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Panorama: "Adiós Muchachos!": Dreht sich die Erde immer noch zärtlich?

Unter den Sandinistas hat der literarische Rückblick auf die Revolution einige Tradition. Anfang der 80er Jahre erschienen die Erinnerungen von Omar Cabezas, einemKommandeur der Bergguerilla, die der Peter Hammer Verlag unter dem romantisierenden Titel "Die Erde dreht sich zärtlich, Compañera" veröffentlichte.

Unter den Sandinistas hat der literarische Rückblick auf die Revolution einige Tradition. Anfang der 80er Jahre erschienen die Erinnerungen von Omar Cabezas, einemKommandeur der Bergguerilla, die der Peter Hammer Verlag unter dem romantisierenden Titel "Die Erde dreht sich zärtlich, Compañera" veröffentlichte. Und zum zehnten Jahrestag der Revolution, 1989, wartete der sandinistische Innenminister und Dichter Tomás Borge mit seinen Memoiren auf. Gleichzeitig erschienen die "Heldentaten des Comandante Francisco Rivera Quintero", eines Guerillero, der unter dem Decknamen "El Zorro" zwischen 1977 bis 1979 drei Volkserhebungen in der Stadt Estelí geleitet hatte und dort schließlich die Nationalgarde der Diktatur bezwingen konnte.

Sergio Ramírez, Schriftsteller und damaliger Vizepräsident der sandinistischen Regierung, war der Gesprächspartner des "Zorro" und gab dessen auf Tonband aufgezeichnete Erinnerungen in einer stilistisch überarbeiteten Fassung heraus. "Zwischen all den Dringlichkeiten und Anforderungen während der Revolution", so Ramírez im Vorwort jenes Buches, "dachte niemand daran, die Geschichte des Kampfes niederzuschreiben, statt dessen schrieb der Kampf selbst seine Geschichte."

Nun hat auch Ramírez sich daran gemacht, eigene Erinnerungen zu Papier zu bringen. "Adiós Muchachos!" ist in Mexiko und Spanien bereits 1999 erschienen, also genau zum 20. Jahrestag der Revolution. Doch zum Feiern gab es wenig Grund: Der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) hatte 1990 und 1996 die Wahlen verloren, die Gesellschaft Nicaraguas war tief gespalten, und das Land befand sich in einer fortwährenden institutionellen Krise, in der sich Parlament und Regierung bis aufs Messer bekriegten.

Für die Revolution so prägende Wörter wie "compañero" und "muchachos" (das jugendliche Fußvolk der Aufstände) waren längst aus dem sozialen Vokabular verschwunden; überlebt hatten lediglich die Begriffe "Contra" und "Pinata" - die skrupellose Überschreibung von Staatseigentum auf sandinistische Führungskader kurz vor der Machtübergabe 1990. Dennoch stimmt Sergio Ramírez, der weder eine Uniform getragen noch eine Waffe in der Hand gehalten hatte, und der 1995 mit dem FSLN brach, einen verhaltenen Lobgesang auf die Revolution an - jedenfalls auf "eine Epoche, die auch wie ein Epos war."

Anders als Tomás Borge verzichtet Ramírez jedoch auf jedes persönliche, politische und lyrische Pathos. Zwar gehört Ramírez ebenso wie der Priester, Dichter und ehemalige Kulturminister Ernesto Cardenal zu jenen Dissidenten des FSLN, die ihre Geschichte nicht verleugnen wollen. Doch durch seine kritische, besonnene Prosa wird das Buch von Ramírez zu einer lesenswerten Lektion: "Adiós, Muchachos!" ist der Abschied von einer autoritären Utopie, einem ideologischen Paternalismus, dem sich Bauern und ethnische Minderheiten zu fügen hatten, von einem starren Dogma, das innerhalb Nicaraguas auch mit Waffengewalt durchgesetzt wurde.

"Unser Arkadien der ersten Monate", schreibt Ramírez, "war von einer unermesslichen Unschuld getränkt, und die Woge gemeinsamer Euphorie wiegte das Bewusstsein in einer Art Delirium und Traum, Eifer und Hoffnung, ein Gefühl, das politisches Gewicht gewann und sich nie wiederholen sollte: zur Veränderung verpflichtet zu sein, bis zur letzten Konsequenz. Man siegt nicht mit der Waffe in der Hand, um die Macht nur für kurze Zeit zu erringen, wenn es darum geht, die Geschichte hinwegzufegen. Und unter solchen Umständen werden die Gemäßigten plötzlich verdächtig."

Hatte der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano die Revolution in Nicaragua einst als die "schönste Lateinamerikas" bezeichnet, so findet Ramírez mittlerweile Parallelen zu William Goldings pessimistischem Roman "Herr der Fliegen". Andererseits beschreibt der Autor, welche politischen Voraussetzungen überhaupt zur Niederwerfung der Somoza-Diktatur geführt haben. Und weil diese Vorgeschichte der Revolution nicht zuletzt von ihren Protagonisten meist ausgeblendet wurde, liegt darin vielleicht der größte Erkenntniswert des Buches.

Ramírez, der als Schriftsteller und Universitätsprofessor die 1978 gegründete "Gruppe der Zwölf" angeführt hatte, einen Zusammenschluss aus Unternehmern, Intellektuellen und Priestern, bemühte sich um ein Bündnis, zu dem neben der Guerilla auch die bürgerliche Opposition zählen sollte. Allein diese konspirative Tätigkeit, die Ramírez mit einer Fülle oft amüsanter Andekdoten erzählt, rechtfertigt, dass der Autor die Revolution als großes "Abenteuer" bezeichnet. Abenteuerlich war sie indessen nicht. Die Umstürzler gewannen sogar die Unterstützung der Präsidenten Mexikos, Panamas, Costa Ricas und Venezuelas.

In der Regierungsjunta, die sich am 19. Juli 1979 etablierte - dem Siegestag der Revolution -, spiegelte sich der politische Pluralismus noch wider. Doch bald darauf brach der Konsens auseinander. Der Unternehmer Alfonso Robelo sowie Violeta Chamorro, die Witwe eines unter Somoza ermordeten Zeitungsverlegers, verließen die Junta, als die obersten Kommandeure des FSLN zentrale Staatsämter besetzten. Auch in den Reihen des erst im März 1979 geeinten FSLN gab es Spannungen: Ramírez beschreibt sie anschaulich aus erster Hand. Das Innenleben der sandinistischen Führungsriege gibt er freilich ohne nachträgliche Häme preis: Jemand, der im Glashaus sitzt, wirft nicht mit Steinen.

Für Ramírez war die Revolution schließlich eine "gemeinsam geteilte Utopie." Ihr Scheitern, dessen Gründe Ramírez eingehend darlegt, hat zwar Mitstreiter wie den legendären "Zorro" in den Alkoholismus getrieben, Nicaragua aber auch zu neuer Perspektive verholfen: "Die Revolution hinterließ als ihr bestes Ergebnis die Demokratie, die 1990 mit der Anerkennung der Wahlniederlage besiegelt wurde, und als Paradoxon der Geschichte ist sie ihr sichtbarstes Erbe, wenn sie vielleicht auch nicht ihr enthusiastisches Vorhaben war." Es gibt also noch Hoffnung.

Roman Rhode

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