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Schattenexistenz. Außer seinem Markenzeichen-Schnurrbart ist nicht viel von dem Galliano geblieben, den Frankreich liebte.

© AFP

Antisemitismus: John Galliano: Modegenie im Büßergewand

Der Stardesigner John Galliano steht wegen antisemitischer Beleidigungen in Paris vor Gericht. Einen Euro fordert die Klägerin - als symbolische Strafe.

Er hatte sich damals ja gleich entschuldigt. „Antisemitismus und Rassismus haben keinen Platz in unserer Gesellschaft“, bekannte John Galliano in einer Erklärung, in der er „ohne Vorbehalt“ sein Verhalten bedauerte. Doch diese Reue ersparte ihm weder den tiefen Absturz vom Thron des umjubelten Modeschöpfers noch die fristlose Entlassung eine Woche vor der Pariser Frühjahrsschau aus dem Haus Dior, das er mit seinen ebenso fantasievollen wie provozierenden Kreationen wieder an die Spitze der Haute Couture geführt hatte. Und auch der Prozess blieb ihm nicht erspart, in dem sich Galliano seit Mittwochnachmittag im Justizpalast der französischen Hauptstadt wegen antisemitischer und rassistischer Beleidigungen verantworten musste. Bis zu sechs Monate Haft und 22 500 Euro Geldstrafe droht das Gesetz dafür an.

Wie früher zu seinen sensationellen Modenschauen drängten sich etwa 100 in- und ausländische Journalisten und viele neugierige Zuschauer zum Auftakt der Verhandlung vor den Türen der 17. Strafkammer. Doch welche Sensation war von diesem Auftritt zu erwarten – außer der Verwandlung des einst als exzentrischer Paradiesvogel gefeierten Stars der Pariser Modewelt? Allenfalls der schmale Lippenbart, sein Markenzeichen, ist davon übrig geblieben. Es war wohl wirklich ein ganz anderer Galliano, der da, begleitet von seinem Anwalt Aurélien Hamelle, im dunklen Anzug mit offenem Hemd vor Gericht erschien. Scheu wirkte er, fast ängstlich – eben wie einer, der nach der Entziehungskur zur Heilung seiner Alkohol- und Drogenkrankheit noch unsicher nach Bestätigung sucht. Dass man ihm abnimmt, dass der Galliano, der jetzt der Vorsitzenden Richterin Anne-Marie Sauteraud Rede und Antwort steht, nicht der Galliano ist, der als Folge seiner Abhängigkeit die Kontrolle über sich verlor und sich zu antisemitischen Beschimpfungen hinreißen ließ.

Das war am 24. Februar dieses Jahres. Galliano hatte in dem Bistro La Perle im Pariser Marais-Viertel schon zwei Flaschen Wein intus, als er mit einem Paar am Nachbartisch in Streit geriet. Als „dreckige Jüdin“ soll er Geraldine P. beschimpft haben und ihren Partner als „asiatischen Bastard“. Als die Affäre bekannt wurde, meldete sich eine weitere Frau, die Galliano beschuldigte, sie schon im Oktober vorigen Jahres im selben Bistro ebenfalls als Jüdin verunglimpft zu haben. Zwei Tage später veröffentlichte das britische Boulevard-Blatt „Sun“ ein Video, in dem Galliano im angetrunkenen Zustand mit den Worten „Ich liebe Hitler“ Gäste des La Perle anpöbelt. Es wurde in der Verhandlung vorgeführt, aber es ist nicht Gegenstand der Anklage.

Er erinnere sich an nichts, sagte Galliano. Das seien Äußerungen, die nicht seinen Überzeugungen entsprächen. Dann schilderte er, wie er auf dem Höhepunkt des Ruhmes seinen Halt verlor und zum Alkohol griff. „Ich trank, um mich von jeder kreativen Euphorie zu erholen.“ Die Belastungen wurden ständig größer und die Abhängigkeit von Alkohol und Drogen habe zugenommen, als er 2007 seinen Freund Steven Robinson verlor. „Ich hatte Angst zu versagen.“ Erst danach habe er realisiert, welchen Gefahren er sich mit dieser Mischung aus Alkohol und Drogen ausgesetzt habe. Immer sei er für Toleranz eingetreten. „Man muss sich nur mein Werk ansehen, um zu begreifen, dass ich mich von allen Kulturen inspirieren lasse“, fügte er hinzu. Dann verwies der 1960 in Gibraltar als Sohn eines englischen Klempners und einer spanischen Flamencolehrerin geborene Angeklagte auf die vielen Diskriminierungen, die er als Schwuler schon in der Schule erlebte. Als Sechsjähriger war er ohne richtig Englisch zu sprechen nach London gekommen und musste sich in einer von Vorurteilen geprägten Umgebung von Einwanderern nach oben kämpfen.

Auch die Anwälte der Kläger räumten ein, Galliano sei vielleicht kein Antisemit – und forderten als Strafe nur einen Euro als symbolische Buße. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren die Plädoyers der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen.

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