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Panorama: Als alle Fehler zusammenkamen

Heute beginnt der Prozess um die Flugzeugkollision am Bodensee – auf der Anklagebank sitzen Fluglotsen

Die Straße windet sich von Überlingen nach Owingen. Obstbäume blühen, die Wiesen sind saftig, der Bodensee schimmert blau, im Hintergrund strahlt das Weiß der Alpen. Am 1. Juli 2002 stießen hier zwei Flugzeuge zusammen, eine DHL-Frachtmaschine und eine russische Tupolev mit 48 Kindern an Bord. Niemand der 71 Insassen überlebte.

Heute beginnt im schweizerischen Bülach der Prozess gegen die, die nach Meinung von Staatsanwalt Bernhard Hecht für die Katastrophe verantwortlich sind: die Mitarbeiter der Flugüberwachungsfirma Skyguide. Hechts Anklageschrift schildert eine beispiellose Verkettung von technischen Pannen und Fehlern in den Kontrollräumen. Acht Mitarbeiter, Lotsen und ihre Vorgesetzten, sitzen auf der Anklagebank. Der neunte, Peter Nielsen, der in der Unglücksnacht vor den Überwachungsschirmen saß, ist tot. Vitali Kaloev, der seine Tochter, seinen Sohn und seine Frau bei der Tragödie verloren hat, tötete ihn vor drei Jahren. Kaloev sitzt dafür im Gefängnis.

Die Schweizer Staatsanwaltschaft hat sich mit Hilfe von Zeugenaussagen ein detailliertes Bild des Abends gemacht: Nielsen und ein Kollege haben Nachtschicht. Alles läuft nach Plan, weswegen sich der zweite Lotse um kurz nach 23 Uhr in eine längere Pause verabschiedet. Bei Skyguide, wo 1400 Mitarbeiter für die Sicherheit von jährlich rund 1,2 Millionen Flügen in der Schweiz und den angrenzenden Gebieten zuständig sind, wird so etwas toleriert. Das Unternehmen, das sich wegen kantonaler Eitelkeiten teure Doppelarbeit an seinen Standorten Zürich und Genf leisten muss, steht unter Kostendruck. Der zweite Fluglotse darf sich schlafen legen. Nielsen bleibt allein im Kontrollraum.

Was er aus Nachlässigkeit und auch weil es ihm niemand ausdrücklich gesagt hatte, nicht weiß, ist, dass in dieser Nacht das Überwachungssystem neu programmiert wird und teilweise nicht zur Verfügung steht: Das Radarsystem hat Tücken und zeigt Flugzeugbewegungen nicht mit der üblichen Genauigkeit an. Die Telefonanlage mit ihren Standleitungen zu allen umliegenden Flughäfen ist außer Betrieb. Nur die normalen Amtsleitungen funktionieren. Hätte Nielsen das gewusst, hätte er seinen Kollegen vermutlich nicht in die Pause geschickt. Zu zweit, so meint der Staatsanwalt, hätten die Lotsen die Katastrophe vermeiden können. Plötzlich taucht in dieser Nacht ein verspäteter Airbus auf, der in Friedrichshafen landen will. Der Anflug ist heikel. Der Lotse muss ihn von einem Extra-Radarschirm aus kontrollieren. Er will die Flugleitung in Friedrichshafen informieren, doch das Telefon funktioniert nicht. Zwei Bildschirme gleichzeitig im Auge, kein Telefon zur Hand: Nielsen gerät unter Druck. Hektisch rollt er auf seinem Stuhl zwischen den Radarschirmen hin und her. Seine Vorgesetzten hätten mit so einer Situation rechnen und auf ausreichend Personal sowie eine funktionierende Technik achten müssen, sagt die Anklage.

Weil er den verspäteten Airbus führen soll, merkt er nicht, dass sich auch eine russische Tupolev auf gleicher Höhe befindet. Die Maschinen fliegen auf Kollisionskurs. Nielsen bemerkt schließlich die Gefahr und weist den russischen Piloten an, sofort zu sinken. Der Pilot der anderen Maschine geht in Sinkflug über, weil seine Automatik eine Kollision ankündigt. Schließlich befolgt der russische Pilot Nielsens Anweisung zum Sinkflug. Die Maschinen kollidieren.

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