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Panorama: Aufstand gegen die alten Sitten

Von Christoph Link, Nairobi Erleichtert verließen die 16 Mädchen das Amtsgericht von Iten in Kenia, viele mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie hatten den Prozess gegen ihre Eltern gewonnen, die sie beschneiden lassen wollten.

Von Christoph Link, Nairobi

Erleichtert verließen die 16 Mädchen das Amtsgericht von Iten in Kenia, viele mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie hatten den Prozess gegen ihre Eltern gewonnen, die sie beschneiden lassen wollten. Der Richter gab ihrer Klage statt. Ein großer Erfolg im Kampf gegen die Genitalverstümmelung, sagen Menschenrechtsverbände. Offiziell ist die Beschneidung von Mädchen in Kenia per Gesetz verboten, doch viele Volksgruppen wie die Massai oder die Marakwet halten sich nicht daran und führen das grausame Ritual bei jungen Mädchen aus. Dabei werden ihnen die Geschlechtsorgane verstümmelt.

Vier Stunden Fahrt zum Gericht

Besonders in abgelegenen Gebieten ist der Brauch weit verbreitet und aus solch einem Hinterland – dem Kericho-Tal im Marakwet-Distrikt – stammten die 16 klagenden Mädchen. In Begleitung ihrer Eltern waren sie vier Stunden lang in Kleinbussen über holprige Pisten zum Amtsgericht von Iten am Fuße der Elgeyo-Berge gefahren.

Das Zentrum für Menschenrechte und Demokratie in der Regionalstadt Eldoret im Rift Valley hatte den Prozess eingefädelt und den Anwalt der Mädchen bezahlt. Die Marakwet gehören zu den ärmsten Ethnien Kenias, manche Frauen kleiden sich im Marakwet-Distrikt noch in Lederhäute, schon Hirtenjungen bewaffnen sich mit Pfeil und Bogen, denn brutale Viehdiebstähle sind an der Tagesordnung.

Für die meisten Eltern aber war es ein Schock, dass die Kinder ihnen eine Gerichtsvorladung bescherten. Bei einem Vortrag der Organisation „Worldvision“ sei sie über die Nachteile der Beschneidung informiert worden, berichtete die 15-jährige Zipporah Jerotich aus dem Dorf Kapsuware. Als ihre Eltern im April die Zeremonie der Beschneidung für sie vorbereiteten, da sei sie für eine Woche ausgerissen. „Ich wollte nicht. Ich wusste, dass mir das gar nichts bringt und nur den Eltern Freude macht“, erklärte Zipporah auf Englisch. Bei der Rückkehr ins Elternhaus hatte Zipporah sich Beschimpfungen anhören müssen, dass sie die Tradition nicht achte und mit der Kultur der Großeltern breche. Doch Zipporah – die vierte von sechs Schwestern – blieb bei ihrer Weigerung. Über die sozialen Folgen im Dorf ist die junge Frau sich im Klaren. „Wir unbeschnittenen Mädchen werden wie Kinder behandelt.“ Viele der Eltern waren überrascht über die Standhaftigkeit der Kinder und zeigten im Prozess Verständnis und Anteilnahme: „Die Dörfler werden über uns reden“, sagte der Vater Paul Kibor, der mit seiner 14-jährigen Tochter Rebecca gekommen war. Er hoffe, die Mädchen hätten später keine Probleme mit ihrer Entscheidung. Auch er sei inzwischen der Meinung, dass die Beschneidung altmodisch sei, sagte Kibor.

Mit dem Urteil des Amtsgerichts werde auch ihm geholfen, dem Druck von Nachbarn und Verwandten zu widerstehen, denn die seien für die alten Sitten. Während der zweistündigen Verhandlung zitierte Anwalt Buluma Morris die UN-Menschenrechtskonvention, wonach Folter und grausame Behandlung verboten seien. Er führte auch das im März in Kraft getretene Kinderschutzgesetz Kenias an, wonach die Genitalverstümmelung verboten sei und mit einem Jahr Gefängnis und umgerechnet 730 Euro Bußgeld bestraft werden kann. Die Genitalverstümmelung sei gefährlich, sie stelle eine schwere Verletzung des Körpers dar.

Eine Gegenrede der angeklagten Eltern gab es nicht. Jeweils ein Elternteil der 16 Mädchen musste sich allerdings zu Wort melden, alle äußerten Reue und Verständnis: „Das Kind hat sich geweigert, es hat mich vor Gericht gebracht. Ich entschuldige mich und werde es nie wieder versuchen“, sagte ein Vater. Eine Mutter versicherte dem Gericht: „Wir werden unsere Tochter nicht verletzen. Sie bleibt so, wie sie ist.“ Richter Daniel Ochenja folgte in allen Punkten der Klage der Mädchen: Laut gerichtlicher Verfügung wird den Eltern, Verwandten oder anderen Personen verboten, eine Beschneidung der Mädchen vorzunehmen oder auf sie hinzuwirken. Gleichzeitig werden die Eltern auf ihre Pflicht hingewiesen, für Essen, Schule und Obdach der Kinder zu sorgen.

Der Richter droht den Eltern

Richter Ochenja beugte sich in seinem grob gezimmerten Podest nach vorne und ermahnte die Eltern mit leiser Stimme: „Verstoßt ihr gegen das Urteil, geht ihr ins Gefängnis.“ Betreten schwiegen die Eltern. Kenneth Wafula vom Zentrum für Menschenrechte und Demokratie in Eldoret bezeichnet das Urteil als großen Erfolg. Der Kampf gegen die Genitalverstümmelung werde in den Gerichtssälen und in der sozialen Arbeit auf den Dörfern gewonnen, sagte Wafula.

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