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Die Schweiz, schon, schaurig, wunderbar.

© dpa

Antwort auf Schweiz-Bashing: Weshalb Deutsche gerne in der Schweiz bleiben

Die Polemik des Deutschen Christoph Plate in der "Neuen Zürcher Zeitung", der die Schweiz wegen Ausländerfeindlichkeit verlassen hat, hat heftige Reaktionen hervorgerufen. Die Berlinerin Tatjana Hofmann aus Marzahn, die in der Schweiz lebt, antwortet, warum sie die Schweizer liebt.

Für mich gibt es keine Rückkehr mehr. Vorerst weder zur Bratwurst (vor allem nicht, seit ich das gebratene Reh im Neumarkt probiert habe) noch zurück nach Deutschland mit dem billigen Fleisch und dem Plastikgemüse. Mich würde keine Prämie weglocken. Ich möchte in der Schweiz bleiben, in Zürich, Basel oder Genf leben. Ich möchte, dass mein Sohn hier die Schule besucht, und ich möchte, dass er mir noch mehr Lieder auf Schweizerdeutsch vorsingt. Ich möchte hier nicht zuletzt deswegen bleiben, weil er hier eine Gesellschaft kennenlernt, wo die guten, alten Manieren und Werte klassenunabhängig verbreitet sind und wo auch ich nicht ständig auf der Lauer sein muss, die „Berliner Schnauze“ oder Häme angemessen abzuwehren.

Als ich Herrn Plates Artikel gelesen habe, habe ich gezögert, mich auf diese Diskussion einzulassen. Ich wohne seit nur einem Jahr in Zürich, vielleicht bin ich noch von der Euphorie des Neuen, von dem Anblick des Zürisees und der Alpen geblendet. Aber dennoch, ich habe mich fremdgeschämt für diese Art des Abschieds. Der Abgesang hilft nicht gerade, das Image der Deutschen in der Schweiz aufzubessern. Er hinterlässt den schalen Nachgeschmack eines Partygastes, der gut isst, trinkt, sich amüsiert und zum Schluss dem Gastgeber sagt, der Wein habe nicht ganz zum Essen gepasst.

Ich bin keine „richtige“ Deutsche in Deutschland geworden, obwohl ich mich sehr darum bemüht habe (bemühen musste) und obwohl ich die Staatsbürgerschaft seit langem besitze. Die jüdischen Wurzeln eines Teils meiner Vorfahren deutlich zu markieren, ist  mir erst in Wollishofen bei der jüdischen Kinderärztin eingefallen, in Berlin aber nur, sie zu kaschieren – wie es schon meine Familie in der Sowjetunion tun musste. Kultureller Antisemitismus, Antirussismus und Antipolonismus sind in Deutschland nicht nur latent.

Aus der hippen, aufregenden, weltoffenen Bundeshauptstadt weggegangen

Ich bin also nicht nur im Sinne des Grundgesetzes nicht deutsch geworden (es definiert das wahre Deutschtum übers Blut), sondern weil ich mit zwei Muttersprachen, von denen eine Russisch ist, und mit einem nicht ganz assimilierten Blick durchs Berliner Leben gegangen bin. Und nach 20 Jahren ohne zu zögern aus der hippen, aufregenden, weltoffenen Bundeshauptstadt weggegangen bin. Erst in Zürich bin ich „die“ Deutsche geworden – in den Augen der hiesigen Deutschen. Ein junger deutscher Bekannter hat mir sogar mal am Zürisee auf die Schulter geklopft: Mensch, ist ja doch etwas aus dir geworden, obwohl du Ausländerin bist und in Berlin-Marzahn gelebt hast.

Ich habe die meiste Freizeit hier bisher sehr gern mit Schweizern verbracht. Sie sehen mich als jemanden mit verschiedenen Erfahrungen. Ich muss auf einmal viel weniger erklären, mich für nichts rechtfertigen und nicht für oder gegen etwas entscheiden. Vor allem kann ich ohne nervende Blicke mit meinem Sohn Russisch reden, und ohne die in Berlin – von Intellektuellen wie von den ostdeutschen Ex-Schwiegereltern gestellte –  Frage, ob der Kleine denn auch gleich gut Deutsch könne und warum ich denn nicht mit ihm Deutsch spreche, wenn ich es doch schon so gut gelernt habe. Grundtenor in der Schweiz: Super, wird er später als Surplus gebrauchen können.

In Zürich findet man einfacher eine Wohnung als in Berlin

Sicher ist meine Sicht auch nur eine individuelle. Doch wenn man sich wie Herr Plate erlaubt, die negative Abstoßung deart zu verallgemeinern, dann hoffe ich, dass auch diese Eindrücke nicht nur für mich sprechen, sondern auch für andere mit deutschem Pass in der Schweiz. Zu diesen gehört eine erstaunlich respektvolle und hilfsbereite Haltung, die mich fragen lässt, ob ich ihr selbst gerecht werde: Als ich von Berlin aus eine Wohnung in Zürich gesucht habe, gestaltete sich die Suche weitaus angenehmer als eine Wohnung innerhalb von Berlin zu suchen. Bei keinem der Ämter war meine Angst hinzugehen angebracht – es hat bald Vergnügen bereitet, so oft angelächelt und höflich angesprochen zu werden, auf dem Weg geschmackvoll gekleidete Menschen zu sehen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln keinem stinkenden Motz-Verkäufer mit Hund zu begegnen. Ja, die Hunde – mein Gang ist sicherer und schneller geworden, seit ich nicht mehr Tretminenslalom laufen muss und der einzige Vierbeiner, der mich beim Joggen entlang der Sihl mit Gebell erschreckt hat, wurde von einer Besitzerin nicht zurückgerufen, die mich akzentfrei Hochdeutsch angepöbelt hat.

Die Behördenmitarbeiter sind viel freundlicher

Es gab während dieses Jahres mehrere Momente, bei denen ich wusste, dass ich hier richtig bin. Immer dann, wenn mich meine Nachbarn – ein eigensinniges, selbständig und kritisch denkendes älteres Paar – spontan zu sich auf einen Kaffee eingeladen haben. Sie unterhalten sich mit meinem Sohn und mir gleichermassen einfühlsam über Insekten und Pflanzen, Russland und die Ukraine. Sie legen mir die NZZ auf den Schreibtisch, erzählen aus der Schweizer und ihrer eigenen Lebensgeschichte. Wir lachen gemeinsam darüber, dass der Opa meines Nachbarn Lenin zu Gschwellti eingeladen hat und planen: Ich zeige ihnen Berlin und sie uns Tessin.

Neulich musste ich in die Ukraine fliegen und geriet in Stress, weil ich den schönen deutschen Reisepass aus unerklärlicher Schusseligkeit verloren habe. Auf der Verlustmeldestelle begrüßte mich die Polizistin mit der Frage, ob es mir Recht sei, dass sie während der Datenaufnahme Jazz höre. Nachdem sie meinen Beruf aufgeschrieben hat, brachte sie ein Buch von Franz Hohler – „schauen Sie mal rein, das bringt Sie auf andere Gedanken“. Als sie fertig war, lud sie mich zu einer Lesung von Hohler ein, später schenkte sie mir Freikarten für Moods. Demnächst lade ich die Polizistin und meine Nachbarn zu einem Apèro mit Borsch und Pelmeni zu mir ins Wohnzimmer ein.

Tatjana Hofmann

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