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Der Designer Jake Evill hat eine Schiene ausgedruckt, die funktioniert wie ein Gipsverband - nur viel weniger juckt und kratzt.

© WENN.com

3D-Drucker für jedermann: Alles für alle und am besten schnell

Sie sollen den Alltag revolutionieren, die Welt sehr viel einfacher machen. Klingt das nicht fantastisch? Zuhause herstellen, was man braucht. 3D-Drucker könnten es möglich machen, erschwinglich sind sie längst. Wenn da nur nicht diese Tücken wären.

In die dritte Dimension geht es über eine Hintertreppe. Berlin-Prenzlauer Berg, Gewerbehof. Backsteinbau und gusseisernes Treppengeländer. Männer in Sweatshirts und Sneakers öffnen die Tür zu einem Loft, und sogleich hört man das dezente Surren eines Druckkopfs, der über eine Glasscheibe gleitet, als zeichne er die Bögen, Pirouetten, Kurven eines Eiskunstlaufs nach. Schon wächst auf der spiegelnden Fläche eine groteske Skulptur in die Höhe. Millimeter für Millimeter.

„Keine Ahnung, was das werden soll“, sagt Morris Winkler und blickt fragend von dem Gerät in der einen Ecke des Raums zu einer jungen Frau in der anderen. Die sitzt an ihrem Laptop, steuert das Ganze von dort, nun blickt sie aus großen braunen Augen zurück und schweigt. Winkler hat das offenbar erwartet. „Jeder macht hier sein eigenes Ding“, sagt er.

Morris Winkler hat das Berliner Fab Lab als Treffpunkt vorgeschlagen. Die Ideenwerkstatt ist auf die dritte Dimension spezialisiert, hier begreife man am ehesten, worum es bei dem Boom geht, von dem derzeit alle schwärmen. 3-D-Drucker verschiedenster Bauarten werden hier ausprobiert und weiterentwickelt. Einer, von der Größe eines Bierkastens, streicht leise surrend unablässig feine Schichten geschmolzenen Plastiks übereinander. Der Apparat hat kein Gehäuse, man kann die Mechanik sehen. Und wenn Morris Winkler sie erklärt, gebürtiger Berliner und studierter Softwareingenieur, dann sieht er sich an der Schwelle einer Umwälzung, die die Welt, wie wir sie kennen, für immer verändern könnte.

Diese alte Welt kennt für alles, was in ihr gemacht wird, nur schwere, sperrige Worte: Herstellung. Produktion. Fertigung. Morris Winkler sagt: „Drucken“. Er meint damit eine Maschine, wie sie gerade jetzt in seinem Rücken ihre ruckartigen Bewegungen ausführt. Und die doch viel mehr ist als eine Maschine. Er nennt sie einen Bytes-to-atoms-converter. Also etwas, das Daten in Atome umwandelt. Digitales Wissen wird in Dinge übersetzt, die man anfassen, schmecken, riechen kann. Die Nerds des Internets kehren in die reale Welt zurück.

"Neue industrielle Revolution"

An Menschen wie Winkler denkt Chris Anderson in seinem Buch „Makers“, wenn er eine „neue industrielle Revolution“ verkündet. Die vergangenen zehn Jahre hätte es gebraucht, um im Internet kreativ zu werden und soziale Netzwerke zu errichten, schreibt er. „Die nächsten zehn Jahre wird es darum gehen, diese Lehren auf die reale Welt zu übertragen.“ Jeder werde sein eigener Fabrikant. Kapital ist dafür gar nicht mehr nötig. Das Volk hole sich die Hoheit über die Produktionsmittel zurück. Das Vehikel dafür ist ein Drucker, der aus Konstruktionszeichnungen echte Gegenstände macht. Kann das gut gehen?

Auftritt des Skeptikers. „Wenn mir einer kommt mit dem 3-D-Drucker für zu Hause, mit dem man alles drucken kann, was man möchte, dann lache ich den aus.“

Hartmut Schwandt ist Chef des 3-D-Labors an der Berliner Technischen Universität. Früher war er nur derjenige, der sich im Institut um die Computer gekümmert hat. Heute verfügt die mathematische Fakultät über eine Reihe gebräuchlicher 3-D-Druckertypen. Mit Mathematik habe das nicht mehr viel zu tun, sagt der Mathematiker. Sondern damit, dass Daten und die Sprachen, in denen sie festgehalten sind, einander verständlich gemacht werden müssen. Schwierig.

