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Absturz von Smolensk: Allen Hinweisen zum Trotz

Der Unfall der polnischen Präsidentenmaschine soll auf einen Pilotenfehler zurückgehen. Was ist passiert?

Der Pilot der am Samstag abgestürzten Maschine des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski hat sich offenbar falsch entschieden. Mit fatalem Ausgang. Der russischen Staatsanwaltschaft zufolge wurde er mehrfach auf die schlechte Wetterlage und den Nebel hingewiesen, hat aber trotzdem mehrere Landeversuche unternommen. Warum, ist unklar.

Mit was für einem Flugzeug flog der polnische Staatspräsident?

Die Tupolew-154 war das russische Gegenstück zur amerikanischen Boeing 727. Der Prototyp startete 1968 zu seinem Jungfernflug. Sie verfügt über drei am Heck montierte Strahltriebwerke, ist 47,90 Meter lang und hat eine Spannweite von 37,55 Metern. Nach dem Beginn des Einsatzes beim Hauptkunden Aeroflot 1972 wurde das Modell zum Rückgrat der Fluglinien des Ostblocks. Ab 1984 wurde die modernisierte Version Tu-154M gebaut. Bis 2006 wurden mehr als 900 Maschinen hergestellt. Seitdem bemüht sich das Herstellerwerk in Samara um den Verkauf einer erneut modernisierten Variante, stellte seitdem aber jährlich nur noch ein Flugzeug fertig.

Auch die Regierungsstaffel der DDR nutzte zwei Tu-154M, die nach der Wiedervereinigung noch vorübergehend von der Bundeswehr betrieben wurden. Eines der Flugzeuge kollidierte 1997 vor der Küste von Namibia mit einem Transportflugzeug der US-Luftwaffe, 33 Menschen kamen ums Leben. Die zweite Maschine wurde an eine bulgarische Fluggesellschaft verkauft.

Die Aeroflot stellte ihre letzte Tu-154 Ende 2009 außer Dienst. Heute fliegt das Modell noch bei einer Reihe kleinerer Gesellschaften in den GUS-Staaten und bei der russischen Staatsairline Rossiya, wo der Typ neben neueren Iljuschins auch als Regierungsflugzeug dient. Ferner wird der Typ von mehreren iranischen Fluglinien betrieben, wobei es in den vergangenen Jahren immer wieder zu schweren Unfällen kam.

Womit fliegt die polnische Regierung?

Während die polnische LOT bereits 1989 als eine der ersten Luftverkehrsgesellschaften des ehemaligen Ostblocks mit der Umrüstung auf westliche Maschinen begann, setzt die Warschauer Regierung weiterhin auf russische Flugzeuge. Zur Ausstattung der in Warschau stationierten Regierungsstaffel gehören neben einigen polnischen Maschinen eine weitere Tu-154, vier kleinere Yak-40 und sieben Mi-8-Hubschrauber. Seit dem Absturz einer Mi-8 im Dezember 2003, den der damalige Premierminister Leszek Miller verletzt überlebte, wird über die Modernisierung der Flotte diskutiert.

Wie kam es zu dem Absturz von Smolensk?

In Pilotenkreisen heißt es, der Crew müsse eigentlich spätestens nach dem zweiten gescheiterten Landeanflug auf den Flughafen im russischen Smolensk klar gewesen sein, dass man einen Ausweichflughafen ansteuern muss. Dennoch versuchten es die Männer im Cockpit weiter. Nachdem sie auch beim dritten Mal durchstarten mussten, gingen sie vermutlich beim vierten Versuch noch niedriger – in der Hoffnung, die Piste dann sehen zu können. Dabei streifte der Jet gut einen Kilometer vor dem Flugplatz die Baumwipfel eines Waldes, stürzte ab und zerschellte. Dass die Piloten immer wieder die eigentlich unverantwortliche Landung versuchten, deutet darauf hin, dass die Besatzung unter erheblichem Druck gestanden haben muss. Wäre man – wie von den Fluglotsen empfohlen – nach Minsk oder Moskau ausgewichen, hätten die hochkarätigen Passagiere wegen der Entfernung von jeweils rund 400 Kilometern die Gedenkveranstaltung in Katyn nicht mehr erreichen können.

Die Katastrophe wirft die Frage auf, ob sich die Piloten aufgrund eines früheren Vorfalls nicht trauten, den Kurs zu ändern oder sogar von Präsident Kaczynski beziehungsweise seiner Begleitung zur Landung in Smolensk gedrängt wurden. Während des Georgien-Kriegs im August 2008 hatte nach polnischen Medienberichten der Kommandant der Regierungsmaschine trotz entsprechender Anweisung des Präsidenten die Landung in Tbilissi aus Sicherheitsgründen verweigert und war nach Baku (Aserbaidschan) ausgewichen. Kaczynski hatte ihm daraufhin Befehlsverweigerung vorgeworfen, der Offizier musste den Dienst quittieren.

Warum sollte die Maschine wegen des dichten Nebels nicht in Smolensk landen?

Blindlandungen bei schlechter Sicht sind kein Problem, wenn Flugzeug und Flughafen mit entsprechender Präzisionstechnik ausgestattet sind. Instrumentenlandesysteme (ILS) bestehen aus zwei am Boden installierten Funksendern, die den richtigen Kurs und den Gleitwinkel vorgeben. Diese Leitstrahlen führen das Flugzeug sicher zum Boden, je nach Zulassungskategorie bis zu einer Entscheidungshöhe von 15 Metern und einer Sichtweite von mindestens 75 Metern. Instrumente im Cockpit zeigen den Piloten die geringste Abweichung an.

Alle großen Verkehrsflughäfen sind mit einem solchen ILS ausgestattet. Bei dem nördlich der Stadt gelegenen Flughafen Smolensk-Oblast handelt es sich dagegen um einen Militärflugplatz, auf dem vierstrahlige Iljuschin IL-76-Transportflugzeuge der russischen Luftwaffe stationiert sind. Er verfügt zwar über eine mit 2500 Metern ausreichende Start- und Landebahn, besitzt aber kein Instrumentenlandesystem. Auf der bei Google verfügbaren Satellitenaufnahme ist noch nicht einmal eine Landebahnbefeuerung zu erkennen. Die Besatzung einer mit dem Platz vertrauten IL-76 soll sich nach russischen Medienberichten eine halbe Stunde vor dem Absturz der Präsidentenmaschine wegen der schlechten Sichtverhältnisse zur Umkehr nach Moskau entschieden haben.

Welchen Einfluss hatte der Zustand des Flugzeuges auf den Absturz?

Nach Auskunft der russischen Staatsanwaltschaft befand sich die Präsidentenmaschine in einem einwandfreien Zustand. Auch in den aufgezeichneten Gesprächen der Piloten mit der Bodenkontrolle habe es keine Hinweise auf technische Probleme gegeben. Wie das Herstellerwerk Aviacor im russischen Samara mitteilte, war die 20 Jahre alte Tupolew Tu-154 erst am 22. Dezember 2009 nach einer umfassenden Grundüberholung wieder an die polnische Luftwaffe übergeben worden. Die zweite polnische Regierungsmaschine dieses Typs ging dann im Januar in die Werft. Auch durch den Einsatz eines moderneren Flugzeugs westlicher Bauart wäre der Unfall aus Expertensicht nicht zu verhindern gewesen, da die technische Ausstattung des Flugzeuges bei dem Absturz keine Rolle spielte.

Rainer W. During

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