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Panorama: Atom-U-Boot in Not: Moskau kann eine atomare Verseuchung der Barentssee nicht ausschließen - und schweigt über die Ursachen des Unglücks

Offensive Informationspolitik sieht anders aus. Doch die war noch nie die Stärke russischer Militärs.

Offensive Informationspolitik sieht anders aus. Doch die war noch nie die Stärke russischer Militärs. Auch diesmal nicht. Ganz im Gegenteil. Nach der Havarie des Atom-U-Bootes "Kursk" bot die Admiralität das, was Tradition hat im russischen Militär: die Kunst der Desinformation. Diesmal fehlten den Verantwortlichen allerdings zudem weitestgehend die Worte. Der Unfall ereignete sich bereits am Sonntagmorgen, möglicherweise sogar schon in der Nacht zuvor. Die Öffentlichkeit erfuhr davon erst 24 Stunden später. Weitere 24 Stunden vergingen, bis der Stab der Seekriegsflotte halbwegs plausible Erklärungen zu möglichen Unglücksursachen, Anzahl der Besatzungsmitglieder und Unglücksort lieferte.

Die verwirrende Informationspolitik ging auch am Dienstag weiter. Erst verkündete der russische Verteidigungsminister Sergejew am Nachmittag, die Rettungsaktion habe begonnen. Kurz darauf sagte der Oberste Herreschef Kurojedow, die Bergung könne erst gegen Mitternacht (Ortszeit) beginnen. Noch am Montag suchten russische Fernsehsender das Unglücksschiff vor der zu Norwegen gehörenden Insel Spitzbergen. Erst am Dienstagmorgen rückten Presseoffiziere die tatsächlichen Koordinaten der "Kursk" heraus: 69 Grad nördliche Breite, 37 Grad östliche Länge, im Klartext: Das Boot liegt im Schelf der Halbinsel Kola und damit rund 1000 km von der ursprünglich angenommenen Unglücksstelle entfernt.

Extrem schwer tat sich das Pressezentrum im Stab der russischen Seekriegesflotte auch mit der genauen Anzahl der Besatzungsmitglieder: Berichterstatter konnten gleich unter mehreren Sonderangeboten wählen: 107 - das entspricht der Standardbesatzung, 120, 130. Auf die Frage, ob es wegen der zur Neige gehenden Sauerstoffreserven bereits Opfer an Bord gäbe und wenn ja, wie viel, musste der Dienst habende Presseoffizier ebenfalls passen. Höchst merkwürdig, wo doch nach Aussagen des russischen Militärs sporadisch Kontakt zur Besatzung bestehen soll. Das stimme so nun auch wieder nicht, sagte Korvettenkapitän Wladimir Dygalo sichtlich gestresst vor laufender Kamera und stammelte irgendetwas von "Austausch bedingter Zeichen."

All das ist jedoch eher eine Lappalie angesichts des Verwirrspiels um die möglichen Ursachen der Katastrophe: Anfangs hieß es, beim Torpedoschießen im Rahmen von planmäßigen Manövern sei Wasser in den vorderen Teil des Schiffs gedrungen. Am Montagabend war von einer Kollision mit einem unbekannten Gegenstand die Rede, der den Rumpf beschädigt haben soll. Eine Stunde später machte die Nachrichtensendung des Staatsfernsehens das Unbekannte bereits zu einem ausländischen U-Boot: Das sei wahrscheinlich von der Nato entsandt und sollte die Manöver beobachten, die Ende letzter Woche in der Barentssee und im Europäischen Nordmeer begannen.

Am Dienstagmorgen präsentierte die Admiralität kleinlaut eine Version, die sie tags zuvor mit Abscheu und Empörung verworfen hatte: eine Explosion. Zuvor nämlich hatte sich die halbamtliche Nachrichtenagentur ITAR-Tass genötigt gesehen, eine Quelle im US-amerikanischen Verteidigungsministerium zu zitieren. Demzufolge hatte man im Pentagon im Bereich der Unglücksstelle schon am Sonnabend eine unterseeische Explosion beobachtet.

Möglicherweise deshalb lehnte Moskau, obwohl das Leben der Besatzung an einem seidenen Faden hängt, Hilfsangebote aus den USA, Frankreich und Großbritannien ab. Eine derartige Konzentration von Kampfschiffen am Unfallort, hieß es zur Begründung, würde "nur zu Konfusion führen". Die kann größer kaum werden. Der wahre Grund ist ohnehin ein anderer: Sollte es tatsächlich eine Explosion gegeben haben, ist eine flächendeckende atomare Verseuchung der Barentssee nicht auszuschließen.

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