Der Professor wird unruhig. „Alles für alle und schnell, das ist unmöglich“, sagt er mit dem Wissen des Erfahrenen und schwingt in seinem Institut auf einem Drehstuhl hin und her. Die 3-D-Technologie habe 30 Jahre gebraucht für die ersten Schritte. Jetzt gleich die dritte industrielle Revolution auszurufen, sei unseriös. Sie hätten in ihrem Institut mal versucht, Legosteine zu drucken. „Die sahen sehr schön aus. Aber keiner passte auf den anderen.“ Da haben sie einige ihrer Illusionen verloren.

„Das Problem ist das Wort ,Druck‘“, sagt Schwandt. „Es impliziert: Ich drücke auf einen Knopf und fertig. Aber genau so ist es eben nicht.“ Schwandt sagt auch, dass viel Erfahrung in seinem Fall heiße, „viel kaputt gemacht zu haben“.

Besonders beliebt: „Star Wars“-Figuren

In Glasvitrinen bewahren er und sein Team die Objekte auf, die das bestätigen. Zerbrochene Gitterstrukturen, ineinandergestülpte Hohlkörper, Torusknoten, verdrehte Endlosbänder, verschachtelte Tetraeder und Multiflächen, deren Außenwände zu dünn geraten sind für diese Welt. Manches haben sie heile behalten, Architekturmodelle und Miniaturansichten klassizistischer Standbilder. Man müsse wie ein Archäologe vorgehen, sagt Schwandt, die Objekte behutsam aus dem Pulvertopf bergen, in den sie mit jeder bedruckten Schicht tiefer versunken sind - die dünnen Pulverschichten haben hier die Funktion, die in der zweidimensionalen Welt Papierseiten haben. Mit einem Pinsel abstauben. Mit einer Luftdruckpistole abblasen. Es ist, als wollte man einen hauchdünnen Keks aus einem Mehlsack holen.

Das Problem sei auch, sagt Schwandt mit Blick auf die Vitrinen, dass der 3-D-Drucker zwei Menschentypen in einer Person auf sich vereinen müsse, die bisher wenig miteinander zu tun hatten. Den Designer und den Materialspezialisten. „Diejenigen, die sich mit der Technik auskennen, wissen nichts von der möglichen Anwendung. Und die, denen die verrücktesten Objekte einfallen, kennen die technischen Zusammenhänge nicht.“ An der Uni kann Schwandt dieses Defizit ausgleichen, Universitäten seien schließlich dafür da, dass sie Techniker mit Architekten, Mathematikern, Designern zusammenführten. Aber wo geschehe das sonst noch?

Ja, genau, und wofür? Was ist so toll daran, eine Kugel in einer Kugel ausdrucken zu können? Braucht der Mensch wirklich das Ganzkörper-Abbild seiner selbst in Miniaturformat, wie es manche 3-D-Druckshops anbieten?

„Kirmes-Tand“, sagt der Betreiber eines solchen Shops zu den bunten Plastikobjekten in seinem Laden. Besonders beliebt seien übrigens „Star Wars“-Figuren. Einige Berliner Schulen haben bereits eigene 3-D-Drucker angeschafft. Es wird mit gedruckter Schokolade, Eierschaum und Kartoffelpüree experimentiert. Es gibt den besseren Gipsverband und Handprothesen für Kinder. Doch für die Massenfertigung ist 3-D-Druck zu langsam und Einzelstücke sind zu wenig kostbar. Besteht der Sinn des 3-D-Heimdruckers darin, Gegenstände, die im Hausgebrauch kaputtgegangen sind, ersetzbar zu machen?

Flüssiger Kunststoff verschmilzt zu einem dreidimensionalen Gegenstand

Amerikanische 3-D-Enthusiasten rechnen vor, dass ein Drucker zu Hause schon jetzt innerhalb eines Jahres bis zu 2000 Dollar einsparen helfen könne. Befeuert wird die hohe Erwartung vor allem von dem Auslaufen alter Patente.

