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© dpa

Air-France-Absturz: Es geht um Millionen

Nach dem Air-France-Absturz über dem Atlantik wollen die Angehörigen deutscher Opfer gegen Frankreichs Regierung klagen. Zwei Berliner Professoren helfen ihnen dabei.

Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin haben den nach wie vor rätselhaften Absturz eines Airbusses am 1. Juni über dem Südatlantik analysiert und werfen den französischen Luftfahrtbehörden eine Verletzung der Aufsichtspflicht vor. In der kommenden Woche werden sich die Angehörigen von 26 der 28 deutschen Opfer der Katastrophe in Berlin treffen, um sich zu organisieren. Dann soll auch eine Klage gegen die französische Regierung eingereicht werden.

Der Airbus A330 der Air France war auf dem Flug von Rio nach Paris in ein Unwetter geraten und abgestürzt. 216 Passagiere und zwölf Besatzungsmitglieder fanden den Tod. Zuvor hatten die Bordcomputer den Bodenstationen zahlreiche Systemausfälle und abweichende Geschwindigkeiten gemeldet. Die Flugdatenschreiber sind bis heute nicht auf dem Meeresboden gefunden worden. Fest steht, dass es bei dem Airbus-Modell seit Jahren Probleme mit den sogenannten Pitotsonden gab, Staudruckrohren, die zur Messung der Geschwindigkeit dienen. Sie neigten zur Verstopfung durch Eis oder Wasser. Erst nach dem Crash ordnete die europäische Flugsicherheitsagentur EASA eine Überprüfung der Sonden und den Austausch der Modelle eines bestimmten Herstellers an.

„Überspitzt könnte man sagen, der Unfall wäre vermeidbar gewesen“, sagte Professor Gerhard Hüttig vom Institut für Luft- und Raumfahrt der TU. Für ihn gibt es beim Air France Flug AF447 eine Vielzahl von Ungereimtheiten. Ohne sie hätten die Piloten zumindest „eine bessere Ausgangssituation“ gehabt. „Die sind echt grenzwertig geflogen“, sagt Hüttig, der selbst A330-Pilot war.

Schon 1998 hatte es die erste Meldung über einen Zwischenfall mit einem deutschen A320 gegeben, sagte Hüttig. Aufgrund der Häufung von Vorfällen habe Airbus bereits 2006 als Option das Back-Up Speed Scale-System (BUSS) eingeführt. Bei einem Ausfall der eigentlichen Tempoanzeigen ermittelt es mithilfe des Anstellwinkelmessers den Vortrieb und signalisiert den Piloten durch eine grüne oder rote Anzeige, ob sie sich im sicheren Geschwindigkeitsbereich befinden. Das ist gerade in großen Flughöhen lebenswichtig, denn je dünner die Luft ist, desto geringer ist dieses Fenster. Beim Unglücksflug dürfte der Spielraum bis zum Strömungsabriss und Auftriebsverlust nur etwa zwischen 75 und 90 Stundenkilometern gelegen haben, sagt Hüttig. Den meisten Airlines sei das freiwillige Zusatzsystem jedoch zu teuer gewesen. Doch selbst als sich in den Monaten vor dem Absturz die Meldungen über Ausfälle der Pitotsonden gehäuft hätten, habe die für Airbus zuständige französische Luftfahrtbehörde keinen Anlass gesehen, die Installation zwingend anzuordnen, betont der Berliner Professor.

Die Pariser Untersuchungsbehörde Bureau Enquetes Accidents (BEA) dürfe sich nicht darauf beschränken, das Fehlen der Flugdatenschreiber zu beklagen, fordert Hüttig. Sie müsse das Geschehen weiträumiger analysieren und Maßnahmen ergreifen, die eine Wiederholung einer solchen Katastrophe verhindern. Mit den „Black Boxes“ fehle nur „das letzte Element“ in der Kette von Ereignissen, die zum großen Teil bekannt seien. So ist der Airbus in Rio bei höchstzulässigem Gewicht mit einer Treibstoffreserve für nur 20 Minuten zusätzlicher Flugzeit gestartet. Während andere Maschinen wegen des Gewitters bis zu 150 Kilometer vom Kurs abgewichen seien, flog der zweistrahlige Langstreckenjet direkt in das Unwetter. Dabei müssen die Gewitterwolken für die Crew bei hellem Mondlicht bereits aus einer halben Flugstunde Entfernung mit bloßem Auge erkennbar gewesen sein. Hier stelle sich die Frage, ob sich aufgrund der „engen Kraftstoffmenge“ wegen einer eventuell drohenden Zwischenlandung zum Auftanken Druck bei den Piloten aufgebaut habe, so Gerhard Hüttig.

Die Auffindesituation der Leiche begründet nach Ansicht der Berliner Wissenschaftler den Verdacht, dass sich der Flugkapitän beim Absturz nicht im Cockpit aufgehalten hat. Bei derart langen Flügen befinden sich drei Piloten an Bord, von denen abwechselnd einer pausiert. Das legt die Vermutung nahe, dass die Maschine von den beiden Ersten Offizieren gesteuert wurde.

Bei der Lufthansa beispielsweise ist es dann üblich, dass der erfahrenere Co-Pilot auf den linken Sitz des Flugkapitäns wechselt, von dem es den besseren Überblick auf alle Instrumente gibt, sagte Hüttig. Bei der Air France bestehe eine solche Regelung nicht. Deshalb sei es denkbar, dass hier zum entscheidenden Zeitpunkt der dritte Pilot saß, der mit nur 807 Flugstunden auf dem A330 über die geringste Erfahrung verfügte. Ein Flugzeug in einer Höhe von rund elf Kilometern beim Ausfall verschiedener Systeme per Hand durch Gewitterturbulenzen und Hagel zu steuern, erfordere aber höchste Erfahrung.

TU-Luftrechts-Professor Elmar Giemulla, der die Angehörigen der meisten deutschen Passagiere vertritt, erwartet bei der Klage gegen Frankreichs Regierung für jedes Opfer eine sechsstellige Summe Schadenersatz.

Rainer W. During

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