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Panorama: Atom-U-Boot in Not: Wrack im Atomsee - Die russische Nordmeerflotte ist eine Gefahr für Europa (Kommentar)

Die Wettervorhersage hat für die Bewohner von Küstenregionen überall auf der Welt eine ganz besondere Bedeutung: Wer nicht selbst zur See fährt, hat zumindest nahe Verwandte und Freunde, die den Launen des Ozeans auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Auch der Ausgang der spektakulären Rettungsaktion für die mehr als hundert Besatzungsmitglieder des russischen Atom-U-Boots "Kursk" hängt wesentlich vom Wetter ab.

Die Wettervorhersage hat für die Bewohner von Küstenregionen überall auf der Welt eine ganz besondere Bedeutung: Wer nicht selbst zur See fährt, hat zumindest nahe Verwandte und Freunde, die den Launen des Ozeans auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Auch der Ausgang der spektakulären Rettungsaktion für die mehr als hundert Besatzungsmitglieder des russischen Atom-U-Boots "Kursk" hängt wesentlich vom Wetter ab.

Wenn die Einwohner von Murmansk, dem Hafen der russischen Nordmeerflotte, den Wetterbericht einschalten, interessieren sie sich für eine weltweit einmalige Durchsage: die aktuellen Luftwerte der radioaktiven Verstrahlung. Abgewrackte Kriegsschiffe mit nuklearem Antrieb säumen die Küste um die größte Stadt nördlich des Polarkreises, darunter alleine etwa hundert Unterseeboote. Der gigantische Flottenfriedhof beherbergt ein Fünftel aller Atomreaktoren der Erde. Etwa 29 000 atomare Brennstoffelemente und mehr als 21 000 Kubikmeter hoch radioaktiver Abfall lagern dort - nach den militärischen Plutoniumfabriken Mayak (Russland) und Hanford (USA) der drittgrößte nukleare Müllberg der Welt.

Die Wiederaufbereitung wurde praktisch eingestellt, seit Russland allmählich zur Marktwirtschaft übergeht: 1994 wurde das Militär zur Bezahlung der Kosten verpflichtet. In den überfüllten atomaren Zwischenlagern hat die Marine die restlichen Kapazitäten für die noch aktiven Schiffe reserviert, damit sie die Operationen aufrecht erhalten kann. Daher bleiben die Atomreaktoren, die ständig überwacht und teilweise gekühlt werden müssen, in den verrottenden Schiffsleibern - eine tickende Zeitbombe: Als im September 1995 wegen unbezahlter Rechnungen der Strom abgestellt wurde, wäre es durch Überhitzung der Reaktoren bereits beinahe zum Super-GAU gekommen.

Das noch im Einsatz befindliche Material der "Atomflot", in der selbst die Eisbrecher mit Kernkraft angetrieben werden, ist kaum Vertrauen erweckender. Für die technische Verbesserung ziviler Kernkraftwerke zahlt der Westen Milliarden, um das Schlimmste zu verhindern. Solche politischen Erpressungsversuche kommen jedoch bei geheimem Kriegsgerät nicht in Frage - daher bildet die russische Marine in Sachen nukleare Sicherheit weltweit das Schlusslicht.

Die "Kursk" war erst wenige Jahre in Betrieb, sie ist eines der modernsten russischen U-Boote. Das gibt der Besatzung zunächst eine Chance: Diese Riesenschiffe kommen mehrere Tage ohne den Atomantrieb aus, der offenbar zur Vermeidung einer Überhitzung abgeschaltet wurde. Doch eine Rettung mit einfachem Tauchgerät ist aus der Tiefe, in der die "Kursk" liegt, nicht möglich - weil das zur tödlichen "Dekompressionskrankheit" führen würde: Durch die Abnahme des Druckes beim Auftauchen würde das Atemgas im Körper ausperlen wie Kohlensäure in einer Sprudelflasche. Die Besatzung der "Kursk" kann nur mit speziellen Taucherkapseln gerettet werden.

Das U-Boot selbst hat auf dem Grund der Barentssee sein Endlager erreicht. Die vom Marinekommando sofort verbreitete Erklärung, es seien keine Atomwaffen an Bord, ist keineswegs beruhigend. Die "Kursk" besitzt zwei der größten russischen Schiffsreaktoren. Sie enthalten eine teuflische Mischung hoch radioaktiver Substanzen, die sich teilweise in Meerwasser lösen, wenn die Ummantelung durchrostet. Dass sie jemals geborgen werden, ist unwahrscheinlich: Bereits heute liegen mehr als 20 russische oder sowjetische Atomreaktoren auf dem Grund des Nordmeeres - 16 davon wurden bis Ende der 80er Jahre absichtlich versenkt.

Alexander S. Kekulé

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