Eines dieser Patente hat die Nummer: US5121329 A. Angemeldet wurde es am 30. Oktober 1989 von Scott Crump. Sein Patent schützte über 20 Jahre hinweg die Verwendung des Fused Deposition Modeling (FDM), eines Verfahrens, bei dem schichtweise flüssiger Kunststoff zu einem dreidimensionalen Gegenstand verschmolzen wird. Es ist das Prinzip eines Tintenstrahldruckers, mit dem Unterschied, dass statt farbiger Flüssigkeiten ein Plastikfilm aufgetragen wird. Das Patent ließ entsprechende Geräte über 10 000 Euro kosten. Es waren große Geräte für die große Industrie. Als es 2009 auslief, machten sich sofort Tüftler darüber her, die nur auf diesen Moment gewartet hatten. Sie bauten an eigenen Geräten, die nichts oder nicht viel mehr als ihren Herstellungspreis kosten sollten, 300 Dollar, und sie teilten ihr Wissen in Onlineforen anderen mit.

Das Ergebnis ist eine Flut an Druckertypen und ein ziemlich unübersichtlicher Stammbaum. Der hängt an einer Tür im Berliner Fab Lab, und während Morris Winkler ihn mit verschränkten Armen betrachtet, erläutert er die Innovationskurve der Revolution. Aus dem Ur-Drucker namens A.R.N.I.E ist seit 2006 ein immer dichteres Gewirr an Ästen erwachsen. Weiter als bis Mitte 2012 kam der Chronist nicht. 400 Modelle sind da bereits aufgelistet. Die Tür müsste breiter sein.

Man kann sagen, dass die „neue industrielle Revolution“ das geistige Eigentum ihrer Vorväter plündert, um aus dem Nutzen einiger einen für alle zu machen. Andersen schreibt dazu: „Die größte Veränderung berührt nicht die Art und Weise, wie Dinge getan werden, sondern wer sie tut. Sobald Dinge auf normalen Computern erledigt werden können, kann das jeder tun.“ Eine Zeit lang sah Scott Crump wie der Verlierer aus.

Aber er hat zurückgeschlagen. Crump hat mit Makerbot die Firma aufgekauft, die mehr als andere vom 3D-Boom der vergangenen Jahre profitierte und viele Ideen der Entwickler-Community standardisiert hat. „Danach sind sie closed source gegangen“ sagt Morris Winkler, denn Makerbot schottet seine Erkenntnisse nun als Betriebsgeheimnis von all jenen ab, die in den Foren mitgeholfen haben, das System zu verbessern. Überdies haben Makerbot-Drucker ein Gehäuse erhalten. Schwarz, sehr edel, es soll die Technik vor der Umwelt schützen. Den beheizbaren Innenraum hat sich das Unternehmen als Patent eintragen lassen. Sogar den unbeheizten Innenraum mit Sichtglas. Jeder, der seinen Drucker nun mit einem Gehäuse versehen will, in das Sichtfenster eingelassen sind, verletzt womöglich ein Makerbot-Patent. Für Beobachter der Szene sind das erste Vorzeichen auf künftige „Patent-Kriege“, wie es sie auch im Smartphone-Markt gegeben hat. Die Entwicklung sei auch unüberschaubar geworden, sagt Winkler.

Idee der sich selbst schaffenden Maschine

Er selbst hat eine Firma gegründet, die Bausätze für 3-D-Drucker anbietet. Früher entwickelte der 32-Jährige Betriebssysteme mit. Seine Arbeit verschwand irgendwo im Computer. „Ich hatte die Sehnsucht“, sagt er, „etwas, das ich geschaffen hatte, in der Hand zu halten.“ Es musste natürlich etwas Raffiniertes sein. Sonst hätte es seine Intelligenz beleidigt. Also verfolgte er die Idee der sich selbst schaffenden Maschine. Die müsste sämtliche Bauteile, aus denen sie besteht, selbst hervorbringen. Es wäre ein Mechanismus, der aus nichts eine neue Welt erzeugte.

