcher, "im 20. Jahrhundert nie etwas Gutes gebracht hat". Der Fall der Mauer, die Wiedervereinigung Deutschlands, die das Land zum Schwergewicht in Europa gemacht hat, der Umzug aus der Bonner Selbstverleugnung ins alte Zentrum preussischer und nationalsozialistischer Expansion, das hat den Briten schon etwas Angst gemacht.

Berlin als deutsche Hauptstadt ist für die Briten "der normale Ausdruck einer zur Normalität zurückgekehrten Realität", sagt Lord Watson. Mag es zunächst auch ein bisschen beunruhigend gewesen sein. Indem sie die Rückverwandlung Berlins zur Hauptstadt aufmerksam verfolgten und mitgestalteten haben sich die Briten ganz gut in diese neue Realität eingeübt. Der Hauptstadtumzug, so der Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer in London, Ulrich Hoppe, "hat die Außenwahrnehmung der Bundesrepublik verändert und die Aufmerksamkeit für die neue, von der Geographie vorgegebene Rolle Deutschlands geschärft. Eine im Grunde positive Reaktion." Trotzdem sind die Berliner vielleicht gut beraten, wenn sie ihrem Liebesbedürfnis preußische Zügel anlegen. Die Briten werden der Stadt ihre Vergangenheit verzeihen, wollen sie aber nicht vergessen. So wird die Zuneigung nie bedingungslos sein. In die Bewunderung für die coole Stadt mischt sich die selbstsichere Herablassung, mit der man auf einen Parvenue mit dubioser Vergangenheit blickt. Es allen recht zu machen, wird schwer. "Gott bewahre uns vor einem Deutschland, das seine Vergangenheit vergisst. Aber er verschone uns auch vor der schweren Hand politischer Korrektheit, die nun über seiner Hauptstadt liegt", schrieb der Historiker und Journalist Max Hastings, über Berlins Versuche, mit seiner Hauptstadtvergangenheit ins Reine zu kommen.

So herrlich unaufgeräumt - Paris

Die politische Klasse Frankreichs brauchte einige Zeit, um sich mit der Wiedervereinigung anzufreunden. Genau genommen, ist sie immer noch damit beschäftigt, die Verschiebung der Gewichte in Europa zu verkraften. Dennoch hatte sie nicht den geringsten Zweifel, dass die Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland Berlin sein würde.

Ein Beharren auf Bonn hätte sie als unbegreiflichen Mangel an historischem Bewusstsein empfunden - ganz so, als hätte die französische Regierung 1944 beschlossen, nicht nach Paris zurückzukehren, sondern in Vichy zu bleiben. Dass einige Bundesbehörden jetzt in Gebäuden regieren, die schon zur Kaiser- oder Hitlerzeit amtlichen Zwecken dienten, hat englische und amerikanische Journalisten schockiert. Nicht die Franzosen. Sie kennen von der deutschen Geschichte etwas mehr als nur die Jahre nach 1933 und wissen aus ihrer eigenen, dass die Verfassungen wechseln, aber die Bauwerke bleiben: Wo Staatspräsident Chirac heute residiert, wohnte einst die Ma¬¤tresse-en-titre Ludwigs XV., Madame de Pompadour.

Gerade dieses Gefühl für Kontinuität lässt freilich einige historisch beschlagene Beobachter vor der "Berliner Republik" zurückbeben. Der ehemalige Innenminister Chevènement hat die neuen Herrscher an der Spree im Verdacht, sie wollten das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wiederaufrichten.

Der frühere Deutschland-Korrespondent des "Figaro", Michel Meyer, fürchtet dagegen, der Genius loci werde zu einer Renaissance des arroganten Preußentums führen. Maurice Druon, der ehemalige Sekretär der Académie française und Verfasser vieler historischer Romane, sagt für das Jahr 2010 sogar den nächsten deutsch-französischen Krieg voraus.

Kampf gegen den guten Geschmack

Doch dies sind die Stimmen einiger pensionierter Herren, einer verschwindend kleinen Minderheit. Die Mehrheit assoziiert mit Berlin die Bilder, die Jack Lang unlängst in einem Beitrag für "Geo" auf den Tisch blätterte: "der Große Kurfürst, die Hugenotten, Friedrich und Voltaire, Mendelssohn, die Humboldts, die Barrikaden von 1848, Grosz, Marlene, Cabaret, die Rosinenbomber der Luftbrücke, Ich bin ein Berliner, Willy Brandt, die Schandmauer, der Trabant". Lang lernte Berlin als Gründer des Theaterfestivals von Nancy kennen. Die Schaubühne im Westen, das Berliner Ensemble im Osten - das waren heilige Stätten, zu denen eine ganze Generation französischer Intellektueller verehrend aufblickte. Die Berliner Gastspiele in Paris waren unbeschreibliche Triumphe.

Aber natürlich war es nicht nur die hohe Kunst, die die Pariser an Berlin faszinierte. Paris ist eine ungewöhnlich schöne und harmonische Stadt, eine Stadt, die selbstsicher in sich ruht und genüsslich mit der Gefahr kokettiert, zum Museum zu erstarren. Das alles ist Berlin nicht, und das ist es, was die Pariser so aufregend finden.

Wie Georges Pompidou, der Freund der Poesie, auf der Ile Saint-Louis wohnte, aber für Wolkenkratzer schwärmte, so schwärmen die Pariser für das Unfertige in Berlin, das Unaufgeräumte, das Proletarische, den ewigen Kampf gegen den guten Geschmack und den ewigen Aufbruch zu neuen Ufern. Mit Zärtlichkeit denkt Lang an die Currywürste zurück, die er an Berliner Imbissbuden verdrückte, und die Berliner Weiße, mit denen er die Würste hinunterspülte.

Auf die Schnellgerichte der Amerikaner erstreckt sich der Enthusiasmus allerdings nicht: Beim Hamburger fällt unweigerlich die Guillotine "malbouffe" (Fraß). Und daran sieht man, dass das Faible für Berlin in der Theorie besser gedeiht als in der Praxis. Als sich Techno-Freunde dafür stark machten, die Love Parade nach Paris zu importieren, verbannte die Stadtverwaltung den Import in den Osten, weitab vom Zentrum, und der Zulauf blieb bescheiden. Inzwischen bereitet der Senat sogar ein Totalverbot der "manifestations sonores" vor.

Bei der Pariser Buchmesse im März gab sich der Ehrengast Deutschland alle Mühe, Berlin als Zentrum seiner Literaturszene anzupreisen. Die Gastgeber blieben skeptisch: "Die Dichte von Schriftstellern pro Quadratmeter", spottete "Le Monde", "ist noch keine Garantie für Qualität."

Der Umzug der Bundesregierung nach Berlin, befand das Wochenmagazin "Le Point", habe Deutschland nicht geändert. Anders sei nur die "neue Brutalität", mit der die Bundesregierung ihre Interessen geltend mache. Ob der neue Stil auch etwas mit der neuen Hauptstadt zu hat, ließ die Zeitschrift offen: "Die Verschiebung der Gewichte ist ohne Frage unvermeidlich und notwendig."

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