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20. Januar 2010: Tag 3: Auf dem Weg ins Katastrophengebiet

Die Helfergruppen haben große Mühe, in das Katastrophengebiet vorzudringen. Ohne Militärkonvoi geht es nicht weiter.

In Jimani ist erst einmal Endstation. Der Ort mit dem klangvollen Namen ist der Grenzort zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti. Keiner der Ärzte und Schwestern aus Deutschland hatte vor, hier die Nacht zu verbringen. Aber der dominikanische Zivilschutz lässt nicht mit sich handeln. Wegen der prekären Sicherheitslage geht es ohne Militärkonvoi nicht weiter. Nachmittags um fünf ist es inzwischen geworden, seit vier Uhr früh ist die Gruppe unterwegs, um endlich die Kollegen in Port-au-Prince abzulösen. Und nun stecken sie fest. Der Frust ist mit Händen zu greifen.

Wegen der begrenzten Kapazitäten des Flughafens in Port-au-Prince, der zusammengebrochenen Infrastruktur und der Sicherheitsprobleme haben viele Helfergruppen große Mühe, in das Katastrophengebiet vorzudringen.

In der kurzen Zeit ihres Einsatzes hat die deutsche Gruppe schon gelernt, dass ein Plan zunächst einmal nur ein Plan ist. Zwar war der erste Fahrer am Morgen kräftig aufs Gaspedal getreten - was in der Folge eine Pannenpause nötig machte -, aber er kannte den Weg zu dem Krankenhaus in Santo Domingo nicht, wo umgeladen werden sollte. Also machte der Trupp von Humedica, Kindernothilfe, World Vision und Ein Herz für Kinder erstmal eine Art Kliniktour durch die Hauptstadt und verlor wertvolle anderthalb Stunden in diversen Staus, die am Abend fehlen sollten, um weiterzukommen. Es ist eine wahre Odyssee, auf die sich viele Helfer begeben.

Eine amerikanische Krankenschwester, die mit zwei Kollegen aus Connecticut gekommen ist, stieg falsch in den Bus mit den deutschen Medizinern ein, ohne den Zielort zu kennen. Aufgeregt verkündet sie, im Hospital hier gebe es 400 Erdbebenpatienten, die mit einer Krankenschwester und vier Pflegern allein seien. Da werde sie heute nacht ein paar Stunden helfen. Nachdem das Missverständnis mit dem falschen Bus aufgeklärt ist, begeben sich die Drei zu einer Bushaltestelle und warten. Auf einen anderen Bus und auf einen wichtigen Anruf. Brauchen sie doch noch den Namen und die Adresse des Krankenhauses in Port-au-Prince, wohin sie gehen sollen. Es sind mitunter surreale Szenen an einem Ort, von dem aus Hilfe kommen soll.

Bis der Militärkonvoi kommt, kann die deutsche Gruppe ins Hotel Jimani ziehen. Das ist zwar ausgebucht, aber die Besitzer wollen die Lobby freiräumen. Später werden alle im Hoteleingang ihre Isomatten und Schlafsäcke ausrollen. Ihnen werden viele Gedanken durch den Kopf gehen, und sie werden hoffen, in dieser Nacht endlich etwas Ruhe zu finden. Denn die brauchen sie dringend nach zwei fast schlaflosen Nächten und einer nahezu endlosen, gehetzten Busfahrt durch die schwüle Hitze. Dabei waren sie an einem brennenden Zuckerrohrfeld vorbeigefahren. Die meterhohen Flammen züngelten schon nach der Straße, als der Fahrer gewaltig ins Gaspedal trat, um aus der Feuerzone zu kommen. Dabei sind sie doch noch nicht einmal dort, wo sie gebraucht werden.

Und dort warten die Kollegen des Vorausteams dringend auf Ablösung. Das schärft ihnen einer der Koordinatoren auch noch einmal ein: "Wenn ihr morgen endlich ankommt, werdet ihr das Team dort ablösen müssen. Wenn die seit drei Tagen durchoperieren sind die fertig, selbst wenn sie nicht mit Taschenlampen und zerschnittenen T-Shirts als Verbänden arbeiten müssten", sagt der Tübinger Anästhesist Norman Hecker. Sein Chef Bernd Domres, das Gesicht der deutschen Katastrophenmedizin, ist gleich mit dem ersten Team losgeflogen. Hecker weiß, dass sich Domres selbst mit seinen 70 Jahren nicht schont.

Das erwartet er auch von seinen Mitarbeitern, wenn sie im Hospital Espoir ankommen, dem Krankenhaus der Hoffnung. Viel Zeit haben sie nicht zum Ausruhen. Um 6 Uhr 30 soll der von Militär begleitete Konvoi an der Grenzstation starten. Am liebsten würden sie trotzdem sofort losfahren. Endlich ankommen. Endlich helfen können.

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