Und es hat tatsächlich geklappt. Heute hilft Morris Winkler in zehnstündigen Workshops denen, die ein solches Gerät besitzen wollen, es zusammenzubauen. Wobei, nicht alles entspricht dabei dem Prinzip der Selbstentstehung. Man braucht Metallstangen, elektronische Steuerungselemente und elastische Bänder, die auch Morris im Baumarkt kaufen muss. Aber immerhin eben nur im Baumarkt. Für sämtliche Plastikteile sind Baupläne im Netz frei zugänglich.

„Ich habe zwei Drucker zu Hause“, sagt David Bizer, „aber einen benutze ich gar nicht, bei dem anderen gehen 50 Prozent der Zeit fürs Drucken und die anderen 50 Prozent für Herumschrauben drauf.“ Meistens frage man sich ohnehin: „Was soll ich jetzt damit anfangen?“ David Bizer hat durchaus Ideen. Der 32-Jährige ist Designer, auf „gedruckte“ Objekte spezialisiert. In seinen Schreibtischschubladen purzeln die Einfälle durcheinander. Christbaumkugeln, rhombische Ohrringe und iPhone-Hüllen in Holzoptik. Er, in Sneakers und Sweatshirt, ist von einer lustvollen Unordnung umgeben. Das Kreuzberger Atelier, in dem sein Schreibtisch steht, teilt er sich mit einem halben Dutzend Kreativer, die jeweils ihr eigenes Projekt verfolgen. „Ich lebe heute von den Thesen, die meine Professoren mir nicht glauben wollten“, sagt er.

Als er 2008 für die Abschlussarbeit seines Studiums zum Industriedesigner ein Thema suchte, sei es eine „Mischung aus Faulheit und Faszination“ gewesen, die ihn auf den 3-D-Druck gebracht habe. Wobei Schmuck, wie Bizer zugibt, am besten funktioniert, um aus einem so wenig mühevollen Prozess wie dem 3-D-Druck etwas Wertvolles zu machen.

Gedruckt in den USA, poliert in Indien

Eine These ergab sich aus folgender Frage: Wie verdient man Geld in einer Welt, die alles kopiert? Bizer ist nämlich überzeugt, dass Urheberrechte umgangen werden, sobald es möglich ist. Und die digitale Welt hat das erheblich erleichtert. Sein Ausweg: Das Design darf es nur einmal geben. Wie eine Liebeserklärung.

Eine solche kam ihm in den Sinn für eine Kollektion aus Schlüsselanhängern, Ohrringen, Halsketten. „I love you“ ist die Botschaft, die viele von Bizers Kunden als Schmuckstück in Händen halten wollen, jedes Stück ist ein Unikat. „Ich weiß nicht, wie ein Goldschmied einen solchen Ohrring aufbauen würde, wäre vermutlich kompliziert“, sagt Bizer. „Ich brauche dafür fünf Minuten.“

Mit der Herstellung hat er nichts mehr zu tun, nachdem er das Schmuckstück an seinem Computer gestaltet hat. Ausgedruckt wird es bei einem Anbieter in den USA, poliert in Indien, von dort an den Kunden verschickt. „Geiler Service“, sagt Bizer.

Aufgewachsen ist er in einem Albstädter Haushalt mit drei Frauen. Er habe, vielleicht deshalb, ein Problem mit Chefs, wie er sagt. Jetzt, als sein eigener Chef, ist ihm ist die Erschöpfung eines Internetunternehmers anzumerken, der alles selbst machen muss – und neue Ideen auf später verschieben.

Erfolg hatte Bizer dabei zunächst nicht. Man klaute ihm seine Idee. Er drohte von seiner eigenen These ruiniert zu werden. Doch Bizer wehrte sich. Er stellte eine Anleitung zum Selbermachen ins Netz, verschenkte seine Idee. Danach ging das Geschäft durch die Decke. Offenbar üben Dinge, die man ganz einfach selbst herstellen könnte, eine magnetische Wirkung auf jene aus, die sich das nicht zutrauen.

Dann hat Bizer Hunger. Verabredet ist er mit Freunden in einem Kreuzberger Lokal. Gute Küche, sagt er und greift nach seiner Jacke. Es wäre vielleicht doch ganz schön, bei einer Agentur angestellt zu sein statt so alleine, sinniert er im Gehen. Andererseits ... Er bringt den Satz nicht zu Ende. Die Welt soll weniger kompliziert werden durch den 3-D-Druck. Das kann nicht jeder.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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