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Ausgebrannt. Rot-weiße Verkehrskegel markieren die Autos mit den Todesopfern, die erst später geborgen wurden. Foto: Imago

© imago stock&people

Panorama: Ackerstaub nahm den Fahrern die Sicht

Ein Bild des Grauens: 80 Fahrzeuge sind auf der A 19 bei Rostock kollidiert – mindestens acht Menschen wurden getötet, viele verletzt

Der Frühjahrssturm hatte Ackerstaub und Sand zu einer gelbbraunen Wand auf der Fahrbahn aufgewirbelt. Sie nahm am Freitag auf der Autobahn 19 bei Rostock zahlreichen Fahrern so überraschend die Sicht, dass sie auf beiden Richtungsfahrbahnen ineinander rasten. Die Karossen verkeilten sich, türmten sich aufeinander, drehten sich gegen die Fahrtrichtung und fingen Feuer.

Am Abend, Stunden nach der Kollision, hatten die Rettungskräfte immer noch nicht alle Wracks durchsucht. Den ganzen Tag lang kämpften die Retter weiter gegen Qualm und Rauch – und gegen die Böen voller Staub, Erde und Sand, die weiterhin von den weiten, leicht hügeligen Äckern links und rechts über die Autobahn gewirbelt wurden.

„Es war wie eine gelbe Windhose“, berichtete ein Autofahrer, der kurz vor der Massenkarambolage die Strecke passiert hatte, einem Online-Portal. „Auf einmal konnte ich noch bis zum Ende meiner Motorhaube gucken.“ Er hatte noch Glück.

Nach ihm kam die Katastrophe. Etwa 80 Fahrzeuge rasten ineinander. Später wird die Polizei zunächst fünf Todesopfer melden, dann zehn, später acht.

Noch Stunden nach der Massenkarambolage wütet der Sandsturm über die Autobahn zwischen Rostock und Güstrow. Dutzende ausgebrannte und ineinandergeschobene Fahrzeuge haben die Fahrbahn in ein Trümmerfeld verwandelt. Die Feuerwehr löscht Brände, bevor überhaupt daran zu denken ist, die Toten zu bergen. Die Rettungskräfte versuchen, sich mit Mundschutz und Brillen vor dem feinen Ackerstaub zu schützen, der an der Unfallstelle von den Feldern weiterhin ungebremst über die vierspurige Straße fegt.

Viele Verletzte werden in die umliegenden Krankenhäuser gebracht, die Krisenstäbe einrichten, um die vielen Notfälle behandeln zu können. Weniger stark Verletzte stehen mit ihren Identitätskarten um den Hals verwirrt und hilflos in der Parkbucht nur wenige hundert Meter vom Unfallort entfernt.

„Sie sind völlig geschockt, alle ihre Sachen, Geld, Gepäck sind noch im Auto“, sagt Evelyn Ruß-Deutschle. Sie hatte auf dem Weg von der Arbeit vom Unfall gehört und mit ihrer intensivmedizinischen Ausbildung ihre Hilfe angeboten. „Vorhin lief ein Mann weinend umher und suchte seine Familie, ich weiß gar nicht, ob man ihm helfen konnte“, sagte die Frau, bevor sie sich einem älteren Ehepaar widmet, das zitternd und bleich mit Decken um den Schultern vor einem Rettungszelt steht.

In Sekundenschnelle hatte der Sand die Autobahn verhüllt. „Ich hab das schon gesehen, als ich vom Berg runter bin“, sagt Lastwagenfahrer Ralf Schulz der Nachrichtenagentur dapd. „Dann hat der erste wohl abgebremst und mehrere Autos sind hinten rauf. Manche haben sich überschlagen.“ Schulz kam gerade noch zum Stehen. Ein Kollege vor ihm jedoch nicht, sein Kieslaster kippte um und brannte aus. Er sitzt jetzt bei Schulz und dessen Hund Charlie in der Fahrerkabine und kann kaum sprechen. „Wir haben noch eine Frau aus einem brennenden Auto gezogen, die hat geschrien. Die anderen Leute sind aus ihren Autos gelaufen und haben sich auf den Mittelstreifen gerettet“, sagt Schulz. Die Autos sind mit einer solchen Wucht ineinander gekracht, dass einige bis 50 Meter entfernt von der Fahrbahn auf dem Feld liegen.

An dieser Stelle der Autobahn bei Kavelstorf gibt es kein Tempolimit. „Man hat den Sand aber kommen sehen, man hätte bremsen können“, sagt Lastwagenfahrer Schulz.

Autobahnpolizist Norbert Holldorf mag nicht spekulieren. Seit 20 Jahren begleiten ihn Unfälle, auch viele schwere auf diesem Autobahnabschnitt. „So was hier hab ich aber noch nie erlebt.“ Seine Arbeit beginnt erst, wenn die Fahrzeuge von der Straße geräumt werden dürfen. Rettungspilot Roland Pawel sucht Schutz vor dem Sand hinter seinem Hubschrauber. „Vorhin konnte man gerade mal zwei Meter weit sehen, jetzt wird es schon besser.“ Die schnelle Hilfe von allen Seiten lobt der Einsatzleiter der Rettungsdienste, Christian Hartmann. Sieben Rettungshubschrauber seien schnell vor Ort gewesen, die Krankenhäuser in ganz Mecklenburg bis nach Lübeck hätten Hilfe angeboten. Zwei Stunden nach der Karambolage seien alle Verletzten geborgen und medizinisch versorgt worden.

Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes in Potsdam kann man Sandstürmen an Autobahnen nicht vorbeugen. „Es gibt kein sinnvolles Projekt dagegen“, sagt der Meteorologe Wolfgang Harno. Schutznetze, wie sie etwa in schneereichen Gebieten eingesetzt werden, würden bei Sandstürmen nicht helfen, sagt er. „Der Sand würde einfach durch die Netze gehen.“ Sandstürme in Deutschland gebe es hauptsächlich im Frühling, Ursache seien unbepflanzte Felder oder Baustellen, erklärt der Experte. „Wenn die Oberfläche ausgetrocknet ist, reicht eine Windböe“, sagt er. „Da kann man gar nichts tun, das ist der Gang der Natur.“ In Mecklenburg-Vorpommern habe es am Freitag Windstärken von 8 bis 9 gegeben. Zudem habe es dort zum letzten Mal am 3. April geregnet, sagt er.

ADAC-Sprecher Matthias Schmitting sagte, eine der Ursachen solcher Massenkarambolagen sei auch zu hohe Geschwindigkeit. HAMBURG]Bei einem solchen Sandsturm, der nicht ungewöhnlich sei, könnten schon 50 km/h zu viel sein. mit dapd

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